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Fakten zur Aufführung 

ALFAMA
(Noëmi Waysfeld & Blik)
5. Juni 2015
(Deutsche Erstaufführung)

Klangvokal im domicil


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Saudade heißt auf Jüdisch benkshaft

Die Stadt Dortmund hat ein erhebliches Image-Problem. Taucht sie in den überregionalen Medien auf, geschieht das meist im Zusammenhang mit irgendwelchen rechtsradikalen Ausschreitungen oder im günstigsten Fall als „Hauptstadt des Sauerlandes“. Da hilft auch der erfolgreiche Fußballverein nicht so recht weiter. Die Wirklichkeit hat mit diesen Bildern wenig zu tun. Wer einmal durch die Einkaufsstraße spaziert, reibt sich möglicherweise verwundert die Augen. Da geht es zu wie auf einem internationalen Flughafen. Menschen aller Herren Länder schlendern da durch Einkaufspassagen und Fußgängerzone. Ein wunderbares, buntes Miteinander. Und die Halbstarken sind sowieso schon viel weiter. So, wie die Generation der heute 50-Jährigen damals gegen die Erwachsenen opponierte, indem sie sich mit Parka und Palästinenser-Tuch vom Kleidungsstil der Eltern abheben wollten und damit alle die gleiche Uniform trugen, sind auch die heutigen Jugendlichen in der Mode kaum unterscheidbar – egal welcher Nationalität oder Herkunft sie sind. Längst ist uninteressant geworden, ob die Großeltern aus Deutschland, der Türkei, Italien oder Polen stammen. Wer „am coolsten“ ist, gewinnt. Dass inzwischen Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Afrika dazu stoßen, kann man da nur als zusätzliche Bereicherung empfinden. Die Stadt, die derzeit wie so viele andere Kommunen auch unter Einsatz aller Kräfte daran arbeitet, neuen Bürgern, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, ein menschenwürdiges Zuhause zu bieten, hat vor nunmehr sieben Jahren beschlossen, dass diese vielfältigen Kulturen sich auch in einer kulturellen Vielfalt wiederfinden müssen und das Festival Klangvokal ins Leben gerufen. Festival-Leiter Torsten Mosgraber und sein Team entwickelten ein Konzept, das die Vielfalt in der Vielfalt sucht. Ein solches Unterfangen gerät entweder zur Beliebigkeit oder zum Erfolg.

Beim diesjährigen Festival staunt man in erster Linie über den Reichtum an Kombinationen. Da treffen die Kulturen verschiedener Länder aus verschiedenen Jahrhunderten in neuen Darbietungsformen an unterschiedlichsten Spielorten zusammen. Chöre, Lied-Abende, Alte-Musik-Ereignisse, ein bisschen Oper, Weltmusik, Jazz und Pop von international bekannten Künstlern: Bei so viel Mischung kann einem schwindlig werden. Bei kaum einem anderen Festival wird man so viele Künstler aus den verschiedensten Bereichen in einem Monat in einer Stadt finden.

Der Erfolg der Kombination liegt in ihrer Intelligenz. Da hört es sich beispielsweise erst mal ziemlich abgedreht an, wenn der portugiesische Fado auf jüdische Musik trifft. Bis man erfährt, dass in Alfama, einem Stadtteil Lissabons, nicht nur der Fado entstanden sein soll, sondern sich im Mittelalter auch ein jüdisches Ghetto befand. Die in Paris geborene Noëmi Waysfeld hat sich dieser Zusammenhänge bemächtigt und gemeinsam mit drei Musikern ein Album entwickelt, auf dem sie die Fado-Texte ins Jüdische hat übersetzen lassen. Jetzt präsentiert sie in deutscher Erstaufführung das Programm in einem Dortmunder Jazzclub. Die Örtlichkeit klingt spannender als sie ist und entpuppt sich als mittelgroßer Konzertsaal auf der ersten Etage des Lokals domicil. Der ist an diesem Abend ausverkauft. Und das Publikum ist in Sicherheit: Die Notausgangslampen zu beiden Seiten überstrahlen noch die Ausleuchtung der Bühne.

Waysfeld hat Stücke der „Königin des Fados“, Amália Rodrigues, ins Jüdische übersetzen lassen und gemeinsam mit ihren Musikern moderne Arrangements geschaffen. Das, was den Fado ausmacht, die Saudade, die Sehnsucht, mag sich nicht so recht einstellen. Aber das muss ja auch nicht so sein. Schließlich haben die Künstler hier etwas Neues entwickelt. Waysfeld hat sich die Mühe gemacht und Inhaltsangaben der Texte ins Deutsche übersetzen lassen. Die trägt sie so vor, dass ihre intensive Vorbereitung auf den Abend deutlich wird. Das ist nicht selbstverständlich. Zur Seite stehen ihr Florent Labodinière mit Gitarre und Oud, Antoine Rozenbaum am Kontrabass und ein kongenialer Thierry Bretonnet am Akkordeon. Wenn der seinen Faltenschlauch voll auszieht, ertönen Klänge, die von einer Orgel nicht weit entfernt sind. Größer als das Volumen ist aber die Virtuosität, mit der der Musiker die Sängerin unterstützt. Waysfeld breitet ein weites Feld aus. Ob die Übersetzungen bekannter Fados, russisch-jüdische Lieder oder Anklänge an Klezmer-Sounds – Noëmi überzeugt nicht nur mit ihrem Gesang, sondern auch mit einem sehr natürlich wirkenden, französischen Charme. Und so darf man den Abend wohl als Erfolg bezeichnen.

Jedenfalls applaudiert das Publikum nach jedem Stück mit Begeisterung. Nach den zwei Zugaben ist dann aber auch gut. Ein weiterer erfolgreicher Abend des Festivals ist zu Ende gegangen. Dass nach dem Konzert alles auseinander läuft, als sei nichts gewesen, ist für ein gelungenes Festival eigentlich zu wenig. Hier wird sicher noch darüber nachzudenken sein, ob Zusatzveranstaltungen nicht zur Nachhaltigkeit beitragen können. Eine Bereicherung für die Weltkultur ist die Kombination von Fado und jüdischer Musik allemal. Für Klangvokal hat dieser Abend ein Zeichen gesetzt: Weiter so.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Hanna Sander, Sandra Spitzner