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Fakten zur Aufführung 

SALOME
(Richard Strauss)
1. Februar 2015
(Premiere)

Theater Bonn


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Eine schrecklich verkommene Familie

Unter allen Werken des Komponisten, schreibt der englische Musikschriftsteller William Mann in seinem Buch über das Opernwerk von Richard Strauss, sei die Salome „in Anbetracht der kompositionellen Vollendung das brillanteste und weitestausgreifende“. Doch selbst unter Berücksichtigung ihrer außerordentlichen musikalischen Vollendung „neigen wir, im kalten Tageslicht, dazu, Salome als die unflätigste aller existierenden Opern anzusehen, weit unflätiger als Wildes Drama, da durch die Musik alles viel deutlicher wird“. Nimmt die Salome als Zäsur gegenüber der Hochromantik des 19. Jahrhunderts und Schlüsselwerk der Moderne eh eine Sonderstellung ein, so hält sie auch eine Sicht auf die Verhältnisse dieser biblischen Familie aus, die nicht minder modern ist. Die das Monströse, Exzessive, Bizarre des Stoffes von Wilde und Strauss mit der Perversion und Zerstörung der menschlichen Existenz in ihrer fragilsten Form verbindet, der Schändung von Kinderseelen durch sexuellen Missbrauch. Eine solche Deutung ist jetzt im Opernhaus Bonn zu sehen, phasenweise gar zu bewundern. Radikal fällt hier die Aneignung von latenten Tabus und unterdrückten Gegenwelten aus, eingewoben in eine Qualität der Oper, die mancher, dem Genre fern, aber dessen Ablehnung sicher, einem Stadttheater gar nicht zutrauen dürfte.

Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka, die Inszenierung, Bühne und Kostüme wie schon bei der Bonner Benjamin-Produktion Written on Skin verantworten, lassen ihre Salome in einem Kaffeehaus wohl zur Zeit der Dresdener Uraufführung 1905 im Stil der Belle Époque spielen. Oder doch nicht ganz. Das Ambiente ist in schwarz-weiß gehalten. Nazarener, Soldaten und andere agieren in schwarzen Uniformen, wie man sie mit dem Faschismus assoziiert. Tische und Stühle sind, um 90 Grad verschoben, an der seitlichen Wand fixiert. Es gibt weder den Zauber des Lichts von Jerusalem, noch den mal silbernen, mal von Wolken verhüllten legendären Mond, in den Salome ihre Sehnsüchte und Strauss seine Orchesterpracht injiziert. Schon der erste Blick auf die Bühne enthüllt, was der Abend konsequent durchhält. Nicht orientalischer Kitsch, sondern die zeitlose Abrechnung mit einer krank machenden Familienkonstellation.

Die Psyche der Kindfrau Salome, die den Propheten begehrt, jedoch von ihm verschmäht und dadurch irreversibel verletzt wird, lässt sich mit den drei Begriffen Lust, Angst, Verstörung fassen. Exzessiv, wild, euphorisch ihre Gefühle beim Anblick des schönen Jünglings, der die Dekadenz der Herodes-Sippe anprangert. Schrill, schroff, enervierend ihre Artikulation, als sich nach der Abweisung durch Jochanaan ihr Empfinden in sein Gegenteil verkehrt. Wofür sich in Bonn die Regisseurin Szemerédy in enger Zusammenarbeit mit ihrer Ausstatterin interessiert, ist jedoch nicht die Femme fatale, der Prototyp der unangepassten Frau, die um 1900 in das wissenschaftliche Blickfeld rückt. Nicht eine etwaige Vorläuferin der Lulu, wie sie dann Alban Berg auf die Bühne bringt. Das künstlerische Gespann interpretiert und erklärt das Monströse der Salome aus den psychopathologischen Familienbanden inklusive Ehebruch und diversen Morden, die das Drama des missbrauchten Kindes erst hervorbringen. Damals im Judäa der christlichen Neuzeit, heute in den sozialen Brennpunkten unserer Großstädte, in den scheinbar intakten Verhältnissen auf dem Lande und dem ebenso scheinbar ehrbaren Bürgertum. Die Verkommenheit der Prinzessin ist in diesem Verständnis keine moralische Verirrung des Individuums, die dann vorwerfbar wäre. Sie ist das Produkt einer inzestuösen familiären Grundstruktur, die durch Verschweigen und Vertuschen zementiert und von Generation zu Generation perpetuiert wird. „Es bleibt in der Familie“, lautet der doppeldeutige Titel eines dazu hilfreichen Beitrages des Bonner Operndirektors Andreas K.W. Meyer im Programmheft.

