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Fakten zur Aufführung 

JESUS CHRIST SUPERSTAR
(Andrew Lloyd-Webber)
19. Oktober 2014
(Premiere)

Theater Dortmund


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Rock'n'Roll für den Erlöser

Es muss irgendwann im Winter 1974 oder 75 gewesen sein. In einer Kleinstadt im Bergischen Land drängeln sich die Menschen vor dem kleinen, alten, schmuddeligen Kino. Alle wollen den Film sehen, von dem sie schon viel gehört haben. Es geht um Jesus, aber irgendwie anders. Vermutlich ohne großes Budget dreht Norman Jewison in der Wüste Negev die letzten sieben Tage im Leben Jesus Christus‘ als Rock-Oper. In Bensberg stößt der Streifen vielfach auf Unverständnis. Was hat Jesus mit Rock’n’Roll zu tun? Und was ist das überhaupt für ein Jesus, der nicht als großer Erlöser mit ausgestreckten Armen herumläuft, sondern zweiflerisch mit sich und seinem Vater hadert, sich gar auf eine Affäre mit – sagen wir es ruhig mal laut – einer Hure einlässt? Der gar die Händler aus dem Tempel jagt? Kopfschütteln bei den Kaufleuten der Kleinstadt. Sind nicht sie es, die mit ihrem Obolus für das Wohlergehen der Kirchengemeinde sorgen? Bei den Jugendlichen hingegen gibt es so etwas wie Erweckungserlebnisse. Wenn dieser Typ da, dieser Jesus, damals dargestellt von Ted Neeley, gar nichts mit den kirchlichen Darstellungen zu tun hat, sondern eigentlich mehr einer von uns ist, dann müssen wir uns vielleicht noch einmal mit diesem Begriff Glauben völlig neu auseinandersetzen. Genug über Bensberg geredet. Schließlich ging es vielen Menschen in der Welt so, 1970, als die Schallplatte Jesus Christ Superstar erschien. Und welche Empörung erst, als die Rock-Oper des damals 21-jährigen Andrew Lloyd-Webber und seines kaum älteren Librettisten Tim Rice am 12. Oktober 1971 im Mark-Hellinger-Theatre in New York uraufgeführt wurde. Und welche Lust. 720 Aufführungen gab es damals.

Seither ist viel passiert. Und eigentlich galt der Stoff mehr oder minder als abgefrühstückt. Bis sich in der vergangenen Spielzeit Gil Mehmert und sein Team erneut des Stoffes im Theater Bonn annahm. 24 Aufführungen waren ein Überraschungserfolg, den man heute nicht mehr so oft erlebt. Jetzt ist die Oper in Dortmund angekommen, so wie es in der Koproduktion der beiden Häuser geplant war. Nur, dass in Dortmund Alexander Klaws als Jesus antritt. Der Gewinner der ersten Deutschland-sucht-den-Superstar-Staffel 2003 wechselte nach mäßigen Erfolgen im Schlagerfach ins Musical, ließ sich an der Joop-van-den-Ende-Academy in Hamburg zum Musicaldarsteller ausbilden und feiert seitdem einen Erfolg nach dem anderen. Das sorgte im Vorfeld für Schlagzeilen, und am Premierenabend ist das Haus ausverkauft. Schade, dass solch reißerische Mittel erforderlich sind, um die Menschen zum Besuch einer Inszenierung zu verführen, die voll und ganz für sich steht und solchen Boulevard-Stoff nicht nötig hat.

