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Fakten zur Aufführung 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
27. September 2015
(Premiere)

Theater Bonn


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Wir sind Erik

Nein, nein, dieser Holländer macht sich keine Illusionen, jemals heimzukommen. Daland gegenüber outet er sich gleich beim ersten Zusammentreffen: Unmöglich dünkt mich`s, daß ich nenne die Länder alle, die ich fand- das eine nur, nach dem ich brenne, ich find es nicht – mein Heimatland! So kauft er sich auch rasch beim norwegischen Seefahrer ein, um in seinem Haus Obdach zu bekommen. Und eröffnet ihm die Aussicht auf noch größere Reichtümer, als er von Dalands Tochter vernimmt. Diese, Senta, soll sein Weib werden und ihm vom Fluch der ewigen Odyssee über die Weltmeere erlösen, indem sie ihm, dem „Fremdling“ die Hand gereicht. Sein Kalkül, Rettung, Bleibe und Glück ausgerechnet auf eine hochsensible, realitätsferne Außenseiterin zu bauen, kann aber nicht aufgehen.

Senta ist zwar zur Empathie, gar zur Liebe befähigt, projiziert aber, wie der Wagner-Forscher Udo Bermbach analysiert, „ihr zu Hause entstandenes Bild des Holländers auf dessen Person wie umgekehrt dieser seine Hoffnung von einem sich bedingungslos opfernden Weib mit Senta verbindet“. Die Folge ist ein doppeltes Scheitern in diesem frühen Spiel um Menschen auf der Flucht, die ankommen wollen und es doch nicht schaffen, physisch nicht und seelisch nicht. In Richard Wagners romantischer Oper von 1843 nicht und vielfach heute nicht, in einem Land, in einem Kontinent dramatischer Flüchtlingsbewegungen.
Voller Botschaften und Anspielungen, offener wie verdeckter, auf die Aktualität ist Walter Schützes Inszenierung der Oper Der fliegende Holländer, bei der der studierte Architekt als sein eigener Ausstatter gleichsam alle Register höchst selbst zu ziehen vermag. In einem Interview hat er sich vehement gegen eine Attitüde des „Zeigefingers“ in seinem Konzept für das Bonner Theater ausgesprochen. Und angemerkt: „Aber wenn ich eine Geschichte erzähle, in der etwas Fremdes über das Meer kommt, das eine neue Heimat sucht, kann ich nicht ignorieren, dass das etwas mit uns heute zu tun hat.“ Aus dieser reflektierten Grundhaltung entwickelt Schütze eine Sicht auf Wagners Erlösungsmythos, die der gegenwärtigen, weithin naiven, arg- und vernunftlosen Schwärmerei um Willkommenskulturen einer selbst nach Erlösung heischenden Mehrheitsgesellschaft eine bitter nötige Kultur der konstruktiven Skepsis und der ehrlichen Folgenabschätzung entgegensetzt.

Daland, nehmen wir einmal an, hätte vermutlich seine einzige Tochter nicht verloren, hätte er nur einmal über den vergoldeten Tellerrand der ihm zufallenden Schätze hinaus gedacht und sich ernsthaft mit den skurrilen Phantasmagorien Sentas befasst. In Schützes auf Kammerspieldimension reduzierten Beziehungskonflikt kranker oder krankmachender Strukturen gewinnt – und das ist der inszenatorische Clou dieser Produktion – einzig Erik an Statur und Format. Wird der designierte Senta-Ehemann in vielen Holländer-Inszenierungen als schwach, kleinbürgerlich und einfältig gezeichnet, profiliert der Regisseur den jungen Jäger als erstarkende Persönlichkeit, die einzig die Zeichen des Geschehens zu begreifen und überdies zu wahrer Liebe in der Lage ist. Wir sind Erik, ließe sich ein populäres Massencredo der letzten Monate abwandeln. Wenn der simplifizierenden und falsch überhöhten Parole Wir sind Charlie nach dem Attentat auf die Redaktion des Pariser Satireblatts eine Komponente des Vernünftigen immanent gewesen sein mag, so dürfte sich diese in der Projektion auf Erik eignen, zu Bonn in der Oper, darüber hinaus auf die vielen, die sich in seinem Denken heute heimisch fühlen könnten.

