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Fakten zur Aufführung 

HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN
(Jacques Offenbach)
15. März 2015
(Premiere)

Theater Bonn


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Die Faszination des Ruinösen

Wetten, dass Scintille, diamant, miroir où se prend l’alouette gegenwärtig eine der Lieblingsarien des Generealintendanten der Bonner Oper, Bernhard Helmich, ist? Dapertutto besingt in diesem Kabinettstück für jeden Bariton einen Diamanten, über den er verfügt und dessen Funkeln ihm zur Macht über die Frauen verhilft. Einen solchen funkelnden Diamanten besitzt nun Helmich. Hoffmanns Erzählungen, Jacques Offenbachs Opéra-fantastique, am Bonner Haus am Rhein ist ein großer Wurf, ein wunderbares Spektakel und eine sinnenfrohe Revue des Monströsen. Auf die Bühne gezaubert mit allen künstlerischen und handwerklichen Mitteln, die ein bestens motiviertes Stadttheater in die Waagschale zu werfen versteht. Bonns Premierenpublikum reagiert mit Jubel und übertrifft sich in minutenlanger Zuwendung allen Akteuren gegenüber selbst. Ein Jahr nach Hilsdorfs Bonner Aida in der vergangenen Spielzeit, gespickt mit allerlei lokalen Bezügen und Anspielungen, ist er wieder einmal geglückt, der Brückenschlag zwischen der Kunst und der Öffentlichkeit, soweit sie sich mit dieser verbündet.

Zu verdanken ist der kreative Umgang mit Offenbachs Unvollendeter, die der Fünfakter auf einen Text von Jules Barbier im Grunde bis heute ist, vielen. Dem engagiert und inspiriert spielenden Beethoven-Orchester Bonn unter der musikalische Leitung Hendrik Vestmanns, dem durchweg bravourösen Sängerensemble, einer großen Zahl aufopferungsvoll agierender Choristen, Statisten, verführerischer Tänzerinnen und – diesmal ganz besonders – dem für die Inszenierung verantwortlichen Renaud Doucet und seinem Partner und Ausstatter André Barbe, der Bühnenbild und Kostüme in den Rang eines originären Kunstwerks erhebt. Seit Beginn des Jahrzehnts arbeiten die beiden Franko-Kanadier im Tandem als Apologeten eines Regiertheaters, das dem Genre Oper nichts raubt, seinen Charakter nicht zerstört, sondern die Magie ins Zentrum nimmt, die ihm seit seinen venezianischen Anfängen zu eigen ist. An der Hamburger Staatsoper erzählten sie kürzlich Offenbachs Opéra bouffe La Belle Hélène an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Wer weiß, wo die Arabella spielen wird, die sie in Kürze im blauen Zelt der Kölner Oper inszenieren werden?

In Bonn spielt die Geschichte des Dichters und Träumers, ein romantischer Bilderbogen des künstlerischen Ringens um Identität und zugleich ein Entwicklungsroman über die Unfähigkeit zu lieben, in einem Szenario von Ruinen. Doucet und Barbe – man entscheidet sich unter den zahllosen Fassungen und Adaptionen des Werks für die Version von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck – siedeln ihr Konzept in den Konturen eines abgebrannten Theaters an, so die desaströsen Umstände der Entstehungsgeschichte zitierend, die sich mit Offenbach und seiner einzigen komischen Oper verbinden. Dieses Szenario eignet sich vorzüglich, um Akt für Akt jeweils neue Tableaus hervorzubringen, die gut mit der individuellen Stimmung und dem Charakter der Protagonisten korrespondieren. Spielt die Rahmenhandlung in einer als „Höllenbar“ ausgeflaggten Quasi-Kaschemme mit integriertem Offenbach-Konterfei, so gibt es bis zu ihrer Reprise im Schlussakt einen spektakulären Bilderbogen zu bestaunen. Schauplatz des Olympia-Akts ist ein Kabinett des Bizarren, in dem der Physiker Spalanzani seine pseudomenschlichen Automaten fabriziert. Für den Antonia-Akt, das musikalisch und szenisch am meisten fordernde Mittelstück in der Tradition der klassischen deutschen Romantik, hat der Ausstatter unter Anleihen bei der Stummfilmkunst ein eisiges Ambiente geschaffen, im wahrsten Sinne des Wortes. In Eis erstarrt Raum und Mobiliar, eisig die Atmosphäre zwischen Vater und Tochter, wie erfroren die schon Todkranke, dem Leben entfremdet wie Hoffmann der Liebe. Opera on ice. Schließlich der Giulietta-Akt, der Superlativ der erotischen Obsessionen des Titelhelden, ein lasziv aufgeladenes Varietétheater als Hort des Schwelgerischen aller Färbungen, der tödlichen Gier und des schmachtenden Verlangens.

