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Fakten zur Aufführung 

TURANDOT
(Giaccomo Puccini)
22. Juli 2015
(Premiere)

Bregenzer Festspiele, Seebühne


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Eisumgürtete Prinzessin vor chinesischer Mauer

Wie ein chinesischer Drache schlängelt sich die 72 Meter lange und bis zu 27 Meter hohe, aus 650 Bausteinen bestehende „chinesische“Mauer. Eingerahmt ist sie von zwei hohen, Zinnen bewehrten Türmen, die die Grenzen der Kaiserstadt aufzeigen. Davor ein kleiner Raum, indem ein Mann am Klavier sitzt. Es ist Puccini, was man an seiner Maske zweifellos erkennen kann, dem nichts einfällt und der mit dem Finale seiner Oper ringt. Dann öffnet er eine Spieluhr, die ihn auch realiter inspiriert haben soll, und das Hauptmotiv aus der Oper erklingt. Da stürzt plötzlich krachend und rauchend der mittlere Teil der Mauer zusammen und zeitgleich setzen die ersten wuchtigen Töne von Turandot ein.   

So spektakulär lässt Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli Giacomo Puccinis letzte Oper beginnen, die sein Schüler Franco Alfano vollendet hat. Auch sonst ist ihm für die Cinemascope-Seebühne, auf die dieses Werk ideal passt und mit dem heuer die neue Intendanz von Elisabeth Sobotka, der ehemaligen Intendantin der Grazer Oper, eröffnet wird, viel eingefallen. Allerdings hat er sich dabei von jener im vergangenen Jahr für Graz erarbeiteten Konzeption, die zuvor bereits in Stockholm gezeigt worden war, leiten lassen. Denn hier wurde die auch sonst nicht wirklich neue Idee, den Komponisten persönlich erscheinen zu lassen, verwirklicht. Stefan Herheim hatte diese Idee sowohl in der Grazer Manon Lescaut in Graz wie auch in Madama Butterfly an der Wiener Volksoper.

Nun, so mutiert Puccini zu Calaf und umgekehrt, und es verschwimmen immer wieder die Realitäten mit den Traumwelten und Ebenen. Hier spürt der Regisseur dem ambivalenten Frauenbild des großen italienischen Opernkomponisten nach, das sich in der grausamen Turandot und der opferbereiten Liù widerspiegelt. Bei keiner anderen Oper sind sein Leben und Werk so stark verbunden wie hier. 

Das Volk ist einerseits in graue Mao-Uniformen und Masken gewandet und erscheint in zackigen Einheitsschritten oder in festlichen Abendroben und Anzügen der 1930-er Jahre, die von Constance Hoffmann stammen, mit verzerrten Masken. Zu dessen Unterhaltung tragen ein weiß geschminkter Pierrot ebenso bei wie auch spektakuläre und lautstarke Schwertkämpfer oder die Hinrichtung des letzten Verehrers der eisumgürteten Prinzessin bei. Diese findet am linken Turm statt. Nach dem Köpfen wird der Körper spektakulär ins Wasser geworfen. Am rechten Turm hingegen sieht man hübsche Damen. Als Herzstück findet sich mittig ein drehbarer Zylinder mit einem aufklappbaren Deckel, der sich für allerlei bunte Projektionen, wie einem chinesischen Drachen oder auch sich ständig gefühlsmäßig verändernde Maskenprojektionen bei der großen Arie der Titelheldin und bei der Rätselszene eignet, und aus dessen Grund der Kaiser Altoum, im Rollstuhl sitzend, erscheint. Eine Terrakotta-Armee umrahmt die Bühne vorne im Wasser stehend und hinten bis in luftige Höhen und scheint durch das irisierend eingesetzte Licht in verschiedenen Farben von innen her zu leuchten und sich zu bewegen. Wie überhaupt die suggestiven Lichtstimmungen viel zur Stimmung beitragen. Die Minister Ping, Pang und Pong, mit bunten grellbunten Kostümen und Masken ausgestattet, wirken im zweiten Akt wie mit Schürzen und roten Handschuhen bewaffnete Pathologen, die alle abgeschlagenen Köpfe der ehemaligen Verehrer in Reagenzgläsern in Vitrinen ausstellen.

Aber abgesehen von wilden Schwertkämpfern, Fahnenschwingern, Feuerkünstlern und riesigen Wasserfontänen zum Finale sowie dezent eingesetztem Kitsch von zwei von innen beleuchteten, herumwandernden Drachen, die man sonst üblicherweise bei chinesischen Umzügen sieht, verzichtet Marelli auf allzu pompöse und spektakuläre Aktionen, sondern vertraut mehr auf die, wie immer sehr ästhetische Macht seiner Bilder und Symbole wie auch auf seine tiefenpsychologische Personenführung bei der Realisierung der Geschichte der grausamen Prinzessin.

Wie schon in Graz schafft Mlada Khudoley die anspruchsvolle, dramatische Partie der Turandot mit wagnerischen Anforderungen an Umfang und Tonsprüngen sowie blitzenden Spitzentönen nahezu mühelos. Ihr ergreifender und sie stimmlich übertreffender Kontrapunkt ist ein Idealfall einer Liù, eines der typischen fragilen Frauenporträts Puccinis: Es sind ungemein zarte, lyrische und innig schattierte Töne von makelloser Schönheit und Innigkeit, mit denen Guanqun Yu berührt. Michael Ryssov ist ein nobel singender Timur. Andrè Schuen singt Ping mit warmem Bariton, exzellent sind auch Taylan Reinhard als Pang und Cosmin Ifrim als Pong, die zudem meist durchchoreographiert agieren. Riccardo Massi als Calaf liefert nach etwas verhaltenem Beginn Kraft, Glanz und wunderbare Höhen. Manuel von Senden ist ein idealer Altoum. Yasushi Hirano gibt einen kraftvollen Mandarin. Hervorzuheben ist auch der durchschlagskräftige Bregenzer Festspielchor, der Prager Philharmonische Chor und der Kinderchor, deren Einstudierung Lukás Vasilek und Benjamin Lack besorgten, und die wie die Sänger mit dem im benachbarten Festspielhaus agierenden Orchester meistens, aber nicht immer im Einklang sind.

In diesem wirkt Paolo Carignani. Obwohl Open Air immer Vergröberung bedeutet, setzt er Puccinis Partitur meist delikat, feinschillernd und mit breit gewählten Tempi um. Um dieses und die Sänger relativ naturgetreu hören zu können, nur anfänglich wirkte so manches etwas verschattet, sorgen unzählige Lautsprecher in den Kulissen. Carignani weiß bei den gut disponierten Wiener Symphonikern die Balance so zu dosieren, dass das feinnervige Raffinement wie auch die subtilen, exotisch-koloristischen Klangwirkungen voll zur Geltung kommen. Gespielt wird der übliche Schluss von Franco Alfano, dieser allerdings sogar erstmalig in Österreich ungekürzt, was vielleicht weniger kompakt und homogen wirkt, aber das Zueinanderfinden des Liebespaares dramaturgisch ungleich glaubhafter wirken lässt.

Heftig herzlicher, relativ kurzer Applaus für die Protagonisten und das Leitungsteam durch das Publikum, das sich auch durch gelegentlich einsetzenden Nieselregen nicht verdrießen lässt.

Helmut Christian Mayer

Fotos: Karl Forster