Wie schön, wie stimmig, dass mit Paul McNamara als Erik auch die imponierendste Figur unter den insgesamt überzeugenden Sängerdarstellern zu registrieren ist. Kraftvoll und hervorragend nuanciert sein insbesondere melodiös beeindruckender Tenor. Ergreifend und voller Theaterleidenschaft sein Spiel im Kampf um Senta, Existenz und Liebe. Souverän auch und auf voller Wagner-Höhe Magdalena Anna Hofmann als Senta und Mark Morouse als Holländer. Der Bariton bewältigt die hohen Anforderungen der Rolle und speziell die vokale Herausforderung Die Frist ist um … mit Bravour. Hofmann hat große Momente vor allem in den Duetten mit dem Holländer, in denen Wagner letztmals auf den Spuren Bellinis wandelt. Hingegen sind bei Priit Volmers Gestaltung des Daland deutliche Abstriche nicht zu verschweigen. Es fehlt an Substanz und Vokalität, was ein überzogenes Tremolo auch nicht zu kompensieren vermag. Christian Georgs Steuermann ist gut gelungen, hingegen Anjara I. Bartz als Mary zu überdreht. Hier ist keine Amme am Werk, sondern eine Stimmungskanone aus irgendeinem Musikantenstadl.

Großes Musiktheater bieten der Chor und Extrachor, einstudiert von Volkmar Olbrich, sowie die Statisterie des Theaters Bonn. Die mit knallgelben Gummistiefeln ausstaffierten oder in Kapuzenkostüme im Stil der Kölner Geisterzüge zu Karneval gehüllten Matrosen imponieren durch vokale Emphase und große Spielfreude. Ihnen stehen die Damen des Frauenchores nicht nach; lustvoll agieren sie im Spinnchor der Dorfmädchen. Nicht zuletzt ergötzt eine hingebungsvoll mitspielende Kinderschar das überwiegend hochdisziplinierte Premierenpublikum. Das Beethoven-Orchester Bonn steigert sich unter der musikalischen Leitung Hendrik Vestmannns in große Wagner-Form, die eine gewisse Zögerlichkeit in der Ouvertüre am Ende vergessen macht. Die Blechbläser ragen heraus. Wagner schrieb ihnen Gewaltiges auf Horn, Posaune und Trompete, und so danken die Bonner es auch dem Meister, mit Vehemenz.

Der Beifall ist, für Bonner Verhältnisse, stark, anhaltend und partiell mit Jubelrufen gespickt. Getrübt wird diese Kulisse der Willkommenskultur gegenüber der neuen Spielzeit durch einige Buhrufe, die sich offensichtlich gegen das Regiekonzept wenden. Ob das Bühnenbild missfällt, ist schwer auszumachen. Tatsächlich gelingen Schütze, 2012 von einem Fachmagazin für seine Salome-Bühne in Bozen und Piacenza zum „Bühnenbildner des Jahres“ erkoren, im Raum der Reduktion formidable Tableaus. Lichtrahmen mit wechselnden Farben schaffen Akzente, die flächigen mobilen Hintergründe korrespondieren. Diese erinnern ausschnittweise an Arbeiten Mark Rothkos. Natürlich ergreift Schütze, der Ausstatter, die dem Stoff immanente Chance, mit allerlei Schiffsmodellen en miniature zu spielen. Mal kommen sie an Schnüren von der Decke, mal sind sie hinter Glas in einem Schrank deponiert, einem Schrein vergleichbar.

Intendant Bernhard Helmich und sein Team werden mit der Reaktion des Publikums gut leben können. Man strapaziere nur sein Erinnerungsvermögen, was sogenanntes Regietheater in den letzten Jahren alles angerichtet hat. So gesehen, ein überdurchschnittlicher Saisonauftakt.

Ralf Siepmann

Fotos: Thilo Beu