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Fakten zur Aufführung 

ALCINA
(Georg Friedrich Händel)
17. April 2015
(Premiere)

Robert-Schumann-Hochschule
Düsseldorf, Partika-Saal

Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Gesang in allen Lagen

51 Wochen ist es her, dass die Opernklasse von Thomas Gabrisch im Partika-Saal der Robert-Schumann-Hochschule Street Scene von Kurt Weill aufführte. In diesem Jahr hat der Professor sich für Alcina, eine Barockoper, entschieden. Gegensätzlicher geht es kaum. Das ist wohl das, was man unter einer fundierten Ausbildung verstehen darf. Dabei gilt die Düsseldorfer Musikhochschule wahrlich nicht als Zentrum der Alten Musik. Aber Gabrisch hat nicht Kosten noch Mühen gescheut, eine Inszenierung auf die Beine zu stellen, die dem Begriff der Opernseligkeit neue Bedeutung verleiht. Im Vorfeld hatten die Studenten Meisterkurse zu absolvieren, mussten sich theoretisch intensiv mit dem Werk Georg Friedrich Händels auseinandersetzen. Zudem wurde eigens für diesen Anlass ein etwa 20-köpfiges Orchester mit Spezialisten der Alten Musik zusammengestellt. Solch ein Aufwand wird selten für eine Opernaufführung in einer Hochschule oder auch eines Opernstudios betrieben. Umso unverständlicher, dass der Intendant des Opernhauses sich bei der Premiere nicht blicken lässt. Das hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun. Nicht genug wertschätzen kann man, was die Nachwuchstalente schließlich präsentieren.

Dabei hat Sabine Hartmannshenn mit einfachsten Mitteln die Messlatte der Regie so hoch gehängt, wie man sie einem professionellen Ensemble kaum zumuten dürfte. Schon beim Bühnenbild würde mancher Sänger abwinken: Zu gefährlich, zu anstrengend und überhaupt. Eine schwarze Rampe mit einer Neigung von vielleicht 30 Prozent und einer Höhe von etwa drei Metern zieht sich quer durch den Partika-Saal und symbolisiert die imaginären Außenmauern des Reiches von Alcina. Gleichzeitig repräsentiert sie die Falllinie zwischen dem Zauberreich der „freien“ und der real existierenden Liebe, die bekanntlich die Welt ändern kann, wenn sie nur tief genug empfunden wird. Als angenehmer Nebeneffekt entsteht eine grandiose Akustik, die es den Sängern erlaubt, vor, auf und gar hinter der Balustrade, ja, sogar mit dem Rücken zum Publikum verständlich zu singen. Volker Weinhart taucht die Szenen mit vergleichsweise wenigen Mitteln satt in zumeist wirkungsvolle Lichtstimmungen. Die Übertitel werden groß und deutlich auf das Geländer der oberen Galerie projiziert, so dass das Publikum sie schnell erfassen und sich dann der Handlung widmen kann. Vorbildlich. Ebenso wie die Personenführung von Hartmannshenn. Sie versteht Solisten und Chor als lebendes Bühnenbild, und das gelingt hervorragend. Man muss und kann vermutlich auch nicht verstehen, was die Bewegungen im Detail alles andeuten. Im Gesamteindruck entsteht ein Bild, das der Statik, die einer Barockoper oft innewohnt, zuwiderläuft und gleichzeitig wirkt, als könne es gar nicht anders sein. Mit dieser Inszenierung führt Hartmannshenn jede Diskussion über das Regietheater ad absurdum.

