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Fakten zur Aufführung 

HUMAN REQUIEM
(Johannes Brahms)
27. März 2015
(Premiere am 11. Februar 2012)

Radialsystem


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In der Nähe liegt die Kraft

Als im Februar 2012 im Berliner Radialsystem human requiem Premiere feierte, ahnte wohl kaum einer der Mitwirkenden, zu welch einem lang anhaltendem Erfolg sich Jochen Sandigs szenische Version vom Brahms‘ Deutschem Requiem entwickeln würde. Dabei hatte der Rundfunkchor Berlin schon davor mit seiner Initiative „Neue Wege in der Vermittlung von Chormusik“ für manch spannendes Crossover-Projekt gesorgt. Doch sich eine theatralische Umsetzung dieses Meilensteins der Chormusik vorzustellen, fiel schwer. Die Aufführung wurde zum Ereignis und ist nun gut drei Jahre später und nach zahlreichen Gastspielen im In- und Ausland Ende März für drei Aufführungen wieder zu ihrem Ursprung zurückgekehrt.

Das Publikum betritt auf Strümpfen den Saal des Radialsystems, aus dem die Bestuhlung entfernt ist. Die Schuhe sind auszuziehen, so Dramaturgin Ilka Seifert in ihrer Einführung, um während des Konzertes unnötige Geräusche zu vermeiden. Denn jedem Besucher steht es frei, zu stehen, zu wandeln oder eine der wenigen Sitzgelegenheiten an der Wand zu nutzen.

Nach und nach erscheinen die Chorsänger, mischen sich unter das Publikum und beginnen das Selig sind, die da Leid tragen zu singen. Aus allen Ecken tönt es, ganz nah an einem selbst oder von weiter her, trotzdem von einer gänzlichen Geschlossenheit. Der Ideengeber und Regisseur Jochen Sandig hebt die übliche Distanz zwischen Künstlern und Publikum auf und zielt dabei auf ein dadurch wachsendes Gemeinschaftsgefühl. Denn darum geht es ja im Deutschen Requiem, um Trostspende und die Hoffnung des Menschen auf Erlösung angesichts des Todesschreckens.

Mit seinem Ausstatter Brad Hwang lässt Sandig assoziative Bilder von Begräbnisritualen, vom Sterben, Trauern, Aufbäumen, aber auch von der Auferstehung entstehen. Im zweiten Satz wird in einer Prozession ein Körper zu einer angedeuteten Grabstelle getragen. Im Wie lieblich schwingen einige Sänger auf Schaukeln, die von der Decke heruntergelassen sind, im Kreise, ein schönes Bild für die Sehnsucht nach Gott, vielleicht auch für die Schwerelosigkeit der Seelen. Unter ihnen ist die Sopranistin Malin Christensson, die ihre Arie mit innigem Ausdruck singt, und beim Abgang eine Wendeltreppe, gleich einer Himmelsleiter, emporsteigt. Und wenn Konrad Jarnot mit seinem markanten Bariton würdevoll und nachdrücklich die Auferstehung verkündigt, steht er wie ein Prediger auf einem hohen Podest an der Wand.

Mittendrin übergeben die Choristen den Zuschauern liebevoll Kissen zum Sitzen auf dem Boden, eine von vielen tröstenden und mitfühlenden Gesten des Gebens und Nehmens, die die Inszenierung so anrührend machen. Alles ist in Bewegung, auch der Flügel wird durch den Raum geschoben, an dem Angela Gassenhuber und Philip Mayers die von Philipp Moll erarbeitete vierhändige Klavierfassung so nuanciert spielen, dass man das Orchester nicht vermisst. Für den Rundfunkchor, der das Stück in zahlreichen Konzerten interpretiert hat und es genau kennt, stellt diese Herangehensweise eine besondere Herausforderung und Erfahrung dar. Es gibt keine Noten, keine festen neuen Positionen, stattdessen die unmittelbare Nähe zum Auditorium.

Gleichwohl singt der Chor überwältigend rein, textdeutlich, mit spürbarer innerer Beteiligung und zeigt sich zudem der Choreografie souverän gewachsen. Über allen aber waltet mit wachem Blick der wunderbare Dirigent Simon Halsey, der allem Ungewöhnlichen so aufgeschlossen ist – und leider bald Berlin verlässt. Wie er von verschiedenen Standorten aus den Klang modelliert und die sieben Sätze zu einer großen Einheit formt, ist meisterhaft und bewegend.   

Die drei angesetzten Aufführungen sind den Opfern des Flugzeugunglücks gewidmet. Sie sind ausverkauft und werden mit großer Ergriffenheit aufgenommen.

Karin Coper

 

Fotos: Matthias Heyde