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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
8. März 2015
(Premiere)

Theater Dortmund


Points of Honor                      

Musik

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Im Theater ist alles möglich

Eine Zeitlang war es in der Kinobranche so üblich, einen Film mit einem Pendant anzupreisen: Diesen Film könnten sie mögen, wenn sie den Film xy gemocht haben. Anzuwenden ist das jetzt auch auf den neuen Don Giovanni am Theater Dortmund. Die Inszenierung von Jens Daniel Herzog kann man mögen, wenn einem die Interpretation von Dmitri Tcherniakov bei den Festpielen von Aix-en-Provence im Jahr 2010 gefallen hat. Mitunter haben einige Szenen – etwa die Wiederbegegnung von Donna Elvira und Don Giovanni im ersten Akt oder das Finale des zweiten Aktes – eine frappierende Ähnlichkeit. Doch natürlich weiß Herzog durchaus eine eigene Geschichte zu erzählen und beginnt diese mit einer gehörigen Portion Ironie. Da nehmen vor der Ouvertüre alle Protagonisten, mit Programmheften ausgestattet, als Spiegel vor den Publikum Platz und entpuppen sich als Besucher-Karikaturen. Ein Giocoso Marke Loriot. Doch das Drama nimmt zur Musik seinen Lauf, als Don Giovanni seine Frau Elvira alleine sitzen lässt, um stattdessen die nur drei Stühle weiter sitzende Donna Anna zu befummeln, während deren Vater neben ihr schön eingedöst ist. Im Theater ist eben alles möglich.

Es bleibt allerdings offen, ob die weitere Handlung als Spiel im Theater weiter geht, und welche Funktionen die Personen dann einnehmen. Immerhin ist das Wann geklärt, denn dank Sibylle Gädeke tragen die Figuren die Abendgarderobe von heute. Smoking und Abendkleid dominieren. Elegant, schön und einfallslos gleichermaßen. Die Bühne von Mathis Neidhardt ist eher ein allgemeiner Raum und bietet zahlreiche Auftrittsmöglichkeiten. Die Auffälligste ist der Steg quer durch die Mitte des Zuschauerraums. Das Orchester ist auf die Hinterbühne verdrängt worden, und direkt vor dem Publikum findet Herzogs recht lebendige, ausgeklügelte Personenführung statt. Allerdings müssen sehr freie Übertitel so manchen Bruch mit dem Libretto kaschieren. Wer den italienischen Text kennt, ist hier klar im Nachteil.

In einem intensiven Kammerspiel entdecken die „spießigen Theaterbesucher“ in der Konfrontation mit Don Giovanni ihre Schattenseiten und Wünsche. Es ist sehr interessant, wie sie über sich selber erschrecken. Die betrunkene Zerlina lässt sich von Don Giovanni ausziehen und findet sich plötzlich halbnackt im Scheinwerferlicht von Ralph Jürgens mitten im Publikum wieder. Der Skandal ist da, der Schuldige natürlich Don Giovanni. Die Gesellschaft entwickelt Rachegefühle, der Störenfried muss beseitigt werden. Am Ende ist die soziale Ordnung scheinbar wieder hergestellt, aber man schaut sich genau auf die Finger.

Dank zweier Monitore auf der Bühne kann man auch GMD Gabriel Feltz sehr genau zuschauen, in dessen Verantwortung nun die schwierige Koordination von Orchester und Sängern liegt. Die gelingt angesichts der Umstände nicht immer tadellos und auch akustische Begleiterscheinungen müssen in Kauf genommen werden – je nachdem, in welche Richtung die Sänger singen und inwieweit sie sich im Raum bewegen. Mit der gleichen Idee hatte sich das Theater Wuppertal schwergetan.

Dortmund hat nun aber den Vorteil, wirklich ein Mozart-Ensemble auf der Bühne zu haben, das auch zusammen singt und klingt. Selten hat man Mozarts Meisterwerk so geschlossen gehört. Gleichzeitig sind sie allesamt faszinierende, spielfreudige Individuen. Sangmin Lee erreicht als Masetto das Publikum mühelos mit Körpersprache und einem Pfund von Stimme – großartig. Zwei Momente hat Christian Sist als Komtur zu bewältigen und weiß vollauf zu überzeugen. Tamara Weimerich klingt als Zerlina wunderschön und darf auf der Bühne ein durchtriebenes Biest spielen. Emily Newton stellt die verzweifelte Leidenschaft der Donna Elvira nicht nur körperlich offen dar, sondern auch mit der Kraft ihrer Stimmbänder. Dass nicht jede Koloratur sitzt – Schwamm drüber, das Problem hat auch Lucian Krasznec als Don Ottavio. Doch wie schön klingt sein stabiler Tenor, und wie glaubhaft weiß er die Emotionen der Figur zu vermitteln. Gerado Garciacano kehrt mit seinem Bariton den eleganten Verführer raus, wirkt aber in einigen Augenblicken so angeschlagen, wie er spielen muss. Dieser Don Giovanni ist ausgebrannt und Garciacanos Interpretation vermag zu fesseln. Bühnentier Morgan Moody brilliert als fassettenreicher Leporello – mehr muss man über diese starke Leistung nicht sagen. Komplettiert wird das Sängerfest durch Eleonore Marguerre als Donna Anna, die einfach nur zum Niederknien singt. Seinen kurzen Auftritt bestreitet der Opernchor ganz souverän.

So ganz rund läuft es dagegen bei den Dortmunder Philharmonikern noch nicht. Kleinere Ungenauigkeiten sind auch über die größere Distanz hörbar. Schade, dass sie über 60 Prozent des Abends hinter einem Gazeschleier spielen müssen. Das macht den Sängern die Intonation nicht einfacher. Unter der Leitung des engagiert dirigierenden Gabriel Feltz leuchtet Mozarts Musik. Feltz bedient dynamisch die komplette Bandbreite: Mal historisch flink, mal romantisch hinaus deutend Richtung Beethoven.

Von Beginn an fiebert das Publikum mit und lässt die Sänger spüren, dass sie dabei sind. Doch je tragischer die Handlung wird, desto mehr Unverständnis macht sich breit. In der Pause wird eifrig bis hektisch diskutiert. Einige mokieren sich darüber, wie viel die Sänger auf der Bühne herumgescheucht werden. Das sind wohl die gleichen, die am Schluss vehement gegen Herzog buhen. Doch dass seine Inszenierung auch auf Zustimmung stößt, ist nicht zu überhören. Das Dortmunder Mozart-Ensemble wird dagegen einhellig gefeiert. „Oper lebt“ prangt auf dem Programmheft des Abends. Dieses Motto wird auf jeden Fall eingelöst.

Christoph Broermann

 

Fotos: Thomas Jauk