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Fakten zur Aufführung 

GIOVANNA D'ARCO
(Giuseppe Verdi)
26. Oktober 2014
(Premiere)

Theater Bonn


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Eindrucksvoll unschlüssig

Ja, sagt die 22-jährige Studentin im Foyer, die intensive Auseinandersetzung mit dieser Johanna sei schon sehr lohnend. Dabei lächelt sie beglückt, augenscheinlich positiv gestimmt darüber, überhaupt oder noch angesprochen zu werden, während schon die Klingel zum Betreten des Zuschauerraums drängt. Eine Überraschung für Besucher der Premiere in der Bonner Oper ist dieser Service allemal. Studierende der Musik- und Theaterwissenschaften haben sich gründlich mit der Verdi-Oper Giovanna d'Arco befasst, mit dem historischen Stoff und seinen zahlreichen dramatischen Adaptionen von Schiller bis Shaw und Anouilh, mit dem Libretto des Temistocle Solera und seinen Eingriffen in die Historie. Eine gute Idee der Musiktheaterpädagogin Rose Bartmer am Bonner Haus, dieses Potenzial Interessierten zugänglich zu machen. Denn das Theater einer Stadt muss hineinwirken in seine Stadt, wenn es eine akzeptierte, konstruktive kulturelle Rolle spielen soll und will. Im Idealfall mit den großen Stoffen des Musiktheaters in die Schulen, in die Betriebe, in all die Institutionen hineingehen und Diskurse anzetteln, in denen sich Meinungen über den Stellenwert des Theaters bilden. Doch leider kommt eine solche Initiative spät, allzu spät, vielleicht ist sie zu singulär. Bekanntlich hat die Oper in der finanziell strapazierten Bundesstadt einen schweren Stand.

Mit Giovanna d'Arco starten Generalintendant Bernhard Helmich und sein Team noch ein anderes Experiment. Erklärtermaßen richten sie den Fokus auf eine Reihe von Neubefragungen früher Verdi-Opern, „die auch nach dem gerade zurückliegenden Verdi-Jahr nach wie vor ungerechterweise im Schatten der späteren Meisterwerke stehen“. Da darf man sich auf manche Entdeckung freuen nach den guten Erfahrungen, die zum Beispiel mit I due Foscari,Ernani, Attila und Luisa Miller zuletzt auf diversen Bühnen gesammelt worden sind. Nun gibt es allerdings viele Gründe, Giovanna d'Arco eben nicht in einer szenischen Fassung auf die Bühne zu bringen. Allenfalls konzertant, wie Anna Netrebko und Plácido Domingo im vergangenen Jahr mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Paolo Carignani in Salzburg bravourös unter Beweis stellten. Solera hält sich vorgeblich an Schillers Theatervorlage, reduziert aber das dort reichlich vorhandene Personal von 27 auf drei Protagonisten sowie zwei Nebenrollen und bringt so das Opernpublikum um wesentliche Dimensionen der Geschichte des Aufstiegs eines auserwählten Bauernmädchens zu einer Ikone der Befreiung und – im modernen Sinne – der Selbstbestimmung der Frau. Einer jungen Frau, die es aus den einfachsten Verhältnissen bis auf Augenhöhe des kirchlichen und royalen Establishments schafft.

Verdi ist 1845 in der Verlegenheit, der Mailänder Scala zum Karneval kurzfristig ein neues Werk liefern zu müssen. Obendrein ist er gesundheitlich angeschlagen. Quellenrecherche ist so seine Sache nicht. Dankbar und beglückt greift er die Gelegenheiten auf, die ihm Solera bietet, mit Elementen der grand opéra zu spielen sowie eine ganze Batterie an martialischen musikalischen Einfällen zu entzünden. Schließlich komponiert Verdi in der Epoche des Risorgimento, dessen Symbolfigur er noch werden soll. Das Resultat, sein Dramma lirico, ist aus heutiger Sicht eine Oper des Übergangs, ein Exerzierfeld für Kommendes, um beim Martialischen zu bleiben. Spuren der Antizipation durchziehen den Prolog und die drei Akte. Dabei nimmt er musikalisch Macbeth und in der dramatischen Durchdringung beispielsweise Rigoletto vorweg.

Nun gibt es allerdings auch gute Gründe, eine Inszenierung von Giovanna d'Arco zu wagen, wenn das wie in Bonn mit einem couragierten konzeptionellen Ansatz geschieht. Die Leitung des Hauses war so kühn wie großzügig, erstmals das Bühnenbild und die komplette Inszenierung dem Opernvideokünstlerteam Momme Hinrichs und Torge Møller anzuvertrauen. Unter dem Label fettFilm haben die beiden für zahlreiche Inszenierungen von Regisseuren wie Willy Decker, David Pountny, Peter Konwitschny und insbesondere Stefan Herheim die Videokunst geliefert, so bei dessen Parsifal für Bayreuth 2008.Nun also erstmals die Gesamtverantwortung für eine Theaterproduktion und die große Chance einer Beweisführung für ihre Option der Verschmelzung von Video mit anderen Medien zu einem Gesamtkunstwerk. Denn eben das ist ja die in zahlreichen Interviews beschworene Vision von Hinrichs und Møller, sich nicht mit dem Medium Video in bloßer Koexistenz oder der Dekoration von Bühnenräumen abzuarbeiten, sondern mehrere künstlerische Ebenen miteinander zu verknüpfen. Video also nicht als ein Mittel von Bühnenausstattung unter anderen, sondern als Medium der Symbiose von Theater und Film, von Dramaturgie und Kinematographie.

