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Fakten zur Aufführung 

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
28. September 2014
(Premiere)

Theater Bonn


Points of Honor                      

Musik

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Auf dem kleinsten korrekten Nenner

Das Werk ist edel, aber fad“. So antwortete Johann Ritter von Herbeck Mitte des 19. Jahrhunderts auf die ihm häufig gestellte Frage, warum der Fidelio an der k.k. Hofoper so selten aufgeführt werde. Nur ein geringer Teil des Publikums, sagte der Wiener Dirigent, habe Verständnis für diese „symphonische Oper“. In der Tat zieht sich ein eigentümliches Spannungsverhältnis zwischen Werk und Öffentlichkeit durch die Rezeptionsgeschichte der einzigen Oper Ludwig van Beethovens. 1805 fiel das Werk bei der Uraufführung im Theater an der Wien bei einem Publikum glatt durch, das Buffa-Stoffen vom Typ Die unglückliche Ehe durch Delikatesse oder die kolossalen Kompositionen eines Salieri, Cherubini oder Paer favorisierte. Die Uraufführung der revidierten und seitdem endgültigen Fassung 1814 im Kärntnertortheater zu Wien sicherte Beethoven zwar die ersehnte Akzeptanz, nicht zuletzt bei Hof und Hofintendanz. Gleichwohl bleibt seitdem jede Inszenierung der disparaten und heterogenen Melange aus divergierenden Elementen und Stilen von Musik und Theater ein heikles Unterfangen.

Heikel ist auch die Geschichte der Produktionen des Fidelio in den vergangenen Jahrzehnten in Bonn. Ausgerechnet in der Geburtsstadt des Komponisten, möchte man meinen, die einen Fidelio zum Vorzeigen – idealerweise im Zusammenspiel mit dem alljährlichen Beethovenfest Bonn – ebenso selbstverständlich braucht wie die Wiener Staatsoper „ihren“ Rosenkavalier oder die Mailänder Scala „ihren“ Trovatore. In der Spielzeit 1983/84 macht ein Bühnenbrand die TV-Pläne des Generalintendanten Jean-Claude Riber zunichte. Mit dem ZDF war vereinbart worden, seinen vor allem im Sängeraufgebot ambitiösen Fidelio aus der „Scala am Rhein“ deutschlandweit zugänglich zu machen. Wenige Tage vor der Aufzeichnung durchkreuzt das Feuer alle Verträge und Erwartungen. 2005 provoziert der Regisseur Günter Krämer mit seiner Sicht auf das Drama im Staatsgefängnis von Sevilla das Premierenpublikum dermaßen, dass dieses mit „Aufhören!“-Rufen reagiert. Schlussendlich verschwindet das Stück nach einigen Vorstellungen gänzlich vom Spielplan.

Nun also der neuerliche Versuch, im Theater am Boeselagerhof einen Fidelio zu kreieren, der das Zeug hat, ein Kernstück des Repertoires und mit wechselnden Besetzungen ein Standard des Beethovenfests Bonn in den kommenden Jahren zu werden. Diese Intention ist so etwas wie das ständige Unterfutter der Art und Weise, wie sich Regisseur Jakob Peters-Messer seiner Aufgabe stellt. Straffer und kürzer ist seine Interpretation angelegt, weniger fordernd, dichter wohl an den Wahrnehmungsgewohnheiten eines Publikums im multimedial überbordenden Zeitalter. Folglich sind die gesprochenen Dialoge auf ein Minimum reduziert. Folglich wird auf die Wiedergabe einer der drei Leonoren-Ouvertüren verzichtet, die manche Dirigenten gern nach dem Duett von Leonore/Florestan O namenlose Freude einzufügen pflegen, um ein markantes Innehalten vor dem eruptiven Finale zu ermöglichen. Folglich ist das Ganze auf gerade einmal zwei Bühnenstunden komprimiert.