Das gelingt nur mit vollem körperlichen Einsatz der Sänger. Da liegt dann schon mal eine Sängerin kopfüber auf der Rampe und singt in schönsten Tönen, dass dem Publikum schon vom Zuschauen die Puste wegbleibt. Aber auch ohne diese körperlichen Strapazen zeigen die Solisten sängerische und schauspielerische Leistungen, die sie adhoc für Engagements empfehlen. Allen voran Monika Rydzkowski, die als Alcina eine wahre Zauberin ist. Bereits im vergangenen Jahr hat sie sich als Sängerin von einem ganz besonderen Format empfohlen. In diesem Jahr beweist sie in der Hauptrolle, dass sie nicht nur sängerisch eine Ausnahmeerscheinung darstellt. Während sie mimisch und gestisch die Gefühlswallungen der Königin eindrucksvoll nachvollzieht, bewegt sie sich quer über die Rampe, vollzieht einen Kleiderwechsel während einer Arie und lässt sich singend über die Rampe tragen. Das ist im Wortsinne atemberaubend. Ihre Stimme, die ihr Gesangslehrer Konrad Jarnot als spinto lirico einordnet, geht weiter über den „Mainstream“ hinaus. Man könnte es auch so formulieren: Wenn einer Rydzkowsky keine Weltkarriere bevorsteht, ist es um die Oper schlecht bestellt. Mit wunderschöner Stimme empfiehlt sich auch – wieder – Sophia Theodorides. Es scheint, als sei die Sängerin aus Wipperfürth, einem Ort im Bergischen Land, für den Barockgesang prädestiniert. Wenn Rydzkowsky der Dramatik die rechten Züge verleiht, singt sich Theodorides sanft in die Linie und bringt das, was die Befürworter „historisch informierte Aufführungspraxis“ nennen, exakt auf den Punkt. Die 280 Jahre, die seit der Uraufführung vergangen sind, scheinen vergessen. Das muss man mal erlebt haben. Franziska Heinzen zeigt in ihrer ersten Hosenrolle als Ruggiero eine Tanzeinlage. Inzwischen gilt es ja als schick, auf Barockklänge auf der Bühne flott zu wippen – so kann man den aktuellen Bezug so schön herstellen. Aber Heinzens Choreographie weist dann doch über das hinaus, was man sonst so sieht. Als Ruggiero wird es mit dem Volumen ein wenig knapp, was aber der Präzision ihres Gesangs keinen Abbruch tut. Sara Breslin springt als Bradamante ein, gibt ihr Bühnendebüt und liefert damit eine mehr als ordentliche Leistung ab.

Rampe ist vorbei. Die junge Generation der Sängerdarsteller hat ihre Doppelrolle akzeptiert und arbeitet mit Begeisterung daran, als Schauspieler mindestens ebenso zu überzeugen wie als Sänger. Da haben die einfallslosen Regisseure in Zukunft Schwierigkeiten, ihre Fantasielosigkeit durchzusetzen. Denn auch im Selbstbewusstsein haben die jungen Leute dazugelernt. Zum Beispiel durch Lehrer wie Gabrisch oder Hartmannshenn, die den Sternen der Zukunft durch ihre im besten Sinne grenzenlosen Anforderungen zeigen, was sie zu leisten im Stande sind.

Am Pult zeigt Thomas Gabrisch sich mit ästhetisierendem Dirigat. Die Musiker, die sich auf die Alte Musik spezialisiert haben, bereiten ihm leichtes Spiel in der Deutung der Händelschen Oper, so dass der Dirigent sich ganz auf die Sänger konzentrieren kann.

Es gibt an diesem Abend eigentlich nur ein Ärgernis. Auf den Stühlen im Partika-Saal muss ein Leim aufgetragen worden sein. Ansonsten hätte das Publikum nicht anders können als aufzuspringen, um die Talente der Zukunft, Musiker und das Regieteam zu feiern. Allenfalls der ausführliche Applaus deutet darauf hin, dass die Gäste hier eine in jeder Hinsicht außergewöhnliche Aufführung erlebt haben.

Michael S. Zerban

 





Fotos: Susanne Diesner
(Die Besetzung weicht in den
einzelnen Aufführungen voneinander
ab. Deshalb sind hier
Beispielfotografien aufgeführt)