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Fakten zur Aufführung 

KÖNIGSKINDER
(Engelbert Humperdinck)
29. Dezember 2014
(Premiere am 19. Dezember 2014)

Semperoper Dresden


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Märchen ohne Happy End

Engelbert Humperdinck komponierte 1893 mit Hänsel und Gretel die deutsche Märchenoper überhaupt. Dass er vor- und nachher mit Schneewittchen, Die sieben Geißlein und Dornröschen weitere Bühnenwerke nach den Brüdern Grimm vertonte, ist in Vergessenheit geraten. Auch seine zunächst als Melodram konzipierte Oper Königskinder schaffte es nie, aus dem Schatten von Hänsel und Gretel herauszutreten. Dabei war ihre stargespickte Uraufführung 1910 an der New Yorker Met ein gewaltiger Erfolg. „Die bedeutendste Oper seit Wagners Parsifal“ war in der amerikanischen Presse zu lesen, ein Echo, das bis heute in Deutschland keine Entsprechung gefunden hat. Die Semperoper in Dresden gibt ihr nun eine neue Chance, mitten in der Weihnachtszeit, wenn sonst bevorzugt Hänsel und Gretel auf den Spielplänen steht.

Auch Königskinder ist eine Märchenoper, allerdings mit tragischem Ausgang. Sie handelt von der Liebe zwischen Gänsemagd und Prinzen und von dem Versuch der beiden, als König und Königin die Herrschaft einer Stadt zu übernehmen. Doch die Gesellschaft lehnt das Paar ab und treibt es in den Tod. Die niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen holt das Stück für ihre Inszenierung aus der Märchenecke in das letzte Jahrhundert. Sie zeigt das Erwachsenwerden zweier junger Menschen inmitten einer verrohten Umwelt, die innere Werte jenseits von Äußerlichkeiten nicht erkennen kann. Statt einer Hexenhütte hat Bühnenbildner Christian Schmidt einen Ehrfurcht einflößenden Vorraum eines Bürgerhauses entworfen, statt eines Festsaals im zweiten Akt eine weitere, noch imposantere Eingangshalle. Für die scheinbar anfängliche Idylle steht ein riesiger grüner Lindenzweig, der im ersten Akt in das Fenster herein wächst, im letzten Akt dann verdorrt ist. Die Bürger von Hellabrunn sind gekleidet wie in den dreißiger Jahren – dass ihre Abwehrreaktionen gegen die beiden Fremden nicht zeitgebunden, sondern hoch aktuell sind, veranschaulicht der im Programmheft abgedruckte offene Appell von Dresdner Künstlern gegen die momentane, so genannte Pegida-Bewegung. Nichts wirkt aufgesetzt oder peinlich in Mijnssens psychologisch ausgefeilter, bemerkenswert geschlossener Regiearbeit. Wenn beispielsweise die Gänsemagd zusammen mit ihren Vögeln, dargestellt von Kinderstatisten, in die Stadt einzieht, stolz eine Krone auf dem Kopf, erscheint dieser Auftritt völlig stimmig.

Die Solisten sind durchweg famose Singdarsteller, ob Michael Eder und Tom Martinsen als Besenbinder und Holzhacker oder, in kleineren Rollen, Christina Bock und Rebecca Raffell als Wirtstochter und Stallmagd. Tichina Vaughn gelingt mit herrischem Auftreten und vokaler Autorität ein starkes Porträt der Hexe, die als dominante Ziehmutter angelegt ist. Christoph Pohl singt den Spielmann kultiviert und geschmeidig mit einem durch und durch wohlklingenden Bariton. Begleitet wird er von einem gleich gekleideten Jungen – Benjamin Hünig vom Dresdner Kreuzchor verkörpert ihn mit erstaunlich durchsetzungsfähigem Knabensopran – der das Geschehen beobachtet und als Wissender möglicherweise für eine bessere Zukunft steht – ein weiterer gescheiter Regieeinfall. Ideal besetzt sind aber zuvorderst die Königskinder. Barbara Senator ist mit ihrem reinen, taufrischen Sopran und mädchenhafter Ausstrahlung ist prädestiniert für die Gänsemagd. Tomislav Mu ž ek, der Bayreuther Erik, schenkt dem Königssohn einen jugendlich-heldischen, nobel strömenden Tenor. Dazu gelingt es beiden, den Reifeprozess der aufkeimenden Liebe bis zum Tod glaubwürdig darzustellen. Das Schlussbild ist gleichermaßen poetisch wie ergreifend: Schneeflocken fallen auf das Paar, das sich im Sterben innig umarmt.

Mihkel Kütson, für den ursprünglich vorgesehenen Lothar Königs eingesprungen, nimmt seine Chance wahr und sorgt mit der glänzend aufgelegten Sächsischen Staatskapelle für eine leidenschaftliche Wiedergabe von Humperdincks spätromantischer Partitur mit ihren deutlichen Wagnerreminiszenzen. Ohne die Sänger zu überdecken, entfaltet er einen soghaften, dabei immer transparent bleibenden Klangrausch.

In der fast ausverkauften Semperoper verfolgt das Publikum die über dreistündige Oper mit großer Aufmerksamkeit und dankt nach der Vorstellung mit anhaltendem Beifall.

Karin Coper

 



Fotos: Matthias Creutziger