Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
6. September 2015
(Premiere)

Theater Dortmund


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort



 

zurück       Leserbrief

Liebeskummer im Foltercamp

Auch wenn man Intendant Jens-Daniel Herzog bescheinigen muss, dass er der Dortmunder Oper zu einem ordentlichen Zugewinn an Selbstbewusstsein, Ehrgeiz und Attraktivität verholfen hat, treffen seine eigenen Inszenierungen nicht immer auf ungeteilte Zustimmung. Nach der Premiere von Richard Wagners Tristan und Isolde muss er stattliche Buh-Salven einstecken. In der Tat vergibt Herzog angesichts eines vorzüglichen musikalischen Umfelds die Chance, auch szenisch markante Akzente setzen zu können.

Erstaunlich, wie stark manche Regisseure der Explosivkraft des Tristan misstrauen, wieviel Energie sie darin investieren, das Außergewöhnliche des Stücks bewusst außer Kraft setzen zu wollen. Tristan und Isolde ist ein Werk der Superlative, der Maßlosigkeit, das sich jeder realistischen, rationalen und logischen Barriere entzieht. Am Rande des Wahnsinns bewegt sich das Liebespaar, das sich jenseits der feindlichen Realität von und in des „Welt-Atem wehenden Alls“ aufsaugen lässt. Das stellt sich Wagner nicht nur vor, das vermag er in seinem in jeder Hinsicht einzigartigen Werk auch musikalisch und szenisch umzusetzen.

Was erleben wir dagegen in Dortmund? Lässt Wagner sein Hohelied der Liebe hoch erhaben über den Hindernissen der feindlichen Umwelt ertönen, verkümmert in Herzogs Neuinszenierung die Liebesgeschichte zu einer skandalträchtigen Episode in der übermächtig aufgebauschten Maschinerie eines brutalen Terrorstaats mit stalinistischen Zügen. Da wird gefoltert, gedemütigt und massakriert. König Marke wird hier noch schärfer als von Katharina Wagner in Bayreuth zum Inbegriff eines Diktators verzerrt, auch wenn weder Text noch Musik diese Missdeutung zulassen.

Klar, dass für Wagners mystifizierte Vorstellung der Liebe hier kein Platz ist. Der Liebestrank scheint hochprozentig angesetzt zu sein und wirkt entsprechend. Das Paar torkelt albernd und kichernd durch die tristen Kammern und irritiert die Junta-Meute. Inmitten der überdimensionalen Präsentation des Staatsapparats reduziert sich die Liebestragödie auf eine Art Seitensprung, wie er in den besten Dynastien vorkommen kann. Allerdings mit üblen Folgen für Tristan, der brutal zusammengeschlagen wird, langsam verblutet und, um die Form nach außen zu wahren, posthum mit einem Staatsbegräbnis geehrt wird. In diesem Umfeld wirkt das Liebesduett im Keller von Markes Folterpalast wie ein aufgesetzter Fremdkörper und nicht wie das Herzzentrum des Werks. Und der vortrefflich singende Karl-Heinz Lehner führt mit seinem weichen Bass und seiner textdienlichen Interpretation ohnehin jeden Versuch ab absurdum, der Königsfigur präfaschistische Züge anheften zu wollen.

Nach dem Tod Tristans singt Isolde ihren metaphysisch umflorten, bar jeder Vernunft verklärten Schluss-Monolog einsam in der kühlen Kulisse Kareols, der Burg Tristans. Am Ende erscheint ihr Tristan als Vision. Alles Weitere bleibt offen. Immerhin ein Ende, das wenigstens einen Hauch vom unerklärbaren Mysterium der Liebesgeschichte vermittelt. Allerdings viel zu spät und auch viel zu kurz.

Nicht nur der Regisseur bietet alles auf, um die außergewöhnliche Aura des Stücks zu zerfasern und das stets dem Wahnsinn ausgelieferte Werk zu einer provinziellen Skandalgeschichte zusammenzustauchen. Bühnenbildner Mathis Neidhardt baut ein verschachteltes Labyrinth kleiner Gänge und Verhörkammern, was die szenische Ernüchterung auf die Spitze treibt. Im dritten Akt weitet sich die Kulisse wenigstens zu einem etwas großräumigeren Gewölbe, das die emotionalen Höhenflüge freilich noch immer stark behindert.

Besser bestellt ist es um die Musik. Gabriel Feltz horcht am Pult der konzentriert und fast fehlerfrei aufspielenden Dortmunder Philharmoniker sehr einfühlsam den Fieberkurven der Partitur nach und bringt so die exorbitante Dynamik der inneren Handlung recht plastisch zum Klingen. Da schäumen die Gefühlswogen voluminös auf, die Herzog eindämmen will. Und auch die kammermusikalischen Delikatessen der Partitur sind bei den Dortmundern gut aufgehoben.

Was die Besetzung angeht, hat man nicht an internationalen und Bayreuth-erfahrenen Kräften gespart. Lance Ryan in der Titelrolle beeindruckt durch seine vokale Kraft und sein vitales Spiel, das in den endlosen Monologen des dritten Aktes gipfelt. Allison Oakes kann sich als Isolde über ein nicht minder geglücktes Rollen-Debüt freuen. Mit der stabilen, wohlklingenden Mittellage ihrer Stimme gelingen ihr sogar im Schluss-Monolog noch zarte Höhenflüge. In den dramatischen Höhepunkten geraten die Spitzentöne freilich in Grenzbereiche.

Exzellent besetzt ist auch das Umfeld mit Karl-Heinz Lehner, der den Marke so warm und mild singt, wie ihn Wagner komponierte. Martina Dike als dramatisch zupackende Brangäne mit butterweichen Warnrufen trägt ebenso so zum vorzüglichen musikalischen Niveau der Produktion bei wie Sangmin Lee als Kurwenal mit klarer Diktion und einem tragfähigen Bariton.

Begeisterter Beifall für die musikalischen Akteure, geteilte Reaktionen auf das szenische Team, das sich auch stattliche Buh-Rufe gefallen lassen muss.

Pedro Obiera

 

Fotos: Thomas Jauk