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Fakten zur Aufführung 

LA CENERENTOLA
(Gioacchino Rossini)
16. Novtember 2014
(Premiere am 8. November 2014)

Theater Bielefeld


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Was es heutzutage nicht alles für Casting-Shows gibt, die rauf und runter gesehen und zitiert werden. Natürlich in Kurzform: DSDS, VoG, GNTM, und wie sie nicht alle heißen. In Bielefeld haben nun Regisseur Florian Lutz und Dramaturgin Larissa Wieczorek in Rossinis La Cenerentola die Mutter aller Casting-Shows entdeckt: Prinz in Inkognito sucht Frau fürs Leben und veranstaltet einen Ball mit Koloratur-Sängerinnen. Mit dem Prinzen und dem Märchen hat sich das Regieteam aber schwer getan und hält sich stattdessen an die bittere Theater-Realität. Die Geschichte erfährt man auf Koreanisch mit deutschen Übertiteln: Das schlecht subventionierte Theater wird von einem koreanischen Kunstliebhaber namens Ramiro aufgekauft, der unter den Sängerinnen auch die Frau fürs Leben sucht – vorausgesetzt, sie kann Belcanto singen. Eine Findungsjury muss her, den Vorsitz hat Berater Alidoro. Der abgesägte Intendant Magnifico hat unter seinen Sängerinnen seine beiden Favoritinnen Clorinda und Tisbe, aber Alidoro fasst die wenig von ihren Kolleginnen geliebte Angelina ins Auge. So müssen sich die drei Damen erstmal ordentlich blamieren, ehe sie dem neuen Chef gegenübertreten dürfen. Ramiro wiederum tauscht mit einem Bühnenarbeiter namens Dandini die Rollen, um die Sängerinnen in Augenschein zu nehmen.

Es ist überraschend, wie gut man dieses Konzept aus Rossinis Oper transportieren kann. Glücklicherweise überstrapaziert Lutz nicht das Casting-Show-Thema, das in den ersten 20 Minuten sehr gut eingebracht wird und dann nahtlos in die normale Handlung des Stückes übergeht, ohne diesen Faden zu verlieren. Dadurch, dass das gesamte Stück ja nun im verkauften Theater spielt, spart sich Martin Kukulies das Bühnenbild – denn das ist ja schon da. Stattdessen setzt er die Bühnentechnik und die üblichen Requisiten eindrucksvoll in Szene und packt die Darsteller in realistische Kostüme. Anzüge, Abendkleider, Blaumann – eben das, was man im Theater so alles findet. Auch Repetitor Adam Laslett darf mitspielen und findet Cembalo oder Klavier immer wieder woanders auf der Bühne vor. Selbst einige Zuschauer werden mit einbezogen und zur Weinverkostung auf die Bühne geholt, wo sie das gesamte Finale miterleben. Interaktion ist eben alles, dicht gefolgt von Kurzweile, und die gibt es an diesem Abend reichlich, nebst viel Gelächter.

All das, was auf der Bühne ist, landet am Ende im Container, bereit zum Verschiffen – inklusive auch einiger Orchestermitglieder. Der einzige Wermutstropfen der Inszenierung ist, dass einiges an Musik auf der Strecke bleibt oder auch mal geändert wird. Die Ouvertüre wird zuerst weggelassen, es findet ein Non-piu-mesta-Vorsingen statt. Zum Auftakt des zweiten Aktes wird dann die Ouvertüre – leider gekürzt – gespielt und die Arie des Don Magnifico fällt auch der Schere zum Opfer. Schade eigentlich. Bedauerlich ist auch, dass die Szene den Geist von Rossinis leicht verrückter Musik besser umsetzt als die Interpretation von Kapellmeisterin Elisa Gogou. Sie geht angesichts einer sehr turbulenten Szene auf Nummer sicher und schlägt durchweg moderate Tempi an. Vielleicht sogar eine kluge Entscheidung, da sich auch kurz nach der Premiere eine sichere Balance nicht eingestellt hat. Die Bielefelder Philharmoniker klingen in dieser Sonntagnachmittag-Vorstellung etwas behäbig, begeistern aber mit viel Liebe zum klanglichen Detail.

Sängerisch ist diese Produktion tadellos und souverän. Als Alternativbesetzung für die in der Premiere gefeierte Adriana Bastidas Gamboa weiß auch Nohad Becker zu überzeugen. Mit ihrem schönen, dunklen Timbre und einer gut fokussierten Stimme vermag sie solistisch wie auch im Ensemble Akzente zu setzen. Lianghua Gong ist aus stimmlicher Sicht ein Prinz Charming mit einfühlsamen Qualitäten, darstellerisch etwas blasser, was aber zum Kunstsammler passt. Roman Astakhov gibt regiebedingt nicht den trotteligen Alten, sondern den aufgeblasenen Intendanten, was man auch seiner hörenswerten vokalen Interpretation anhört. Caio Monteiro singt den Dandini eine Spur zu monochrom, weiß das aber mit Parlando, Koloraturen und Spielwitz auszugleichen. Franziska Rabi als Tisbe, Nienke Otten als Clorinda sind einfach nur richtig gut drauf. Yoshiaki Kimura angenehmer und weicher Bass passt hundertprozentig zum Berater Alidoro. Der von Hagen Enke einstudierte Männerchor ist als Aktionäre eine Luxusbesetzung mit leichten Tempoproblemen.

Das Publikum sieht über manche musikalische Schwäche hinweg und freut sich richtig glücklich über einen unterhaltsamen Nachmittag. So einfach und so effektiv kann man eine Oper zu einem kleinen Spektakel für jedes Alter machen. Und wer nicht von selbst darauf gekommen ist, für den sei hier noch die Überschrift erklärt: Ich-bin-eine-super-talentierte-Voice-of-Rossini-gesucht-vom-Theater-Bielefeld – holt-mich-hier-raus. Für alle anderen gilt: Geht da bloß rein.

Christoph Broermann