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Fakten zur Aufführung 

DIE PERLENFISCHER
(Georges Bizet)
24. Januar 2015
(Premiere am 1. Januar 2015)

Theater Bonn


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Exotisches in Samt und Seide

Zwei, drei Highlights aus der Oper des gerade 25-jährigen Bizet haben es zu einer respektablen Popularität gebracht. Zumindest eines davon, das schwelgerische Duett Au fond du temple saint von Nadir und Zurga, hat sich über Jahrzehnte in den Wunschkonzerten des Rundfunks behauptet, dem einstigen Kern der traditionellen Familienunterhaltung am Sonntagnachmittag. Mancher Besucher einer konzertanten Aufführung von Georges Bizet Die Perlenfischer ohne Neigung zu einer vertieften Begegnung mit dem lyrischen Frühwerk des Hochbegabten wird vor allem der Beschwörung der gottgleichen Weiblichkeit von Tenor und Bariton förmlich entgegenfiebern. Zum Glück erklingt es schon ziemlich früh im ersten der drei Akte, auf dass sich die Spannung lösen und interessierter Aufmerksamkeit weichen mag. Wer indes sehr bewusst in die konzertante Produktion geht, um mit Entdeckergeist und allen Sinnen das ganze Werk zu hören, wird - wie jetzt in der Oper Bonn – durchaus hierfür entlohnt. Um den künstlerischen Gesamteindruck vorwegzunehmen: Die Summe ist wie häufig auch hier mehr als die bloße Addition der Einzelteile. Den größten Anteil daran haben ohne Zweifel die Sänger der drei Hauptpartien. Wie groß die Aufführungsdividende dann ausfällt, bleibt freilich offen.

Bizets nach einer Rom-Reise entstandener und 1863 in Paris uraufgeführter hochdramatischer Flirt mit dem exotisch verklärten Ceylon der vorkolonialen Zeit ist ein musikalisch schon sehr professioneller, wenn auch formal nicht vollendeter Teppich des sinnlichen Wohlklangs. Eindringlich und genussvoll die Schilderung der exotischen Natur und ihrer Gewalten. Wundervoll einfühlsam die Zeichnung der Lebenswelten der Menschen, gefangen in der Enge ihres diesseitigen Seins und ihrer Projektionen des Jenseitigen auf die Symbole Brahma und Shiva. Kolorit pur. Ein Machwerk fürwahr im besten Sinne. Wie schon vor Jahren der Musikjournalist Pedro Obiera anlässlich der CD-Veröffentlichung des Werks unter dem Dirigenten Jean Fournet zutreffend unterstrichen hat, versperrt die lyrische Grundausrichtung der Oper in Verbindung mit den evidenten Schwächen des Librettos weitgehend ihre Eignung für das Repertoire. Umso essentieller für die Akzeptanz des Publikums die Verantwortung, genauer: die Qualität der musikalischen Akteure.

Großes Format hat unter den drei Hauptpartien mit Abstand die Leila von Sumi Hwang, die den herausragenden Eindruck der Aufführung hinterlässt. Wie in Samt und Seide – je nach Szene und emotionaler Verfassung – ist ihr Sopran unterwegs. So geschmeidig singt sie ihre Kantilenen, so betörend ihre Koloraturen. Bonns Almirena in der Produktion von Händels Rinaldo erst vor wenigen Wochen trifft das weite Spektrum der Empfindungen, die diese Partie zwischen Liebesverlangen und Aufopferungsbereitschaft erfordert, famos. Ihre Kavatine Me voilà seule dans la nuit zu Beginn des zweiten Aktes ist die Inkarnation des Lyrischen schlechthin. In dieser Dimension ist prinzipiell auch die Rolle des Nadir angelegt, die der Tenor Tamás Tarjányi mit schönem Timbre und sicherer Höhe interpretiert. Sein großer Auftritt, die Romanze Je crois entendre encore, eben einer dieser Wunschkonzert-Hits, gelingt ihm mit Bravour. Dabei mag es unerheblich sein, dass der Umstieg in die Kopfstimme nicht von jenem Schmelz getragen ist, wie ihn die Großen des Genres über die Jahrzehnte geprägt und auf Tonträgern hinterlassen haben.

Tarjányi bewegt sich und seine Stimme in Bonn ziemlich souverän, auch weil er seine Rolle weitgehend im Kopf hat. Das scheint bei Evez Abdulla, der die Bariton-Rolle des Zurga gibt, anders zu sein, zumindest phasenweise. Mal wie im Klassiker Au fond du temple saint, dem Duett mit Nadir, erlebt ihn das Publikum tief in sich und seinem Part, mal dicht am Pult, die Partitur fixierend, als wolle er sie sich gerade erarbeiten. Priit Volmer als Nourabad ist von solchen Aspekten frei. Sein Bass ist tief und überzeugt, die Rolle hingegen klein und ohne Chance, sich groß zu profilieren.

Gemischte Eindrücke hinterlässt der Chor des Theaters Bonn, den Volkmar Olbrich einstudiert hat. Verhalten, fast unterkühlt zu Beginn. Intensiv, zupackend eigentlich erst im Finale des zweiten Aktes. Jetzt gilt es ja auch, gegen den Aufruhr der Natur anzusingen. Es ist augenscheinlich und unüberhörbar kein leichtes Unterfangen, die wild wechselnden Klanggebilde einer dem Sujet ausgelieferten Partitur eines selbst von Sturm und Drang beseelten Komponisten zusammenzuhalten. Johannes Pell gelingt das mit dem Beethoven-Orchester Bonn im Großen und Ganzen recht gut, dabei immer wieder eine Körpersprache in die Waagschale werfend, die nicht frei von Ergötzlichkeiten ist. Insgesamt aber eine Leistung, die das skizzierte Postulat der Verantwortung bei der konzertanten Aufführungspraxis einlöst.

Das erkennt auch das Publikum an, mit anhaltendem Beifall, der mehr als freundlich ausfällt und bei Sumi Hwang eine deutlich höhere Frequenz erreicht. Von Friedrich Nietzsche, der Bizet verehrte, gibt es die Anekdote, er habe eine Aufführung der Perlenfischer nach dem ersten Akt verlassen, offenkundig von der ganzen Sache nicht mitgerissen. Derlei ist in Bonn nicht zu beobachten. Auch das sei gesagt.

Ralf Siepmann

Fotos: Thilo Beu