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Fakten zur Aufführung 

WINTERREISE - FREMD BIN ICH EINGEZOGEN
(Franz Schubert)
10. April 2015
(Premiere)

Theater Bonn


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Schaurig schön

Ehrlich gesagt: Nach etlichen Erfahrungen mit mehr oder weniger verkrampften szenischen Realisierungen und grenzwertigen musikalischen Arrangements von Franz Schuberts Liederzyklus Die Winterreise sind die Gefühle auf der Fahrt nach Bonn durchaus gemischt. Die Mitwirkung von 60 Jungen und Mädchen des Jugendchors des Theaters Bonn ist allerdings doch zu verlockend. Und das Ergebnis beeindruckt auf ganzer Länge. Regisseur Jürgen R. Weber und die musikalische Leiterin Ekaterina Klewitz stellen ihre Arbeit nicht so sehr unter das Zeichen einer Endzeitstimmung, wie man von es von Interpretationen gestandener Sänger kennt, sondern betonten den Aspekt der Einsamkeit, der auch jungen Menschen gerade im Pubertätsalter nicht fremd ist und der sich bis zu akuter Lebensmüdigkeit gerade in jungen Jahren steigern kann. Insofern geht dieser „Kranz schauriger Lieder“ auch und gerade junge Menschen eine Menge an.

Und das zeigen die jungen Künstler mit Nachdruck. Zunächst besticht die exzellente Klangkultur und präzise Wortverständlichkeit des Chors. Im Dialog mit dem ebenfalls jungen Tenor Christian Georg stellten sich verblüffende Eindrücke ein. Der todtraurige Gehalt vor allem der Schlussgesänge – Das Wirtshaus, Die Nebensonnen und Der Leiermann – erhält durch die hellen, frischen Stimmen einen Kontrast, der den Gesängen einen zusätzlich schaurig schönen Glanz verleiht. Und wenn sich der Chor zum Lindenbaum wie ein Gesangsverein aufstellt, unterbricht auch schon einmal der verzweifelte Ruf einzelner ausgegrenzter Teenies das drohende Idyll. Dass nicht jede Nuance des inhaltlichen Gehalts der Lieder so nuanciert ausgefeilt klingt, wie man es von einem arrivierten Solo-Sänger erwarten darf, fällt überhaupt nicht ins Gewicht.

Klewitz sind auch die instrumentalen Arrangements für Klavier, Saxophon, Violoncello und Harfe zu verdanken, die den Grundklang der Lieder dezent aufhellen, die glänzend zu den Stimmen des Jugendchors passen und über jedes noch so düstere Lied einen Hoffnungsschimmer leuchten lassen. Eine Fassung in dieser Besetzung könnte auch im Rahmen einer rein konzertanten Aufführung eine nachhaltige Wirkung erzielen.

Bedarf es da noch einer szenischen Realisierung? Ja und nein. Im Grunde sprechen die 24 Gesänge für sich. Aber gerade für die jugendlichen Mitwirkenden bringen die Vorbereitung und Durchführung einer großen Bühnenproduktion mit Kostüm, Maske und dem finalen Gemeinschaftserlebnis vor dem Publikum einen kaum zu überschätzenden Erlebnis- und Erfahrungswert mit sich.

Und die Begeisterung merkt man der konzentrierten Darstellung in jedem Takt an. Regisseur Weber gestaltet jedes Lied individuell. Die Titel werden in unterschiedlicher Aufmachung auf die Rückwand projiziert, davor präsentieren die Jugendlichen mit ihrem professionellen Kollegen, dem Tenor Christian Georg, in verschiedenen Formationen kleine Spielszenen, die allesamt um die Furcht vor der Einsamkeit kreisen. Grell geschminkt wandern die jungen Leute in bunten Kostümen wie entwurzelte Zigeuner über die Bühne. Am Ende des todesnahen Leiermanns folgen die meisten wie einem Rattenfänger dem Saxophonisten in eine dunkle, ungewisse Zukunft. Einige sperren sich und nehmen einen anderen, hoffnungsvolleren Weg.

Ein Sonderkompliment verdient das Publikum. Das Theater ist nahezu voll besetzt. Auch wenn viele teilweise deutlich jüngere Geschwister das Parkett bevölkern, bleibt es während der 70-minütigen Vorstellung mucksmäuschenstill. Umso begeisterter bricht am Ende der Beifall auf. Und der ist mehr als verdient.

Pedro Obiera

Fotos: Thilo Beu