Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

SITTEN UND UNSITTEN AM THEATER
- DA MUSS MUTTI RAN!

(Gaetano Donizetti)
25. September 2015
(Premiere)

Anhaltisches Theater Dessau


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Mama wird's schon richten

Im Mittelpunkt dieser temperamentvollen Aufführung der Donizetti-Oper, die auch unter dem Namen Viva La Mamma ein Dauerbrenner auf den Opernbühnen ist, steht das Dessauer Theater höchstselbst. In den witzigen Dialogen, selbst in den Texten der Belcanto-Arien und Ensembleszenen geht es um Einsparungen und Stellenabbau, um Streichung von Subventionen. Es geht um die Kunst in Zeiten „leerer Kassen“ und was das für das Stadttheater bedeutet. Diese Wahrheiten und Anspielungen machen die Oper noch witziger, und man erlebt zwerchfellerschütterndes Theater auf dem Theater, bei dem sich alles um die Einstudierung der Oper Romulus und Ersilia dreht. Aber eigentlich geht es um die Zickereien von Primadonna und Seconda Donna, den Kampf zwischen Tenören um die längere Arie, den Streitereien und Eifersüchteleien zwischen Komponisten und Dirigenten oder den Fantasien des Intendanten, das Theater zu revolutionieren. Wir erleben den Widerstreit zwischen Belcanto und BelKonto und wie die Sänger entnervt die Probe verlassen. Es gibt da nur einen Ausweg: Mutti muss ran! Mamma Agatha will ihrer Tochter zum Erfolg gegen die Primadonna mit allen Mitteln verhelfen und mischt die Probe so richtig auf. Mit ungeahnten Folgen für Künstler und Komparsen, vor allem aber für die Antiken-Oper um Romulus und den Raub der Sabinerinnen.

Die Inszenierung von Holger Potocki, der die neue Dialogfassung erarbeitet hat, ist herzerfrischend und temperamentvoll. Mit Liebe zum inszenatorischen Detail profiliert er die einzelnen Figuren mit ihren Macken. Und selbst in den Ensembleszenen präsentieren sich die Sänger als hinreißend spielende Komödianten. Katja Schröpfer steuert passende Kostüme bei. Hinter dem zuweilen chaotischen Bühnengeschehen verbirgt sich eine filigrane Personenregie, die die Charaktere zeigt.

Im Mittelpunkt steht Mamma Agata, und keiner kommt an ihr vorbei. Ulf Paulsen ist in einem sündhaft roten Kleid eine Augenweide und sieht ein bisschen aus wie Hollywood-Diva Rita Haywood. Er spielt und singt diese Mamma als Bassbariton mit Schlagfertigkeit und viel Körpereinsatz so überzeugend, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Am Ende der Probe kapitulieren vor dieser Frau fast alle: Angelina Ruzzafante als Daria, die Primadonna, und ihr Gatte Procolo, der von Andrè Eckert interpretiert wird. Willibald, der Tenor, dargestellt von Alexander Nikolic, wie Silvio Wiesener als Pipetto, der Countertenor. Komponist und Dirigent Adam Fenger, Dichter und Dramaturg Pawel Tomczak sowie der genervte Intendant, präsentiert von Olaf Haye.

Bei der Bühnenprobe zu Romulus und Ersilia offenbart sich dann das ganze Chaos. Das Bühnenbild, aus Geldmangel aus China importiert, ein römischer Palast im China-Stil und die Folklorekostüme als Outsourcing- Produkte stiften Verwirrung. Einzig ein Ovid-Standbild wird in wechselnden Positionen zum Objekt der Begierde. Und in dieser Kulisse wird geprobt. Potocki hat hier die Partitur durch die Rossini-Arie En proie à la tristesse sowie der Arie Piangerò la sorte mia aus Giulio Cesare von Händel ergänzt.

Angelina Ruzzafante und Cornelia Marschall machen daraus musikalisch etwas ganz Besonderes. Beifallsstürme für Ulf Paulsen, der als Mamma Agata  die Arie Una voce poco fa aus Il Barbiere die Siviglia singt und wenig später mit dem Ballett des Anhaltischen Theaters  den Holzschuhtanz aus dem Ballett La fill mal gardèe hinreißend tanzt.

Daniel Carlberg und die Anhaltische Philharmonie schwelgen im Belcanto-Sound Donizettis. Bei so viel Theater bricht unvermittelt die Realität ein. Per Handy wird mitgeteilt, dass die Subventionen gestrichen sind. Verzweifelt singt der Intendant den Beatles-Song Yesterday, und als rettender Engel schwebt aus dem Bühnenhimmel Mamma Agata herab und plädiert mit berührenden Worten für den Erhalt des Theaters und für die Unterstützung der Menschen, die jeden Abend auf  der Bühne ihr Bestes geben. War das Ganze ein Albtraum für den Intendanten oder bittere Realität? Die Antwort bleibt offen.

Stürmischer Beifall, insbesondere für Ulf Paulsen  und Bravos für das Inszenierungsteam. Dem Anhaltischen Theater ist der Start in die neue Spielzeit mehr als gelungen.

Herbert Henning

Fotos: Claudia Heysel