In der Bonner Aufführung bringt fettFilm mit einigen Videosequenzen ganz ohne Zweifel starke Momente hervor. Visuell beeindrucken die Projektionen auf den Gazevorhang, die Prozesse der Verwandlung von Natur und Szene zeigen. So wird aus der konventionellen Treppe in der großen Halle der Burg von Domrémy ein profaner wurzeldurchzogener Waldweg. Blätter von Bäumen und Blüten von Rosen ändern ihre Farben, leuchten auf oder werden matt und grau. Im Finale korrespondieren Videobilder der Kathedrale von Rouen und des bekannten Standbildes der Jeanne d’Arc in Reims der Gestalt der Giovanna, der so mythische Universalität zugesprochen wird. Und immer wieder lodern die Video-Flammen, besonders dann Furcht einflößend, wenn sie sich mit dem hoch aufgerichteten christlichen Kreuz mit der angeketteten Protagonistin zu einer Apotheose des Schreckens vereinen.

Gerade in dieser Projektion wird die Crux dieser Inszenierung offenkundig. Die historische Jungfrau erlitt, durch vielfältige Quellen belegt, 1431 in Rouen den Tod auf dem Scheiterhaufen. Solera und Verdi lassen dagegen ihre Opern-Giovanna auf dem Schlachtfeld sterben, was nicht zuletzt den musikalischen Kunstgriff erlaubt, ihr mit Che mai fu? noch eine großartige Abschiedsarie auf den sterbenden Leib zu schreiben. Was nun Hinrichs und Møller bewogen haben mag, die geschichtliche mit der für die Bühne konfektionierten Version in einem Opernkino der Doppelbödigkeit zu koppeln, dürfte ihr Geheimnis bleiben. Den Stoff durchziehen ja noch ganze andere Fäden, die uns heute angesichts der Bedrohung von Aufklärung, individueller Freiheit und humanistischen Menschenrechten schmerzlich bewusst werden. Das Schicksal der historischen Figur der Johanna ist ja nicht zuletzt aus einer Epoche des religiösen Fanatismus und des nationalistischen Wahns zu deuten. Damals beruft sich der Mob auf den bloßen Anschein, von einfachen Feindbildern und üblen Demagogen mit ihren pervertierten Wahrheiten aufgehetzt. Heute müssen wir Tendenzen eines Roll back wiederum im Namen einer vermeintlichen religiösen Wahrheit beobachten. Doch es gibt keine absolute Wahrheit. Und es kann keine Wahrheit geben, die die Verbrennung und das Sterben von Menschen unter Granaten und Bomben legitimieren. fettFilm bleibt leider in Anspielungen auf Napoleon und Schwarz-weiß-Kriegsbildern im Stil der frühen Wochenschauen stecken. Schade, denn das Zeug dazu, die gesellschaftlichen Konflikte der Figuren Verdis plausibel zu machen, hätten die Videokünstler allemal.

Das haben dann auf alle Fälle das Sängerensemble, der Chor und Extrachor des Theaters Bonn sowie einmal mehr das Beethoven-Orchester Bonn. Jacquelyn Wagner, die amerikanische, in Berlin lebende Sopranistin, ist eine überzeugende Giovanna, die die beiden Facetten der Opernheldin, die Kriegerin mit Schwert und Panzerhemd sowie die innig Liebende, glaubhaft gestaltet. Außer jeder Kritik ist ihr an Mozart- und Puccini-Partien geschulter Sopran ohnehin. Ähnliches lässt sich von George Oniani in der Rolle des französischen Königs Carlo erst im Verlauf der Aufführung sagen. Sein Tenor klingt anfänglich überlaut und angestrengt, bevor er die Belcanto-Sicherheit trifft, die diese Rolle auch ausmacht. Tadellos bringt der Bariton Maxim Aniskin als Giacomo, Giovannas Vater, seinen Part durch den Abend. Ihn zeichnen Tiefe und melodiöses Charisma. Als sich alle drei in der diffizilen A-capella-Passage Pronta sono finden, ist das musikalische Niveau des Abends vorgezeichnet. Es ist vom Feinsten. Daran haben das Beethoven-Orchester Bonn unter seinem musikalische Leiter Will Humburg und nicht zuletzt der von Volkmar Olbrich einstudierte Chor einen herausragenden Anteil. Mit Christian Georg als Delil und Martin Tzonev, der denTalbot gibt, sind auch die beiden Nebenrollen angemessen besetzt.

Was von Bonns Giovanna d'Arco unter dem Strich zu sagen ist, als Eindruck vielleicht bleibt? Ein Opernereignis der Musik, lautet die Antwort des Publikums, wie aus seinem langanhaltenden, zum Schluss stürmischen Applaus zu schließen ist. Einige Besucher sehen sich zum Szenenbeifall praktisch schon mit dem Ende der ersten Carlo-Arie im Prolog motiviert. Im Verlauf der Aufführung gedeiht diese Anteilnahme hier und da schon zu unangenehmen Irritationen. Die arg geschundene Oper Bonns hat ja sicherlich einiges nötig. Gewiss aber nicht ein Feedback der Übermotivation.

Ralf Siepmann

Fotos: Thilo Beu