Das Libretto von Joseph Sonnleithner und Georg Friedrich Treitschke beruht auf einer mutmaßlich wahren Begebenheit während der Französischen Revolution, die schon Jean Nicolas Bouilly in seiner Textbearbeitung für Piere Gaveauxs Oper Leonore oder die eheliche Liebe aus Sorge vor der Zensur nach Spanien verlegte. Die Geschichte der liebenden Frau, die ihren aristokratischen Ehemann aus dem Kerker befreit und dem Despoten trotzt, ist eminent politisch, weil als Fanal gegen jegliche politische Unterdrückung und Staatsgefängnisse jedweder Art gerichtet. Seit 200 Jahren ist sie für Regisseure eine potenzielle Vorlage, sie mit jeweils aktuellen Zuständen von Tyrannei und Verfolgung korrespondieren zu lassen. Peters-Messer wendet sich dagegen bewusst von der Tradition ab, der Idee der grenzenlosen universalen Freiheit eine angemessene politische Bühne zu zimmern. Seine Inszenierung im Gespann mit dem Bühnenbildner Guido Petzold will vor allem eines: Vermeidung aller politischen Kontexte. Vermieden werden Anspielungen auf aktuelle Krisen- und Konfliktherde weltweit, die uns die Fragilität der Humanität und der friedlichen Zivilisation schmerzlich bewusst machen. Vermieden werden geistig-dramaturgische Quer- und Rückpässe in ideologische Räume, in denen wieder einmal neue und alte fundamentalistische Konzepte zur Legitimation von Terror gegen Menschen und Völker konstruiert werden. Vermieden werden Bilder und Deutungen, die mit dem Risiko behaftet sein könnten, nicht political correct zu sein. Das ist dann Stadttheater auf einem Nenner frei jeglichen Wagnisses.

Zu Beginn des Geschehens ist im Vordergrund der Bühne ein Berg schwarzer Schuhe zu sehen, die von Marzelline, der Tochter des Kerkermeisters Rocco, und dem Pförtner Jaquino nach und nach zu einer Reihe geordnet werden. Ein Bild, das vielleicht Assoziationen an KZ-Bilder auslöst, aber dann eine singuläre Erscheinung bleibt. Auch das Staatsgefängnis ist als beliebiges ahistorisches Konstrukt aus Gittern, Stacheldraht und Stahltreppen gebaut. Stringenz ist nicht gewollt. Dunkelschwarz ist die Szene, in modernem Grau agieren die Protagonisten, an die Zeit Beethovens erinnern die Uniformen und Gewehre mit aufgepflanztem Bajonett. Ihn interessiere, hat der Regisseur über sein Verständnis des Fidelio gesagt, eher der metaphysische Aspekt des Stoffes, die geistige Ebene, die sich als „Ort religiöser Spiritualität“ begreifen lasse. Peters-Messer, einst Regieassistent von Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin, argumentiert, Beethoven selbst sei noch über die ohnehin im Libretto angelegte Affinität der Handelnden zu Gott hinausgegangen und habe „seine Ideen bewusst sakralisiert“.

Gewiss ein bemerkenswerter, auch innovativer Einstieg in eine denkbare autonome Interpretation – zumal in Verbindung mit dem Bonner Beethovenfest, dem konzeptionell einiges an Weiterung und Fundierung zu wünschen wäre. Nur, leider, ist Peters-Messer seinem eigenen Einfall nicht weiter gefolgt. Bisweilen liegen die Ideen eh überkreuz. Marzelline, ein Beispiel, bewegt sich anfänglich in kurzem, pinkfarbenem Tüll, ein Lichtpunkt in all dem Schwarz-Grau. Am Ende erscheint sie wieder in Pink, dann aber im langen Kostüm. Der Spaß des Unpolitischen, wenn es ihn überhaupt gegeben hat, ist vorbei. Ist das die Botschaft? Banal, aber immerhin?