Die Bühne von Beatrice von Bornhard erinnert an ein Amphitheater. Zu beiden Seiten sind stufenförmige Absätze eingelassen, die an dunkelbraunes Holz erinnern. Im Hintergrund eine Art Hochtribüne, auf der die Band sitzt und ein Balkon Platz findet. Darunter ein großes Tor. Dunkel, gediegen, das alles. Davor liegt über dem Graben ein Kreuz aus Plexiglas und Alurahmen. Darauf, schon beim Einlass, Alexander Klaws in Leidenshaltung. Jesus wird er erst später. Erst mal sehen die Besucher den DSDS-Gewinner. Deswegen sind sie gekommen. Mehmert arrangiert ein brandaktuelles Stück, das den verstaubten Charme der 1970-er Jahre vergessen lässt. In der Verbindung mit der Choreografie von Kati Farkas gelingt ihm eine packende, aktionsreiche Personenführung, in der selbst stehende Positionen eher spannungsreich als opernhaft wahrgenommen werden. Dem Regisseur gelingt der Geniestreich, eine heutige Geschichte zu erzählen, ohne die Brisanz der Siebziger zu verlieren. Dazu tragen ganz wesentlich auch die fantasievollen Kostüme von Bornhards bei, die sich zwar mit dem Palästinensertuch Judas‘ und der schon üblichen Guantanamo-Bay-Gefängniskleidung Jesus‘ eher platte Andeutungen leistet, ansonsten aber eher mit Feingefühl die Charaktere herausarbeitet. Allein Thomas Roscher patzt mit dem Licht, wenn er immer wieder das Publikum mit einem Scheinwerfer blendet. Eine Kleinigkeit mit großer Wirkung, die er sicher in den Folgevorstellungen leichterdings beheben kann. Einmal mehr fragt man sich, wer eigentlich in der Generalprobe im Zuschauerraum sitzt, dass das keinem auffällt. Selbst Erik Petersen nicht, der in Dortmund die szenische Einstudierung übernommen hat. Damit allerdings hat er ganze Arbeit geleistet.

Ganz schnell gelingt es Klaws, zu einem unglaublich überzeugenden Jesus zu werden. Den gewiss nicht einfachen Gesang meistert er mit Bravour. Die anspruchsvolle Rolle, in der viel Stillstand mit Ausdrucksstärke zu überbrücken ist, scheint ihm schier auf den Leib geschrieben. Da steht kein Boulevard-Fernsehstar auf der Bühne, sondern ein Musicaldarsteller mit herausragenden Fähigkeiten. Ihm zur Seite steht im Wortsinn Patricia Meeden. Ihre attraktive Erscheinung ist das eine, ihre großartige Stimme das andere. Seit Yvonne Elliman hat man mit Sicherheit nicht mehr so eine schöne Maria Magdalena gehört. Auf gleichem Niveau bewegt sich David Jakobs als Judas. Es ist vielleicht das erste Mal, dass jemand auf der Bühne glaubhaft macht, warum er Jesus verraten konnte. Ja, musste. Da gibt es kein verquastes Bibel-Gequatsche, sondern einen jungen Mann, der „die Bewegung“ in Gefahr sieht und in einem Anflug von Heldenmut den Anführer opfert, um die Bewegung zu retten, weil er davon überzeugt ist, dass der sie in Gefahr bringt. Mark Weigel darf als Pontius Pilatus seine Drogensucht auf der Bühne ausleben, was aber in der Konsequenz am geschichtlichen Verlauf nichts ändert. Stimmlich und schauspielerisch stimmt sein Auftritt trotzdem. Der Bass von Hans-Werner Bramer als Kaiphas geht unter die Haut. Hannes Brock muss sich den – mal wieder – revuehaften Auftritt des Herodes gefallen lassen, meistert ihn aber mit Humor und tenoraler Freude. Auch die übrigen Rollen sind großartig, um nicht zu sagen: luxuriös besetzt.

Der Chor, der hier wie die Statisterie auch darstellerisch enorm gefordert ist, ist, wie üblich, von Granville Walker hervorragend einstudiert und trägt mehr als üblich seinen Teil zum Gelingen eines außergewöhnlichen Abends bei.

Jürgen Grimm bringt seine Band auf Hochtouren. Auch wenn einige Feinheiten der Referenzaufnahme nicht gelingen wollen, entsteht doch ein Sound, der dem Rock’n’Roll der Siebziger nachspürt und ihn auf angenehme Weise in die heutige Zeit überträgt.

Das Publikum jedenfalls, das sich schon frühzeitig mit Zwischenapplausen bemerkbar macht, hält es nach der Kreuzigung nicht auf den Sitzen. Und sieht man von den üblichen Verdächtigen ab, die den Bus noch rechtzeitig erreichen müssen und außerdem ja schon ihren Eintritt gezahlt haben, also gar nicht wissen, warum sie noch applaudieren sollten, werden die Akteure auf und hinter der Bühne zu Recht lang und ausgiebig gefeiert. Dass man den Applaus für Meeden und Klaws noch einmal steigern kann, klingt unwahrscheinlich, ist aber tatsächlich möglich.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Björn Hickmann