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Fakten zur Aufführung 

DANZAORA Y VINÁTICA
(Rocío Molina)
27. März 2015
(Premiere)

Tanzhaus NRW


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Fulminante Festivaleröffnung

Seit mehr als 20 Jahren gibt es im Tanzhaus NRW alljährlich ein Flamenco-Festival. Und das soll auch unter der Intendanz von Bettina Masuch so bleiben. Gleichwohl soll das Festival, das laut Leiterin Dorothee Schackow zu den bekanntesten zeitgenössischen Festivals des Flamenco-Tanzes außerhalb Spaniens zählt, eine noch modernere Ausrichtung erfahren. Folkloristisches darf man hier also sicher nicht erwarten. Allzu viel Information, die den Zugang zum Festival erleichtern könnte, auch nicht. Das Faltblatt, das das Programm ankündigt, beschränkt sich auf die kurze Beschreibung der fünf Stücke und einen Zeitplan für die zahlreichen Workshops. Auch im Internetauftritt des Tanzhauses gibt es keine zusätzlichen Informationen, die dem Laien Appetit auf diese ungewöhnliche Kunstform machen könnten. Ist also das Festival inzwischen so erfolgreich, dass man getrost auf neue Publika verzichten kann? Oder richtet es sich ausschließlich an Fachpublikum? Den Laien sollten solche Fragen weder stören noch abschrecken. Einfach trotzdem hingehen lohnt sich, wie schon die eindrucksvolle Eröffnungsveranstaltung zeigt.

So traditionell der Flamenco ist, so zukunftsträchtig ist er auch. Seit dem Schuljahr 2014/15 gehört dieses Zusammenspiel von Tanz, Musik und Gesang zum Pflichtunterricht an den Schulen Andalusiens, seit 2010 ist es Immaterielles Kulturerbe der UNESCO. Denkbar gute Voraussetzungen für eine gesunde Weiterentwicklung. Dass die funktioniert, beweist Rocío Molina. Sie hat am Real Conservatorio Superior de Música de Madrid studiert und erarbeitet seit 2005 sehr erfolgreich eigene Inszenierungen. Bereits 2010 entwickelte sie Danzaora y Vinática – Tänzerin und Weintrinkerin – das jetzt anlässlich der Eröffnung des Festivals im Tanzhaus NRW zur Aufführung kommt.

Die Bühne von Adrian Molina liegt im Halbdunkel – und daran wird sich in den kommenden knapp anderthalb Stunden auch nicht viel ändern, trotz erheblichen Scheinwerfereinsatzes von Antonio Serrano – die Tänzerin steht mit dem Rücken zum Publikum, hält ein Glas in der rechten Hand und eine Kordel, an der eine Weinflasche angebunden ist, in der linken. So beginnt ein Stück, das eine Show von Riverdance an Rhythmus und Einfallsreichtum glatt ins Abseits stellt. Maßgeblichen Anteil daran hat Javier Alvarez, der mit Hall- und Scratch-Effekten sowie einer genialen Mikrofonierung einen Sound produziert, der hochmodern, plastisch und absolut begeisternd daherkommt. Weitaus weniger beglückend sind die Kostüme von Mai Canto. Ob Wickelrock oder florales Flamenco-Kleid, das eher an einen seidenen Morgenmantel erinnert – im Halbdunkel wirkt die Garderobe der Tänzerin zu dunkel und altbacken. Die Herren, die ihr zur Seite stehen und sitzen, sind in schwarze Anzüge gekleidet.

All das ist in dem Moment vergessen, in dem Rocío Molina ihre Choreografie beginnt. Der unverkennbar eigene Stil, der sich vor allem in den für den Flamenco so wichtigen Hand- und Armbewegungen zeigt, erzählt moderne Elemente, während sie die traditionellen Schrittfolgen und Drehungen in Perfektion beherrscht. Ihr zur Seite stehen dabei an der Gitarre Eduardo Trassiera, der Sänger José Angel „Carmona“ und der Palmero José Manuel Ramos „El Cruco“. Immer wieder peitschen sie den Stakkato-Rhythmus in ekstatische Geschwindigkeiten. Dabei spielt Molina wiederholt mit dem Weinglas, umtanzt es, ehe sie es am Ende orgiastisch zertritt. Tempowechsel geben Trassiera Gelegenheit, traditionelle Flamenco-Musik auf seiner Gitarre zu intonieren, und veranlassen Carmona zu jenen andalusischen Gesängen, die von Sehnsucht, Leid und Liebe erzählen, ohne dass das Publikum abseits der berückend melancholischen Klangfarben näheren Zugang dazu bekäme. Noch ehe sich jemand darüber ärgert, dass er ja immer noch kein Spanisch kann, geht es in die nächste Hochgeschwindigkeitskurve, in der die vier Akteure den Rhythmus nach oben peitschen. Genagelte Holzabsätze bewegen sich in immer höheren Tempi. Endlich, nach knapp anderthalb Stunden, werden die Zuschauer aus der fieberhaften Spannung entlassen, die sich bei ihnen so kurz nach Beginn eingestellt hat.

Das Publikum entgleist. Olé-Rufe, Füßetrampeln und stehende Ovationen begleiten die Verbeugungen der völlig entäußerten Tänzerin und ihrer Mitstreiter. Ein großartiger Abend geht zu Ende. Und ist doch erst der Anfang eines Festivals, das noch bis zum 6. April andauert.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Klaus Handner