Ob nun opernmutierte Sinfonie oder sinfonisch strukturierte Oper – unter seinem Chefdirigenten Hendrik Vestmann schwingt sich das Beethoven-Orchester Bonn nach verzeihlichen Startschwierigkeiten zu einer spielerischen Höhe auf, die Festivalniveau verrät. Wie sich die Hörner zu Beginn in den Genius der Partitur Beethovens erst hineintasten, später, so bei Leonoras Arie Komm, Hoffnung laß den letzten Stern in die jagende Extase hineinsteigern, ist ganz große Opernkunst. Wie Vestmann seinen Musikern alle Nuancen dieser Opern-Sinfonie von der extremen Verzweiflung im Pianissimo bis hin zur jubelnden Befreiung im Fortissimo entlockt, lässt für die mögliche Entwicklung eines eigenen Fidelio-Klangs des Beethoven-Orchesters hoffen. Wie ihm die Abstimmung mit dem von Volkmar Olbrich glänzend einstudierten, grandios agierenden Chor und Extrachor des Theaters Bonn gelingt, ist bestechend. Kann man eigentlich den Evergreen, den Chor der Gefangenen Oh welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben, immer wieder hören, vielleicht gar neu hören? Ja und nochmals ja, wenn man ihn mit dieser Hingabe zu musizieren versteht, wie das den Bonnern nach dem Premiereneindruck zu Eigen scheint.

Noch stärker als in der vergangenen Spielzeit als Aida ist Yannick-Muriel Noah in der Titelpartie die Beglückung des Abends. In Gesang und Spiel avanciert sie zur Inkarnation der empathischen Frau schlechthin, nicht nur „Retterin des Gatten“, sondern letztlich Bewahrerin der Utopie der Humanität. Ihr ausdrucksintensiver Sopran leuchtet, ihre Mimik durchfährt alle Stufen vom Entsetzen bis hin zur beseligten Erlösung. Ihrem persönlichen und sängerischen Charisma irritierenderweise völlig entgegengesetzt ist Christian Juslin in der Rolle des Florestan zu erleben. Besser, das gerade nicht: Seine überfordert und angestrengt klingende Tenorstimme nervt durch ein permanentes Tremolo. Seine Aussprache lässt jegliche Verständlichkeit und jegliches Verstehen der Librettotexte vermissen. Ein doppelt Gefangener mithin, seines Peinigers Don Pizarro und seiner künstlerischen Grenzen. Mark Morouse ist mit Wucht und Verve ein glänzender Gouverneur des Staatsgefängnisses und überzeugt erneut seine wachsende Anhängerschaft. Nikola Hillebrand gibt mit juveniler Innigkeit und charmanter Ausstrahlung eine begehrenswerte Marzelline. Tamás Tarjányi als Jaquino lässt mit sanguiner Tenorstimme spüren, warum er ihr so heftig nachstellt. Giorgos Kanaris verbreitet als Don Fernando regierungseigene Autorität. Einzig Priit Volmer fällt in der Gestaltung der Figur des Rocco artikulationsbedingt ein Stück ab.

Das Publikum umjubelt seinen neuen Fidelio, das prächtige Beethoven-Orchester Bonn, den famosen Chor und das Sängerensemble, ungeachtet erkennbarer Nuancierungen. Kein Zweifel: Auch hier spielt Noah in einer eigenen Liga. Weitgehend große Sympathie schlägt dem Regieteam entgegen. Ende gut also, damit alles gut? Mitnichten. Im großen Finale hat Leonore die Ketten ganz vorn am Bühnenrand abgelegt. Sie sind gelöst. Und erlöst von seinen Qualen ist Florestan, das Sinnbild aller Eingekerkerten. Doch noch lange nicht erlöst ist das Theater Bonn, das die Ketten einer immer restriktiver werdenden Kulturpolitik in der Bundesstadt am Halse spürt. Riber, der erwähnte frühere Impresario, hat einst mit Rückgriff auf ein Goethe-Wort geraten, der Künstler solle höher stehen als auf den Zinnen der Politik. Der neue Fidelio hätte dabei ein Stück Befreiung bringen können, nicht unbedingt über den Zinnen der Politik, aber in einem größeren produktiven Abstand zu ihr. Schade, weil misslungen. Und leider keine „namenlose Freude“.

Ralf Siepmann

Fotos: Thilo Beu