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Fakten zur Aufführung 

CATASTROPHIC PARADISE
(Claudia Bosse/Theaterkombinat)
24. September 2014
(Premiere)

Forum Freies Theater Düsseldorf, Botschaft am Worringer Platz


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Die Katastrophe der Sprache

Dem Theater werden mehr und mehr Aufgaben zugeschrieben. Neuerdings soll es auch gleich noch die Bildungsaufgaben einer Schule übernehmen, die diese nicht mehr gewährleistet. Und doch gibt es immer noch Menschen, die sich auf die wichtigen Funktionen des Theaters konzentrieren: Neben seiner Rolle in der Entwicklung der Gesellschaft soll es sicher auch immer wieder die grundlegenden, die existenziellen Fragen neu stellen. Menschen wie Claudia Bosse konzentrieren sich auf solche Prozesse und versuchen, ihnen neue Aspekte abzuverlangen, Grenzen zu sprengen oder neu zu definieren. Das ist lobenswert und notwendig.

Wenn allerdings ihre theoretischen Ausführungen so verquast sind, dass sie ganz sicher die wenigsten Menschen verstehen, macht das misstrauisch. Kann aber für einen Theaterabend vollständig egal sein, weil da nur die Aufführung und ihre Aussage zählen. Allgemein bekannt ist, dass die Englischkenntnisse der Deutschen weitaus schlechter sind, als es uns die Werbung glauben machen will. Warum also muss eine Inszenierung für eine Aufführung in Deutschland mehr als die Hälfte der Texte in Englisch präsentieren? Will sich da jemand wichtigmachen oder Teile seines Publikums ausschließen? Der häufig gebrauchte Vorwand ist, dass es sich um ein internationales Projekt handelt. Eine internationale Veranstaltung ist aber eine solche, an der viele verschiedene Nationen teilnehmen und als kleinsten gemeinsamen Nenner die englische Sprache wählen. Nicht, wenn ein überwiegend deutsches Publikum in einer deutschen Stadt zusammenkommt. Theater soll erklären, nicht das babylonische Sprachgewirr vorantreiben.

Und eigentlich läuft es ja zunächst ganz gut in der Botschaft am Worringer Platz. Ursprünglich als Theater erbaut, wurde später aus dem Gebäude in unmittelbarer Nähe des Düsseldorfer Bahnhofs ein Kino. Nach dem großen Kinosterben beherbergte die Kulturbrache einen Baumarkt, ohne die architektonischen Strukturen des Theaters zu verlieren. Die ideale Stätte, um mit Catastrophic Paradise die Grenzen herkömmlicher Bühnen zu sprengen und neue Spielräume zu erschließen. Gleich am Eingang werden die Themen des Abends in einem grausigen Deutsch projiziert: Was ist das für eine Menschheit, in der Kannibalismus existiert? Gibt es ein Paradies, und wie sieht es aus? Kann eine Gesellschaft glücklich sein, die sich einem einzigen Machthaber, zum Beispiel einem Gott, unterordnet? Und was läuft falsch in einer Menschheit, die von einer Katastrophe in die nächste rutscht, ohne aus der vorherigen gelernt zu haben – obwohl sie das stets vorgibt? Wer wie Bosse und ihr Theaterkombinat solche Fragen stellt, will Bewusstsein schaffen, mit welchen Mitteln auch immer. Die Regisseurin wählt das komplexe Gesamtkunstwerk als Deutungsversuch. Auf der gesamten Fläche finden sich Skulpturen, Installationen, Projektionen, die von einem Klangteppich von Günther Auer umfangen werden, einschließlich der überaus lebhaften Einmischungen des Papageis Pepe.

In diesem Rahmen bewegen sich Tänzer und Schauspieler, die bewusst auf hohes künstlerisches Niveau ihrer Profession verzichten, die eher nach Vorformen der Bewegung suchen. Von Atemmeditationen über amphibische Bewegungsmuster bis hin zur Aufgabe jeder Bekleidungsvorschrift lassen sich die Akteure ins Archaische fallen, wiederholen solistische oder chorische Texte in Monotonie und – vollkommen überflüssig – in englisch. Da werden Geschichten vom Kannibalismus als Überlebensmechanismus und Kriegsritual erzählt, das Recht auf das eigene Leben abseits gesellschaftlicher Normen eingefordert und zwischendurch immer wieder biblische Stellen auf Deutsch zitiert. In dieser Kakophonie entsteht tatsächlich ein Klima, das den Geist des Publikums öffnet, das sich zwischen den Protagonisten bewegt, Orientierung sucht, ohne sie zu bekommen.

Erst am Ende bezieht Bosse recht überraschend, dafür aber eindeutig Stellung. Da veranlassen die Tänzer respektive Schauspieler das Publikum, einen großen Kreis zu bilden. Das große Finale als friedliches Miteinander? Fast scheint es so. Eine Schauspielerin tritt hervor und beginnt eine Lobpreisung Gottes. Die Zuschauerinnen und Zuschauer, die sich, von den Akteuren veranlasst, an den Händen gefasst halten und plötzlich so etwas wie einen Gottesdienst zelebrieren, ohne dass das wirklich alle wollen, sind zunehmend verunsichert. Nach einer ironischen Zusammenfassung sieht das nicht aus. Vielmehr fühlt man sich, als sei man hier einer Christianisierung unterworfen, ohne sich dagegen wehren zu können. Da bleibt ein Unbehagen zurück, das sich noch steigert, als die Protagonisten trotz anhaltenden Applauses nicht ins Zentrum treten und sich verbeugen. Schließlich verebbt das halbherzige Klatschen. Die Veranstaltung ist beendet.

Michael S. Zerban







Fotos: Robert Pufleb/Claudia Bosse