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Fakten zur Aufführung 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(Wolfgang Amadeus Mozart)
17. Mai 2014
(Premiere)

Theater Dortmund


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Entführung aus der Dönerbude

Die Türkei liegt heute nicht mehr im fernen Orient, sondern vor der Haustür. Warum in die Ferne schweifen, dachte sich Dortmunds Intendant und Regisseur Jens-Daniel Herzog und verlagerte Mozarts Serail in eine Hinterhoflandschaft der Region mit freundlichen Kopftuchmädchen, einer gemütlichen Dönerbude und leider auch einem Clan mit mafiösen Strukturen. Dessen Kopf ist Bassa Selim, assistiert von dem brutalen Muselmann-Gorilla Osmin. Macht das Sinn? Konstanze ist das Objekt der Begierde des Bassas, Pedrillo und das Blondchen helfen fleißig in der Dönerbude mit. Einer halsbrecherischen Entführung bedarf es da eigentlich nicht, um den Wohnblock zu verlassen. Stärker noch wiegt die Missachtung des musikalischen Tonfalls, mit dem Mozart den Haremswächter Osmin vielschichtiger charakterisiert und in ihm mehr sieht als einen bloßen Handlanger des Bösen, der Pedrillo krankenhausreif zusammentritt. Und welche Rolle spielt der Bassa in diesem Migranten-Epos? Bei Mozart präsentiert er sich offenbar als das Sprachrohr eines aufklärerischen, versöhnlichen, alle religiösen, kulturellen und nationalen Schranken überwindenden Menschenbilds.

Das interessiert Herzog nicht im Geringsten. Für ihn steht allein die Liebe im Fokus des Stücks. Und die verwickelten Beziehungen zwischen den Figuren mit ihren Stimmungsschwankungen und Irritationen inszeniert Herzog auch durchaus detailgenau. Auf der Strecke bleibt Bassa Selim als eindimensional skizzierter Pate mit warmen Gefühlen für Konstanze. Dass er mit Belmonte und seinen Freunden den Sohn seines Todfeindes begnadigt, passt nicht in dieses Konzept und wird flugs unterschlagen. Angesichts seines Schürzenjäger-Images wirkt selbst der einzige gehaltvolle Satz der stark gestrichenen Sprechrolle so deplatziert und unglaubwürdig wie Naturlyrik aus den Fäusten Mike Tysons: „Wen man durch Wohltun nicht für sich gewinnen kann, den muss man sich vom Halse schaffen.“

Für eine letztlich so blutleere und plakative Figur hätte man auch auf einen so renommierten, fantasievollen Schauspieler und Kabarettisten wie Serdar Somuncu verzichten können, der in der Vergangenheit unter anderem mit Lesungen aus Hitlers Mein Kampf und islamischen Hasspredigten aufgerüttelt hat. Enttäuschend blass schrumpft die Rolle auf die Größe eines Statisten.

Große Rücksicht auf die Musik nimmt Herzog nicht, wenn er innerlich bewegte Szenen wie etwa Belmontes Auftritts-Arie mit szenischem Aktionismus stört oder wenn er es zur Instrumental-Einleitung von Konstanzes Martern-Arie poltern lässt, dass von der filigranen Musik nichts mehr zu hören ist. Zu schweigen von den brutalen Übergriffen Osmins, die sich durch keine Note legitimieren lassen.

Insgesamt eine sehr eindimensionale Perspektive, die den ideellen Hintergrund des Stücks radikal negiert.

Retten kann da nur noch die Musik. Kapellmeister Motonori Kobayashi setzt auf zügige Tempi, nimmt aber zu wenig Rücksicht auf die Sänger, so dass es immer wieder zu Wackelkontakten zwischen der Bühne und den ordentlich, aber alles andere als brillant aufspielenden Dortmunder Philharmonikern kommt. Richtig aufblühen kann die Musik nur selten.

Der gesanglichen Qualität bekommt diese forsche, wenig in die Tiefe weisende Dirigierhaltung nicht. Den rundesten stimmlichen Eindruck hinterlässt Fritz Steinbacher als Pedrillo mit seinem geschmeidigen, hellen Tenor. Tamara Weimerich als Blonde kann da trotz ihres hübschen Soubretten-Timbres und ihrer agilen Spielfreude nicht ganz mithalten. Gesanglich gehört der Osmin von Wen Wie Zhang zu den Aktivposten der Produktion. Allerdings trüben die ungenaue Aussprache und bedenkliche Vokalverfärbungen die Leistung. Eleonore Marguerre steht die anspruchsvolle Partie der Konstanze souverän durch und vermag zarte Töne ebenso sicher zu treffen wie die Koloraturen in der Martern-Arie. Allerdings verhärtet sich ihre Stimme in den Höhen, so dass es ihr ein wenig an vokaler Wärme fehlt. Kultiviert, wenn auch recht brav gestaltet Lucian Krasznec den Belmonte, obwohl es ihm selbst in dem lockeren Migranten-Milieu der von Mathias Neidhardt ausgestatteten Bühne nicht gelingt, die ohnehin etwas steife Figur mit pulsierendem Blut aufzufrischen.

Obwohl nicht von einer Mozart-Offenbarung gesprochen werden kann: Das Publikum reagiert mit großem Beifall ohne den geringsten Protest.

Pedro Obiera

 

Fotos: Thomas Jauk