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Fakten zur Aufführung 

NO LONGER MOURN FOR ME
(Ralph Vaughan Williams et al.)
8. November 2014
(Premiere)

Christuskirche, Bochum


Points of Honor                      

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Trauer und Küsse von Shakespeare

1943 muss die evangelische Kirchengemeinde in Bochum feststellen, dass ihre Stadtkirche als „Totalverlust“ bei einem Bombenangriff auf das benachbarte Stahlwerk Bochumer Verein völlig zerstört ist. 1957 eröffnet sie neben dem alten Turm einen modernen Neubau als Kirche der Kulturen. Die strenge, schnörkellose Architektur der Christuskirche im Zentrum von Bochum, ihre klaren, gar kantigen Linien, ein schmuckloser, aber nicht unfreundlicher Andachtsraum passen vorzüglich zu der A-Capella-Musik, die 23 Sängerinnen und Sänger des Chor-Werkes Ruhr heute Abend den Zuhörern präsentieren. Aus einem Stamm von etwa 50 Sängerinnen und Sängern kann Matthes Hamilton auf diese musikalisch geschulten Ensemblemitglieder des Chor-Werkes Ruhr zurückgreifen. Seit 2011 hat Florian Helgath diese 1999 gegründete Gruppe professioneller Sänger geschult und zu einer Aufführungsreife geführt, die Chormusik auf höchstem Niveau bietet. Neben der Zusammenarbeit mit namhaften Dirigenten und Orchestern arbeitet das Chor-Werk Ruhr alljährlich mit der Ruhrtriennale zusammen.

Der volle Einsatz aller Stimmen füllt ohne Mühe den hohen Kirchenraum, schnell sind musikalische Linien erkennbar, die die einzelnen Stimmen ziehen. Ralph Vaughan William, Komponist aus England, nimmt in seiner Vertonung des Shakespeare-Gedichtes No longer mourn for me (Bin ich einst tot, sollst Du nicht länger trauern) die Hoffnungslinie auf, die Shakespeares Text vorzeichnet. Die jungen Stimmen des Chores zeigen ihre starke Ausdruckskraft und eine prägnante Färbung.

Im Wechsel mit dem Chor trägt Alexander Khuon ins Deutsche übersetzte Texte von Shakespeare vor, zu denen neben besinnlich-melancholischen Themen auch Teile der Narrenlieder oder das schöne Sonett Mir, schöner Freund, mir wirst du niemals alt gehören. Khuon wählt einen klaren, unangestrengten, fast beiläufig erzählenden Stil seiner Rezitation, bleibt sehr sparsam in Gestik und Mimik und lässt damit dem Chor den Vortritt, ohne die Intensität der Texte zu beschädigen.

Mit Vertonungen weiterer Shakespeare-Texte prägen moderne Kompositionen des Finnen Jaako Mäntyjärvi, des aus hugenottischem Haus stammenden Schweizers Frank Martin, des Letten Eriks Esenvalds mit einer Auftragskomposition und des britischen Komponisten John Tavener mit einer deutschen Uraufführung das Programm. Der Chor präsentiert damit ein ungewohntes, europäisches Musikrepertoire modernen Chorgesangs, dem eine gewisse „Intellektualität“ eigen ist. Die ganze Bandbreite seiner Ausdruckskraft kann der Chor in Mantyjärvis Four Shakespeare Songs präsentieren, in denen vom sanften Einstieg über schnelle Forte-Passagen und stark rhythmische Elemente bis zu flageolettähnlichen Klängen und einem abschließenden „Fußdonner“ alles verlangt wird. Der Chor überzeugt dabei neben seiner Musikalität durch seine beachtliche Sprechdisziplin.

Im zweiten Teil des Abends tauchen neben stark meditativen Elementen auch einige Soloeinschübe und überraschende Glasklänge auf. Unter der präzisen Leitung von Matthew Hamilton gelingen dem Chor die unterschiedlichsten Ausdrucksformen und Stimmungen, bei denen häufig die Klangfarbe durch einen besonders starken Sopran geprägt ist.

Auch wenn die Kirche für dieses Konzert nicht ganz gefüllt ist, bedankt sich ein sachkundiges Publikum begeistert für ein Konzert, das mit wechselnden Stimmungen und expressiven Klängen durch einen Teil zeitgenössischer Chormusik führt, bei dem man die harmonisch-anheimelnden Klänge mancher Lutherschen Kirchenchoräle vergeblich sucht. Das Chor-Werk Ruhr vermittelt mit seinen modernen Klängen eine besondere, unprätentiöse Art einer „anderen Frömmigkeit“, mit der wohl auch Shakespeare einverstanden gewesen wäre. Viele Klänge überwinden in diesem Konzert ein hoffnungsloses mourning – Trauern.

Horst Dichanz

Fotos: Pedro Malinowski