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Fakten zur Aufführung 

COUP FATAL
(Fabrizio Cassol)
30. Oktober 2014
(Gastspiel)

Tanzhaus NRW


Points of Honor                      

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Afrika barock

Afrika – der unbekannte Kontinent. Lange schon arbeitet das Tanzhaus NRW daran, unsere kulturelle Unkenntnis über diesen Teil der Erde aufzuheben. In letzter Zeit wird es schwieriger. Förderprojekte sind ausgelaufen, und der Ebola-Virus tötet nicht nur Menschen, sondern fördert auch ein tiefes Misstrauen. Da ist es gut, dass es jetzt einen Todesstoß gibt. Uraufgeführt anlässlich der Wiener Festwochen im Juni dieses Jahres, war das transkontinentale Musiktheater Coup fatal beim Holland Festival und in der vergangenen Woche zur Eröffnung der zehnten Ludwigshafener Festwochen im Theater im Pfalzbau zu sehen. Jetzt also ist die große Bühne im Tanzhaus für das Spektakel eingerichtet.

Damit es dazu kommen konnte, war ein Aufwand nötig, der organisatorisch wohl manches Haus überfordert hätte. Paul Kerstens vom Brüsseler Stadttheater beschäftigt sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert mit der afrikanischen Kultur. Serge Kakudji ist ein afrikanischer Countertenor, der in Belgien lebt und ausgesprochen erfolgreich das Barock-Repertoire absolviert. Gemeinsam mit dem Komponisten Fabrizio Cassol haben die beiden die Idee entwickelt, afrikanische Musik-Kultur mit den Meistern des Barock zu konfrontieren. Das ist nicht ganz neu. Bereits 2011 hat das Insango-Ensemble mit Impempe Yomlingo, einer südafrikanischen Version der Zauberflöte, für Furore gesorgt. Cassol geht einen anderen Weg. Er kapriziert sich auf neun Stücke von Komponisten wie Händel, Gluck, Vivaldi und Monteverdi und „übersetzt“ diese in afrikanische Werke. Da erklingen statt Cembalo und Laute Balaphon und Likembe, aber auch Elektro-Gitarre und Xylophon. Afrikanische Gegenwartsmusik trifft auf die Musik eines anderen Kontinents aus einem früheren Jahrhundert. Bis dahin könnte man es auch mit einem Konzert in irgendeiner Konzerthalle abhandeln. Aber hier geht es um mehr. Der Choreograf Alain Platel inszeniert das Konzert.

An der Rückwand der Bühne ist ein Podium aufgebaut, das mit einem Vorhang gebrauchter Patronenhülsen verhängt ist. Derselbe Vorhang ist auf beiden Seiten der Seitenbühne angebracht. Vor dem Podium elektronische Geräte und Instrumente. Mehr braucht Freddy Tsimba für das Bühnenbild nicht. Mit den Kostümen hat es Besonderes auf sich. Geschaffen von Dorine Demuynck, gibt es im ersten Teil Einheitskleidung in Form blauer Anzüge mit beigefarbenen Accessoires zu weißen Unterhemden zu sehen. Im zweiten Teil entpuppen die Musiker sich als Sapeurs. Jene Hedonisten, die sich mit ihrer extravaganten Kleidung in der Nachfolge der Dandys von der Masse abheben und seit Mitte der 1960-er Jahre so gegen die politischen Entwicklungen protestieren, aber auch die französischen Kolonialherren vergangener Zeiten parodieren. Da wird die kanariengelbe Weste schon mal über dem Sakko getragen, der laubfroschgrüne Anzug passt zum rotweißkarierten Pullunder und immer stehen die Schuhe im Vordergrund, egal, ob sie gelb oder schwarzweiß, in extravaganten Formen oder einfach nur glänzend präsentiert werden. Carlo Bourguignon beschränkt das Licht auf eine angemessene Ausleuchtung. Rodriguez Vangama betritt die Bühne nicht nur als musikalischer Leiter, sondern auch mit einer zweihälsigen Elektrogitarre, die ihn über den Abend begleiten wird. Sein Einsatz beschränkt sich im Wesentlichen darauf, das gemeinsame Ende eines Stückes durch Schließen seiner ausgestreckten Faust anzuzeigen.

Die Toccata aus Monteverdis Orfeo ed Euridice eröffnet das fast zweistündige Konzert, ohne dass der Laie das erkennen müsste. Nach und nach betreten die Musiker die Bühne, erweitern den Klangraum unterstützen mit allerlei Kapriolen den Fortgang der Ereignisse. Countertenor Serge Kakudji übernimmt das Leitmotiv, während die Musiker die afrikanische Version der Musik präsentieren. Die Übertragung der barocken Musik auf moderne afrikanische Rhythmen macht es für den ungeübten Hörer, also den, der kein Spezialist der Alten Musik ist, schwer, die einzelnen Stücke zu erkennen. Allenfalls beim Dormerò, Stella mar, Lascia nach Händel oder Che farò nach Gluck stellt sich ein gewisser Wiedererkennungseffekt ein. Erschwert wird die Einordnung noch, indem Cassol zwei eigene Stücke, Ekunda und Système de Jeu, hinzufügt. Allerdings ist ja auch das Ziel des Abends nicht, ein Rate-Quiz für Alte Musik zu veranstalten. Vielmehr zeigt sich die hohe Kompatibilität der beiden Welten, ohne dass die neu entstandene Musik den einen oder anderen verschrecken müsste.

Dass ein atmosphärisch dichter Abend gelingt, verantworten auch die Background-Sänger Russell Tshiebua und Bule Mpanya, die mit einigen Musikern immer wieder Tanzeinlagen bieten und für allerlei Spaß zu haben sind. Für den einen oder anderen vielleicht ein bisschen zu viel Spaß, wenn die Sänger sich in die Sitzreihen wagen, beispielsweise, um einzelne Besucherinnen und Besucher per Handschlag zu begrüßen oder mit zwei Damen aus dem Publikum ein Tänzchen zu wagen.

Trotzdem: Die Aufführung gefällt. Es kommt im Tanzhaus nicht so oft vor, dass die Künstler mit Bravo-Rufen, Fußgetrampel und stehenden Ovationen bedacht werden.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Chris van der Burght