Um das Personal auf der Bühne und vielleicht auch das Publikum im Saal muss man eigentlich anfänglich bangen. Es ist kein Geringerer als der Teufel, der sich gegen das Ungemach erhebt, das ihm Offenbach schon mit seinem Orpheus in der Unterwelt bereitet hat. Doch nicht nur geht alles gut, bleiben die über der Szene schwebenden Wassernixen unversehrt, die sich als eine Reminiszenz an Offenbachs Romantische Oper Die Rheinnixen deuten lassen. Mehr noch. Wie im Theater des Grotesken reiht das Inszenierungsteam eine Verblüffung an die nächste. Olympia, irgendwie Mensch und doch Automat, bewegt sich mit wunderbar eingeübten Trippelschritten zur Musik im Stil der Opéra comique als Personifizierung des Skurrilen. Sie weiß einen Busen den ihren, den sie bis zum Herzen aufknöpfen kann. Und die ihr anmontierten Kunstbeinchen vermag sie in alle Richtungen zu schwenken, verführerisch wie einst Sharon Stone in Basic Instinct übereinander zu kreuzen und selbst hinter den Kopf zu bewegen. Eine großartige Darstellerleistung der Sopranistin Netta Or, um das gleich vorwegzunehmen.

In Hoffmanns Zauberwelten ist der nämliche der einzige, der im Outfit eines Studenten unter uns Heutigen leben könnte. So unprätentiös um Aktualität heischend die Symbolik, so stark der Kontrast zu den bronzefarben geschminkten Gestalten, als die sich der Komponist selbst, Auftritt und Person wechselnd, mitsamt der Muse unter das Personal seiner Oper mischt. Besonders umjubelt der Einfall, Offenbach und Nicklausse alias die Muse im Schlussbild als Orpheus und seine Gespielin Eurydike in der Unterwelt zu präsentieren – eine Hommage an den großen Komponisten und seine Schöpfung eines eigenen Operetten-Genres unabhängig von der Art Wiens.

Als hätte der Teufel irgendwie doch seine Hände im Spiel, sieht sich Helmich vor Beginn der Aufführung gehalten, zwei potenzielle Handicaps zu den Sängern mitzuteilen. Für den ursprünglich vorgesehenen und verhinderten Tenor Ali Magomedow aus dem Bonner Ensemble gibt der noch junge, aber schon international gefragte Tenor Sébastien Guèze den Hoffmann mit einer alles in allem beeindruckenden Leistung. Das ist auch deswegen anzuerkennen, weil sich der Franzose kurzfristig in eine Fassung der Oper zu integrieren hat, die eben nicht so in Stein gemeißelt ist wie etwa der Carlo in Verdis gleichnamiger Oper. Sein Tenor ist in der Höhe schmelzend und ausdrucksstark, verliert allerdings in den tieferen Registern, wie auch gegen Ende des strapaziösen Ganzen überhaupt. Netta Or ist, wie gesagt, nicht nur spielerisch, sondern auch gesanglich eine Wucht. Hier erfüllt sich Helmichs Mitteilung, die Sopranistin, die alle vier Frauen in Hoffmanns Utopie spielt, könne womöglich noch unter den Folgen einer Erkrankung leiden, gerade nicht.

Martin Tzonev, als Lindorf, Coppélius, Dapertutto und Dr. Miracle multipel gefordert, singt die unterschiedlichen Charaktere mit großer Einfühlung und einer stets präsenten Bassstimme. Der Bariton Rolf Broman überzeugt in den Rollen als Luther und Crespel vor allem als Antonias Vater mit melodischer Qualität. Das gilt auch für Susanne Blattert, die für die Rolle La Muse und Nicklausse wie prädestiniert erscheint. Christian Georg setzt als Cochenille, Pitichinaccio oder auch Frantz den einen oder anderen Glanzpunkt. Die weiteren Akteure – Johannes Mertes als Andrés und Spalanzani, Enrico Döring als Hermann, Jonghoon You als Nathanael, Sven Bakin in den Partien Wolfram und Schlémil, Boris Beletskiy  als Wilhelm sowie Charlotte Quadt, die Stimme der Mutter Antonias – arrondieren den überzeugenden Gesamteindruck.

Das Beethoven-Orchester Bonn und der von Volkmar Olbrich vorzüglich einstudierte Chor des Theaters Bonn werden den spezifischen Anforderungen der Komposition nicht nur gerechnet. Sie treffen Offenbachs idée musicale. So ein Abend gelingt kaum ohne intensive Einfühlung in den Stil der opéra bouffe, die ja etwas Eigenes repräsentiert und keineswegs die Fortentwicklung der italienischen oder französischen Oper darstellt. 

Dieser Hoffmann lässt Freude aufkommen, gerade in der aktuellen Bonner Kulturdebatte. Wie naheliegend die Überlegung, gelänge es Dapertutto mit seinem Diamanten, jenen Teil der streitbaren Bürgerschaft in das Haus am Rhein zu locken, die Bonns Musiktheater klein und schlecht reden, ohne seine Hervorbringungen mutmaßlich überhaupt zu kennen. Dapertutto, übernehmen Sie!

Ralf Siepmann

Fotos: Thilo Beu