Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)
24. Oktober 2015
(Premiere)

Theater Bremen,
Theater am Goetheplatz


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Horror à la Gothic

Zu Zeiten Victor Hugos sowie in einer langen Tradition über das französische Grand-Guignol-Theater bis hin zu Horrorfilm-Genres der letzten Jahrzehnte haben Schreckensbilder des Monströsen den Zuschauer fasziniert.

Hugo und auch Verdi als praktisch kalkulierender Theatermann haben sich dieser Mittel bedient. Der buckelige Rigoletto, der Mörder Sparafucile, der skrupellose Herzog, die moralische verkommene Mannschaft der Höflinge bilden das Arsenal einer Männergesellschaft, die nicht nur an dem Mädchen Gilda schuldig wird.

Regisseur Michael Talke versetzt die gesamte Szenerie in eine nächtliche Gothic-Bebilderung mit tiefem Griff in die Monstermaske für alle männlichen Figuren. Rigoletto und Sparafucile mit übermächtigem Buckel sind zum Verwechseln ähnliche Erscheinungen, menschliche Ausprägungen derselben Bereitschaft zum Morden mit nur unwesentlichem Unterschied in der Motivation. Sparafucile mordet schlicht für Geld, Rigoletto, um scheinbar seine Tochter zu rächen, doch im Kern als zumindest teilweise selbstverschuldeter Außenseiter Rache an seinen Umständen und an den Schuldigen der normalen Gesellschaft zu nehmen.

Diese normale Gesellschaft existiert jedoch gar nicht. Alle Männer sind aus einem Kuriositätenkabinett des Monströsen mit körperlichen oder psychischen Verformungen zu erleben, die Ihrerseits auf der Suche nach Rache für ihre Lebensumstände sind und sich am liebsten auf einer schwarzen Messe bewegen.

Diese fast choreographisch ausgeführte Bewegungsfolge wird durch lustvolles Ausspielen des Männerchores immer wieder ironisch gebrochen. Hier gibt jeder seinem Affen Zucker. Die Auftritte verlieren gleichwohl nicht ihren auch für heutige Augen unheimlich-grotesken Charakter.  

Ideales Ziel dieser auch durch sexuelle Repression gesteuerten Meute ist im Regiekonzept das Idealbild des im 19. Jahrhunderts verankerten, archetypischen Bildes einer unbefleckten, engelhaften Tochter, die Opfer des männlichen Begehrens wird. Wie eben Gilda.

Die Bühnenbildnerin Barbara Steiner begleitet die Szenerie mit wechselnden Bilddarstellungen, die Motive eines Malers dieser Epoche,  Gabriel von Max, aufgreifen, der in metaphysischen Darstellungen vornehmlich mit Affenmotiven und überirdischen Frauengestalten, die etwa durch die Pranke eines Löwen bedroht oder unter dem Blick des Mannes wie tot dahingegossen sind. 

Neben den Bühnenbildern sind die Kostüme von Regine Standfuss wichtiger Bestandteil der Umsetzung. Sie überzeugen durch ihre durchgehende theatralische Derbheit und Gradlinigkeit im Gothic-Stil. Den Herzog trifft es besonders arg: Er ist eine verkleidete Puppe in lieblich-hellblauem Puppenkleidchen. Ihm wird nicht das Potenzial einer Individualität zugestanden.

Die Lichtgestaltung von Frederic Dautier hat erheblichen Anteil am Gelingen der Nachtbilder.

Rigoletto und Gilda verlassen zeitweise bei ihren großen emotionalen Ausbrüchen die Schemata ihrer Archetypen und können darstellerisch menschliche Gefühle ausspielen. Damit wird den gefühlvollen Teilen der Musik Verdis an den wichtigen Stellen Rechnung getragen. Das betrifft jedoch nur wenige musikalische Höhepunkte, eine tiefere Auslotung potenziell tieferer, komplexerer Eigenschaften der Charaktere ist so nicht möglich. Schnell sind sie wieder im Schema, dem sie allerdings auch in der Handlung bis zum Schluss ausweglos verfallen sind.

Weitere darstellerische Ausgestaltungen kommen nicht recht auf den Punkt. Nach Gildas Ausbruch aus dem verschlossenen Gefängnis ihrer Kammer und dem Geständnis ihrer Liebe für den Herzog ihrem Vater gegenüber, der sich ihrer nicht annimmt, zieht sie sich wieder in ihre Zelle zurück. Sie wird wiederholt von zwei Doppelgängerinnen begleitet. Die packen auch ihren Koffer zum Auszug aus dem väterlichen Verlies und bringen ihre Utensilien wohlbehalten nach dem gescheiterten Ausbruchsversuch zurück. Rigoletto schraubt Leuchtbirnen in den Bühnenrand, um seiner Tochter die Untreue des Herzogs im dritten Akt und seine Rachetat durch Mord wie auf einer Bühne vorzuführen. Diese Lichter erlöschen bei der Tötung Gildas, die geplante Vorstellung ist Realität geworden, nur anders als geplant. All das sind konzeptionell überzeugende, erweiterte Darstellungen, die jedoch in Teilen zu unauffällig ausgespielt werden und nicht immer eingängig in den Spielablauf integriert sind. Bei Aufführungsserien im Werkstattformat hätten sie möglicherweise eine Chance, durch Nacharbeit verbessert zu werden.

Hyojong Kim als Püppchen-Herzog überzeugt stimmlich auf ganzer Linie. Seine Leistung steht in eklatantem Gegensatz zu seiner skurrilen Kostümierung und Charakterisierung. Marysol Schalit als Gilda betört in dem Spagat der ohne Aussicht auf Erlösung eingesperrten Tochter und ihrem engelgleichen Gesang. Der Rigoletto Claudio Otellis besticht darstellerisch. Sein teilweise raueres Timbre erlaubt eine gesanglich überzeugende Gestaltung des verletzten, verzweifelten Vaters, ist jedoch im Zusammenklang mit anderen Stimmen nicht immer geschmeidig und optimal anpassungsfähig.

Die weiteren Darsteller sind durchweg überzeugend besetzt. Der schön geführte Bass von Patrick Zielke, Monterone im Nosferatu-Look von Loren Lang, Marullo von Jörg Sändig, sowie Wolfgang von Borries als Borsa, Daniel Ratchev als Ceprano und Pauline Jacob als Gräfin Ceprano.

Nathalie Mittelbach personifiziert überzeugend Maddalena, Giovanna und den Gerichtsdiener. Sie fungiert außerdem als das unheimliche Gothic-Nummerngirl vor den Akten und Zwischenvorhängen.

Der Männerchor unter Daniel Mayr singt und tanzt mit größter Lust am Grotesken und trägt ganz erheblich zum Theatralisch-wundersamen der Inszenierung bei.

Das Orchester spielt unter Clemens Heil mit hoher Durchsichtigkeit, farbgenauer Abstufung, sehr differenzierter Dynamik und nimmt nicht wenige Risiken. Es klingt fein und durchhörbar in allen Instrumentengruppen, wenn die Inhalte das im Lyrischen erfordern oder trumpft auf bei Stellen großer Dramatik.

Bremen ist eine Stadt mit langer und von den Bürgern wie in einer Familie mit ihrem Theater gelebter Tradition. Die Begeisterung für alle Solisten, Chor, Orchester und das Leitungsteam ist außerordentlich und lang anhaltend.    
   
Achim Dombrowski

 

Fotos: Jörg Landsberg