Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

ABRAHAM
(Daniel Schnyder)
13. November 2014
(Uraufführung)

Düsseldorf-Festival, Johanneskirche


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Grandios

Wenn bei der berüchtigten „Kritikerumfrage“ einer gedruckten Zeitschrift Abraham nicht Oper des Jahres wird, kann das nur daran liegen, dass die befragten Kritiker sich diese Uraufführung haben entgehen lassen. Das Düsseldorf-Festival hat in diesem Jahr einfach mal die Festival-Dauer verlängert und gemeinsam mit der Johanneskirche im Düsseldorfer Stadtzentrum und der Kreuzkirche in Bonn die Komposition einer Oper in Auftrag gegeben. Daniel Schnyder, ein gebürtiger Schweizer, der heute in New York lebt, wurde gebeten, die Oper über den Übervater der drei monotheistischen Religionen zu komponieren und, wenn er schon mal dabei ist, auch gleich das Libretto zu schreiben. Die Erfahrung bei vielen zeitgenössischen Opern zeigt, dass ihre Halbwertzeit verdächtig weit unter der eines Antibiotikums liegt. Es ist also Skepsis angebracht, noch dazu, wenn die Oper nicht in einem ordentlichen Opernhaus, sondern in Kirchen aufgeführt wird. Und keine große Überraschung, dass am Abend der Uraufführung in der Johanneskirche etliche Plätze frei bleiben. Zumal die Stadtkirche von Baustellen nahezu eingekesselt ist und das nahegelegene Parkhaus seine Flächen nur zum Wucherzins freigibt. Während Thomas Geisel, Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf, an der Veranstaltung teilnimmt, um sich nach seiner Wahl einem breiteren Publikum zu präsentieren, lassen sich Kulturdezernent und hiesiger Opernintendant erst gar nicht blicken.

Zugegeben, eine Kirche ist kein Opernhaus. Und so gibt es eigentlich keinen Sitzplatz, auf dem die Aufführung optimal erlebt werden kann. Überhaupt ist die Kirche als solche kaum mehr wiederzuerkennen. Im Mittelschiff hat Regisseur Gregor Horres ein zweiteiliges Podest aufbauen lassen, in der Vierung sitzt das Orchester und in der Apsis nehmen die Chöre Platz. Ein Spielchor mit rund 30 Personen wird später links und rechts vom Podest Platz nehmen und immer wieder nach griechischem Vorbild „kommentierend“ in die Handlung eingreifen. Horres liefert an diesem Abend in jeder Hinsicht ein Meisterstück ab.

Erzählt wird die Geschichte des „Urvaters“ Abraham, eine Geschichte, die in verschiedenen Versionen in der christlichen Bibel, im jüdischen Tanach oder im muslimischen Koran auftaucht. Seine Frau Sarah kann keine Kinder bekommen, also muss die Sklavin Hagar als Mutter des Sohnes Ismael herhalten. Wie so oft in solchen Geschichten: Plötzlich, 14 Jahre später, das Wunder – Sarah ist doch schwanger. Da ist kein Platz mehr für Hagar und Ismael im Hause Abraham. Sie werden kurzerhand in die Wüste geschickt. Ihr Überleben sichert die Quelle Zam-Zam. Nach dem Tode Sarahs kehrt in Abrahams Haus die große Öde ein. Isaak, Sarahs Sohn, macht sich also auf die Suche nach Hagar und Ismael und bringt sie nach Hause. Große Versöhnung. Dass bei der ganzen Geschichte ein Gott, wie auch immer er heißen mag, seine Hand im Spiel hat, ist selbstverständlich. Schnyder sieht darin zuvörderst eine heutige Geschichte von überflüssigen Religionsdifferenzen und seine Hoffnung darin, diese Konflikte im Gedanken an Abraham lösen zu können. Horres folgt dem Gedanken und kleidet seine Protagonisten in moderne Kostüme. Seine Bühne ist eine schwarze Fläche, auf der sich ein paar Steine und wenige Utensilien finden. Später wird in der Mitte des Podestes ein semitransparenter Gaze-Stoff hochgezogen, auf den der Lichtdesigner Kanjo Také assoziative Bilder projiziert. Die Quelle Zam-Zam wird, ohne es dem Zuschauer zu verdeutlichen, auf die Kanzel verlegt.

