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Fakten zur Aufführung 

DIE JAHRESZEITEN
(Joseph Haydn)
27. April 2014
(Premiere)

Theater Dortmund


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Die Republik als Jahreskreislauf

Szenische Darstellungen von Oratorien sind, von einigen verkappten Opern-Oratorien Händels abgesehen, meist überflüssig wie ein Kropf. Selbst mit Mendelssohns durchaus dramatisch zupackendem Elias hat Dortmunds Intendant Jens-Daniel Herzog vor zwei Jahren wenig Glück bei dem Versuch gehabt, seine Weltsicht mit Mendelssohns Gottesvorstellung ohne plakative Verbiegungen optisch glaubhaft auf die Bühne bringen zu können. Auch die Annahme, dass ein weltliches Oratorium wie Joseph Haydns Die Jahreszeiten weniger Fallstricke enthalten dürfte, führt auf den Holzweg, wie Herzogs jüngste Inszenierung im Dortmunder Opernhaus zeigt. Letztlich sind Haydns Jahreszeiten nichts anderes als die Fortsetzung der Schöpfung und damit ein Akt aufrichtigen Gotteslobs. Nach der Preisung des Schöpfungs-Akts läuft in den Jahreszeiten der Kreislauf des Lebens als weiterer Beweis für die Größe Gottes vor unseren Ohren ab. Wenn man diese Komponente, die Haydn in prächtigen, Händel-würdigen Chören ausbreitet, negiert wie Herzog, darf man fragen, ob hier zum richtigen Stück gegriffen wurde.

Gezeigt wird nämlich die Entwicklung der Bundesrepublik von den Trümmern der Stunde Null bis zu den Altersproblemen unserer Tage. Gewiss beruhen die Erfolge von Haydns Oratorien zu seinen Lebzeiten auf der positiven Energie nach den Turbulenzen der Revolutionsjahre. Doch eine Illustration der historischen Fakten greift zu kurz, unabhängig davon, ob man das Werk aus der Perspektive um 1800 oder im Jahre 2014 betrachtet.

So wird mit großem Aufwand das Ende des Winters in der Trümmerwüste von 1945 durch die Frühlingslüfte der Befreiung eingeläutet. Wir sehen Besatzungssoldaten, Trümmerfrauen, Frauen, die auf ihre Männer warten und natürlich an Krücken humpelnde Kriegsversehrte. Ein Bilderbuch des Neuanfangs, bei dem der amerikanische Befreier das Liedchen vom pflichteifrigen „Landmann“ trällern darf.

Heiß wird es im Sommer an den Hochöfen der Stahlindustrie. Simon, der im Frühling noch den GI mimte, erscheint jetzt als großzügiger Ludwig-Erhard-Verschnitt. Statussymbole wie Auto und Fernseher werden wie Goldene Kälber verehrt, und die Gesellschaft kann sich auf eine staatserhaltende Gebärfreudigkeit stützen, während aus dem Osten der Kalte Krieg heranweht.

Im Herbst wird es deutlich kühler. Eine unpersönliche Betriebsamkeit in anonymen Großraumbüros gehen einher mit den 1968-er-Unruhen, Terrorismus und wachsenden fremdenfeindlichen Ressentiments. Jetzt sind wir im Winter angelangt, in dem der Staat an seinen immer älter werdenden Rentnern zu ersticken droht. Die Karawane der sommerlichen Kinderwagen weicht einem Totentanz der Rollatoren. Gute Nacht, Deutschland!

Die Übertragung der historischen Entwicklung auf die Jahreszeiten ist natürlich legitim, wenn man so differenziert vorgeht wie die Autoren-Gilde des Films Deutschland im Herbst oder auch Stefan Herheim, der in Bayreuth sogar Wagners Parsifal mit der deutschen Entwicklung kombinierte. Als purer Bilderbogen wird die Oberfläche nicht angekratzt, trotz der opulenten Ausstattung von Mathis Neidhardt.

Gleichwohl: Musikalisch kann sich die Produktion in allen Belangen hören lassen. Philipp Armbruster entwickelt am Pult der Dortmunder Philharmoniker ein transparentes Klangbild und vermeidet jeden symphonischen Fettansatz. Genossen hat den Abend auf jeden Fall der vorzügliche Chor der Dortmunder Oper, der quasi die Hauptrolle in der Inszenierung einnehmen darf, und der vom ersten bis zum letzten Takt sowohl die Szene als auch die Musik wesentlich mitgestaltet. Nichts auszusetzen gibt es an den drei Solisten, weder an Anke Briegel als Hanne mit ihrem mühelos geführten, glockenklaren Sopran, an Lucian Krasznec als Lukas mit seinem angenehm weichen, biegsamen Tenor, noch an Morgan Moody als bodenständigem Simon mit seinem tragfähigen Bariton.

Das Publikum zeigt sich von der musikalischen Darstellung einhellig begeistert. Was man von der zwiespältigen Reaktion auf die szenische Realisierung nicht behaupten kann. Da platzt einem Besucher bereits nach dem ersten Teil der Kragen, bevor er wortgewaltig das Parkett verlässt. Am Ende halten sich Befürworter und Gegner der Inszenierung in etwa die Waage.

Pedro Obiera

 

Fotos: Thomas Jauk