Um ihr Inszenierungskonzept deutlich zu machen, lässt Szemerédy ihre aus einer empathischen Frauenperspektive verstandene Salome einen Prozess durchleben, der eine Art Regression als Navigator aufweist. Die Sopranistin Nicola Beller Carbone verwandelt sich innerlich und äußerlich vom ekstatischen Weib in das junge Mädchen, das von seinem Vater, einem Bruder des Tetrarchen, sexuell missbraucht wurde. Dieser aufwühlende Akt, der die Stadien der seelischen Zerstörung eines Kindes in beklemmenden Zuckungen heraufbeschwört, vollzieht sich zeitlich parallel zum ominösen Tanz der sieben Schleier – dramaturgisch höchst effektvoll. Danach hockt sie/es im Matrosenkleidchen am Boden. Im dramaturgisch modifizierten Finale küsst Salome nicht den Kopf des Jochanaan auf einem Silbertablett. Hineingerollt wird der Torso des Schänders von einst, was das Spektakel um einige Grade ins Schaurige verschiebt. Gesteigert wird diese Projektion der Salome noch durch das nächste Bild. Die abgetrennten Häupter von Salome und ihrer Mutter Herodias antizipieren das Ende der Geschichte, wenn der Vorhang längst gefallen ist. In der Männerwelt eines Herodes, der bezeichnenderweise am Leben bleibt, haben die Frauen keine Chance und keine Perspektive. Ein starkes Fanal dieser Inszenierung in einer Zeit, in der einmal mehr und wieder grausig Menschenrechte, vor allem die Rechte von Frauen von patriarchalischen Systemen zumeist religiöser Spielarten unterdrückt werden.

In 14 Inszenierungen des grandiosen Einakters seit ihrem Rollendebüt 2003 hat Carbone bislang die Prinzessin gegeben. Das für sie völlig neue Konzept bewältigt sie bravourös und mit wachsender Selbstverleugnung. Dabei verlangt die spielerische Zumutung dieser Rolle ihr so viel Energie ab, dass man sich über ihre sängerische Leistung nur wundern kann, auch dann, wenn sie nicht in allen Phasen den Anspruch an die „16-jährige Prinzessin mit der Isolden-Stimme“ erfüllt, den Strauss mehr oder weniger ernsthaft verlangt. Das degenerierte Paar auf dem Thron findet in Roman Sadnik als Herodes und Anjara I. Bartz als Herodias eine vorzügliche Besetzung. Beide überzeugen in vokaler wie spielerischer Hinsicht. So entlarvt Sadnik den Charakter des Parvenü im Palast mit einem einzigen Satz, wundervoll gespielt. Die Nachricht vom Suizid des Narraboth kommentiert er lakonisch: „Ich erließ keinen Befehl, dass er getötet werde.“ Johannes Mertes ist im Übrigen mit schlankem Tenor ein glaubwürdiger junger Hauptmann. Eine Offenbarung dieser Aufführung ist Mark Morouse als Jochanaan. Sein Bariton ist raumfüllend und von jener deklamatorischen Wucht, die die Rolle des Fundamentalisten einer nur behaupteten Moral erfordert. Lisa Wedekind macht als Page der Herodias aus ihrem Part das Beste. Das gilt auch für die zahlreichen Akteure in den weiteren Rollen als Juden, Nazarener und Soldaten. Last not least die Extraleistung des Tanzpaares Nathalie Brandes und Olaf Reinecke. Den Schleiertanz adeln die beiden in einer hinreißenden Wiedergabe von Standardtänzen wie Tango und Wiener Walzer.

Die insofern dem Tristan Wagners ähnliche durchkomponierte „unendliche Melodie“, die Strauss mit einem irrwitzigen Spektrum an musikalischen Farben, neuartigen Tonsprüngen und chromatischen Wagnissen für einen mächtigen Orchester-Apparat komponiert hat, bringt das Beethoven-Orchester Bonn unter GMD Stefan Blunier souverän zur Geltung. Ob im mitreißenden Orchesterzwischenspiel oder in den subtilsten Passagen mit einsamem Kontrafagott und beschwörender Klarinette – Blunier führt sein Orchester auf großes Strauss-Niveau.

Der Beifall des Publikums, der leider zu früh, weil jäh nach dem Finale des Grauens einsetzt, honoriert die Gesamtleistung aller Protagonisten mit anhaltender, wenn auch nicht überschäumender Emphase. Besonders akzentuiert ist die Resonanz für Carbone. Im Hinausströmen scheint die Bereitschaft des Publikums, über die Aufführung diskutieren zu wollen, signifikant höher als sonst. Bonns Oper hat jetzt ein Stück im Repertoire, das es in sich hat. Opernkultur gekoppelt mit Relevanz und etlichen Steilvorlagen für den Diskurs. Ein forderndes, ein ganz starkes Stück in der zweiten Spielzeit des Intendanten Bernhard Helmich.

Ralf Siepmann

Fotos: Thilo Beu