Die Sänger, ungewöhnlich, singen elektronisch verstärkt. Das ist aber gut so, denn die Übertitel sind so unglücklich angebracht, dass sie nicht von überall einsehbar sind. An diesem Abend geht einiges schief – und das macht eine Uraufführung in gewisser Weise sympathisch, weil man weiß, dass alle Beteiligten unendlich viel daran setzen, der Perfektion nahe zu kommen – aber die Sänger lassen sich davon nichts anmerken und entzücken das Publikum. In jeder Hinsicht zum Verlieben: Theresa Nelles als Hagar. Eine freche, selbstbewusste Göre, die sich später in ihren Konflikten verliert. Jedes einzelne Gefühl wird für den Besucher nachvollziehbar, ihr heller, auch in den Höhen sicher sitzender und nahezu vollständig verständlicher Sopran ist etwas, das man nicht jeden Tag erlebt. Dazu kommt die natürliche Ausstrahlung, die aus Hagar eine hundertprozentig glaubwürdige Figur macht. Complimenti! Besonders stimmlich beeindruckend ist Mischa Schelomianski als Abraham. Wer diese Aufführung gesehen hat, wird keinen anderen Abraham mehr erleben wollen. Sein Bass ist tief und milde, verzweifelt und versöhnend; den möchte man als Papa mit nach Hause nehmen. Dem traut man einen Weltfrieden zu. Sarah, die intrigante, die zweifelnde, die schwankende – Altistin Rena Klefeld ist kurzfristig vor Beginn der Produktion eingesprungen und hat sich die Rolle innerhalb kürzester Zeit angeeignet. In jeder Hinsicht überzeugend. Bariton Rabih Lahoud als Ismael und Tenor Raphael Pauß als Isaak sind mit ihren kleinen Rollen nicht überfordert und bringen eine Menge Spielfreude mit auf die Bühne.

Der Chor ist großartig. Ehrenamtlich treten die Johanneskantorei Düsseldorf und die Kantorei der Kreuzkirche Bonn an, rund 120 Personen inklusive einem etwa 30 Personen starken Spielchor. Einstudiert nach regulären Arbeitstagen, erklingt der Chor mit Gänsehautcharakter. Eine Leistung, die man nicht hoch genug einschätzen kann.

Wolfgang Abendroth hetzt als musikalischer Leiter zum Pult, dirigiert mit gewohnt großer Geste und übertreibt zum Anfang ein wenig. Das ist vollkommen verständlich. Die Musik reißt nicht nur den Dirigenten mit. Schnyder hat eine Melange aus vielen Stilen geschaffen, was an sich nichts über die Qualität aussagt. Hier aber entsteht die gelungene Kombination aus Klassik, Jazz und traditioneller arabischer Musik. Und diese Mischung stimmt. Die trägt über den Tag hinaus. Was man sich bei zeitgenössischer Musik sonst selten vorstellen kann: Vielleicht über das Jahrhundert hinaus. Ein schönes Gefühl, einer Uraufführung beigewohnt zu haben, über deren Interpretation man sich möglicherweise zum 250. Geburtstag von Daniel Schnyder Gedanken macht. Im Orchester nicht nur Christiane Oxenfort, eine der beiden künstlerischen Leiter des Düsseldorf-Festivals, als Flötistin, sondern auch der Komponist selbst als Saxofonist. An seiner Seite Bassam Saba, der Nay und Oud spielt, sowie Tareq Rantisi, der für die altertümliche Percussion sorgt.

Dem Publikum ist die Begeisterung anzumerken, auch wenn mancher an einem Donnerstagabend nicht mehr zu dem Applaus fähig ist, den er vielleicht an einem Wochenende vollbracht hätte. Wir müssen uns seit heute neben den fantastischen Sängern einen neuen Namen merken: Daniel Schnyder wird möglicherweise in Zukunft in einem Atemzug mit Giuseppe Verdi, Richard Strauss und John Adams genannt werden.

Michael S. Zerban







Fotos: Melanie Stegemann