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Fakten zur Aufführung 

CARMEN
(Georges Bizet)
10. Oktober 2015
(Premiere am 5. März 2015)

Theater Bremen,
Theater am Goetheplatz


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Wer der echte Macho ist

Die Neuinszenierung eines Klassikers, gar von Bizets Carmen, das kann spannend werden! Natürlich ist es möglich, ist es erlaubt, auch den Bizet-Klassiker, eine der am häufigsten gespielten Opern, neu zu interpretieren und gegen den Strich zu bürsten. Die Regisseurin Anna Sophie Mahler hat das schon in der letzten Spielzeit in Bremen versucht, bei der Wiederaufnahme zu Beginn der neuen Spielzeit jetzt entlarvt sie die klassische Version als „Macho-Oper“ und entkernt sie gründlich.

Mahler lässt die spanisch-folkloristischen Wurzeln der Geschichte dieser fordernden Geliebten, je nach Sichtweise Tänzerin oder Prostituierte, verschwinden und stellt die junge Frau Carmen in ein zeitlich nicht näher bestimmtes Irgendwo. Ein großbürgerliches Ambiente und eine bürgerlich geordnete Gesellschaft bilden den Rahmen, in den auch die Zofe Carmen in der selbstverständlichen Rolle der damaligen Frau passt. Duri Bischoff stellt hierfür einen Saal auf die Bühne, der eine ganze Gesellschaft in Abendgarderobe fasst. Nur im Kontext der Corrida tauchen einige spanisch-folkloristische Elemente auf, wenn der Torero Escamillo im Stierkampfanzug den Einzugsmarsch Auf in den Kampf, Torero! anstimmt. Die Herren im dortigen Herrenclub lassen sich – wie üblich – gern bedienen, ein Zigarren-Raucher-Verein, der nichts als Qualm und Nebel produziert. Carmen taucht in dieser Umgebung als Zofe auf und zeigt Micaela aus Don Josés Haus, das eine selbstbewusste Frau nicht nur im Club Zigarren rauchend mithalten kann, sie lässt Don José nach ihrem Willen tanzen. Er verliert immer mehr die Kontrolle über sich selbst, weil sie – bei Carmen liegt.

Mahler bedient sich mancher Einfälle, um diese Interpretation nachhaltig zu unterstreichen. Sie kleidet den Torero, überzeugend von Loren Lang gespielt und gesungen, in einen roséfarbenen Kampfanzug und nimmt dem Torero den Helden-Nimbus seiner angestammten Rolle. Wenn im letzten Akt der füllige Don José nur noch in bodenlanger Damencorsage auftritt und die Herren des Chores ebenfalls in lächerlichen Bustiers und Corsagen die Bühne verunzieren, weiß auch der letzte Zuschauer: „Der Corrida-Macho ist ein Mythos.“ Don Josés Einlage als Torero endet auf den Hörnern eines niedlichen Jungen, alles „Männliche“ wird machohaft gezeichnet und der Lächerlichkeit preisgegeben. – So weit, so schlecht. Hier wie an vielen weiteren Stellen werden die Machos des ursprünglichen Librettos demontiert, ohne dass die seriösen und weniger seriösen Damen der feinen Gesellschaft diesen Platz füllen könnten. Wenn dann ausgerechnet bei einem der dramatischen und musikalischen Höhepunkte dieser Oper sich Don José von Carmen ab- und einer Tasse ostfriesischen Tees zuwendet, droht dem Zuschauer die Tasse aus der Hand zu fallen. Rache, feminines Glaubensbekenntnis, der Gegenstrich?

Markus Poschner führt die Bremer Philharmoniker mit hohem Tempo durch die Partitur, er lässt die wechselnden Stimmungen variationsreich herausspielen. Der vom Daniel Mayr vorbereitete Chor und der von Jinie Ka betreute Kinderchor sind wichtige Elemente der musikalischen Stimmung.

Theresa Kronthaler als Carmen beherrscht stimmlich und darstellerisch die Szene, sie kann aus dem Vollen schöpfen. Ihr umfangreicher Mezzosopran ist weich genug für die zartesten Liebesszenen, aber auch hart und spitz im Streit. Aus der dienenden Zofe Carmen entwickelt sich im Laufe des Abends eine teuflische, männermordende und verbrauchende femme fatale, die es gewohnt ist, Männer zu ihrem Werkzeug zu machen. Wirksam unterstützt wird ihr zunehmend teuflischer Auftritt durch grell und schrill geschminkte schwarze Augenhöhlen. Sie bestimmt, wohin der Weg geht, wie sich eine Beziehung entwickelt, in aller Dreistigkeit, Härte und Konsequenz – bis hin zum eigenen Tod durch Männerhand …

Der Bruch zwischen Regiekonzept und musikalischer Interpretation wird an ausdrucksstarken Stellen besonders spürbar. Ob Don José von Micaela bedrängt wird, zurück zur sterbenden Mutter zu kommen, ob er seinem Rivalen Zuniga den Tod androht, ob er Carmen mit seiner Liebe bedrängt und sie dennoch ersticht – die Bühnendarstellung kann der intensiven, berührenden Musik von Bizet nicht folgen und bleibt blass. Das gilt besonders für die Darstellung des Don José durch den Tenor Luis Olivares Sandoval, dessen stimmliche Leistung mit häufig dramatischen Akzenten überzeugt, dem man aber darstellerisch kaum eine Erregung abnimmt.

Ein Theaterstück, eine Oper steht und fällt mit der Aufführung. Da mag das Programmheft noch so kluge Interpretationshilfen anbieten, ob von Alfred Hitchcock, Ingo Gerlach, Arthur Schnitzler, Friedrich Nietzsche oder dem Kriminalpsychologen Dietmar Heubrock. Das Publikum bedankt sich für einen merkwürdig widersprüchlichen Abend vor allem bei Musikern und Sängern, bei denen Bizets Musik glänzen durfte.

Horst Dichanz

 

Fotos: Jörg Landsberg