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Fakten zur Aufführung 

BRAVER SOLDAT JOHNNY
(Paul Green)
27. Februar 2015
(Premiere)

Kurt-Weill-Fest 2015, Dessau


Points of Honor                      

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Lieder, Songs und die klassische Moderne

Das 23. Kurt-Weill-Fest überrascht mit einem frühen, selten gespielten Stück von Kurt Weill, ausgezeichneten Sängern und einem überraschenden Vorschlag von Thomas Markworth, dem Präsidenten der Kurt-Weill-Gesellschaft: Kurt Weill und das Kurt-Weill-Zentrum als „klingendes Weltkulturerbe“ anzuerkennen.

Noch bevor Kristjan Järvi dem MDR-Sinfonieorchester in großer Besetzung den ersten Einsatz gibt, haben die Besucher der eher betulich-braven Eröffnungsfeier und die wichtigsten Politiker aus der Region bereits wichtige Informationen erhalten: Alle großen Sponsoren, Stadt und Land als Geldgeber eingeschlossen, erklären ihre Bereitschaft zu weiterer Finanzierung des Festivals, „eines der bedeutendsten Musikfeste Mitteldeutschlands“, wie Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, feststellt. Das Festival kann nach zwei sehr belasteten Kulturjahren in Dessau ein wenig durchatmen.

Ob die vom Intendanten Michael Kaufmann ebenso wie von Oberbürgermeister Peter Kuras und dem Ministerpräsidenten bemühte „Wiederentdeckung“ des anhaltischen Dichters Wilhelm Müller tatsächlich über Sachsen-Anhalt hinaus trägt, sei angesichts der romantisch-verklärten Weltsicht des Wilhelm Müller dahin gestellt, auch wenn sich Franz Schubert von Müllers Gedichten inspirieren ließ. Die Chance der Dessauschen Kulturszene auf Aufnahme in die Liste des nationalen Kulturerbes oder gar des Weltkulturerbes wird sie kaum vergrößern. 

Mit viel Charme und musikalischem Einfühlungsvermögen stimmen Rebecca Jo Loeb, Mezzosopran, der Wuppertaler Alen Hodzovic und James Holmes, Piano, die Gäste auf das Motto des Festivals „Vom Lied zum Song“ ein. Vom frechen Broadwaysong über den wehmütigen Bilbao-Song oder den Abschiedsbrief bis zu All the wasted time deuten sie die Nähe der Weillschen Songs zum Cabaret und zum Schlager an, mit denen Kurt Weill endgültig von der bürgerlichen Liedkultur Abschied nimmt und einer neuen musikalischen Ausdrucksform im opernfernen Amerika zum Durchbruch verhilft: Song und Musical werden die neuen musikalisch-populären Formen.

Die präsentieren dann in voller Breite die MDR-Sinfoniker unter ihrem temperamentvollen Dirigenten Kristjan Järvi, den es oft vor lauter Schwung kaum auf dem Podium hält, und bei dem Dirigat und Mittanzen in einander übergehen. Wenn dann die Überarbeitung der Weill-Vorlage durch den russisch-stämmigen Rapper, Gitarristen und Komponisten Gene Pritsker ertönt, kann es niemanden wundern, wenn neben schmalzig-romantischen Passagen auch Hip-Hop, Jazziges und Rockpartien durch den Theaterraum klingen. Regisseur Bernhard Bettermann und Pritsker mit seiner Musik brauchen wenig Veränderungen der Green-Vorlage, um das Musical zeitgemäß zu präsentieren. Amerikanische Militäruniformen, ein kahles Lazarettbett, die Sprüche und Lügen der Militärs …, auf geht’s in den Krieg, und Johnny will gar nicht! Die Aktualität der Geschichte des Braven Soldaten Johnny ist überraschend, ja beängstigend:  „Dieser Krieg wird endlich alle weiteren Kriege beenden …“. In seiner Angst vor dem Krieg ähnlich naiv wie der legendäre Schwejk und in seinen Aktivitäten ähnlich hilflos wie dieser, versteht Johnny nach einer Verwundung völlig desillusioniert die Welt nicht mehr.

Bettermann hat die Geschichte des Johnny in der Zeit des ersten Weltkriegs belassen, doch der Zuschauer ist überrascht, wie die projizierten schwarz-weißen Frontbilder aus dem Ersten Weltkrieg denen  aus der Ukraine, dem Kosovo oder Nigeria gleichen. In den Sprüchen und Parolen brauchen nur die Ortsnamen ausgetauscht zu werden, schon sind sie wieder „aktuell“. Die halbszenische Darstellung, in der sechs Sprecherinnen und Sprecher von der Rampe aus die Handlung oder kurze Szenen andeuten, reicht für die Skizzierung der Geschichte völlig aus. In kurzen Momentaufnahmen markiert Bettermann die ewige Geschichte um Kriegsdrohungen und Friedenssehnsucht sowie die unerschütterliche Hoffnung auf den einen Frieden. Bei den zwischen drei Sprachen wechselnden Rezitationen und Gesangseinlagen wären Untertitelungen sicher zum Verständnis mancher Feinheiten hilfreich gewesen.

Järvi hat mit dem MDR-Sinfonieorchester einen erfahrenen Klangkörper zur Hand, der in bester Spiellaune die „neuen“ Klangfarben beherrscht. Nicht nur den Musikern gefällt Järvis temperamentvolle Interpretation der Weillschen Musik. Die szenische Darstellung der „Geschichte eines ganz gewöhnlichen Mannes“ namens Johnny Johnson überzeugt ein weiteres Mal davon, dass die Kompositionen von Kurt Weill noch spannenden musikalischen Stoff für viele Festivals bieten.

Ein begeistertes Premierenpublikum steigert sich zu donnerndem Applaus und bedankt sich besonders bei Kristjan Järvi und dem MDR-Sinfonieorchester für eine temporeiche und bewegende Musik.

Horst Dichanz

Fotos: Kurt-Weill-Fest