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Fakten zur Aufführung 

VASCO DA GAMA
(Giacomo Meyerbeer)
4. Oktober 2015
(Premiere)

Deutsche Oper Berlin


Points of Honor                      

Musik

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Wenn einer eine Reise tut

Vasco da Gama ist die erste der drei großen Meyerbeer-Opern, die von der Deutschen Oper Berlin auf die Bühne gebracht werden. Dieser Zyklus hat das Ziel, „Meyerbeers Opern wieder als gleichwertige Alternativen zu den Werken Verdis und Wagners ins Bewusstsein der Musikwelt zu rücken – als musikdramatische Weltentwürfe eigenen Rechts, deren Geschichten und Figuren, deren erzählerische Kraft und musikalische Gestaltung uns heute ebenso in Bann ziehen kann wie das Opernpublikum des 19. Jahrhunderts“.

Die letzte Oper des einst so erfolgreichen Grand-Opéra-Komponisten Giacomo Meyerbeer wurde 1865 posthum unter einem falschen Titel – L’Africaine – aufgeführt. Er starb, bevor er eine richtige Bühnenfassung erstellen konnte. In der an der Deutschen Oper Berlin aufgeführten Fassung handelt es sich allerdings um die kritische Neuausgabe von Jürgen Schläder, der erst 2013 dieses Werk in der Originalfassung ans Licht und unter richtigem Namen herausbrachte.

Opernliebhaber sind ja an irrwitzige Handlungsstränge gewöhnt, und das Libretto von Eugène Scribe ist ein besonders gutes Beispiel. Irrwege der Extraklasse! Das Schiff des portugiesischen Seefahrers Vasco da Gama gerät am Kap in Seenot. Dort trifft er auf ein fremdes,  versklavtes Volk. Er kauft diese Gruppe von Sklaven und nimmt sie mit in seine Heimat als Beweis, dass es noch andere Länder zu erobern gibt. Die Anführerin der Sklaven, Selica, ist Königin eines Phantasie-Indiens. Sie wird abgöttisch von ihrem Vertrauensmann Nelusco verehrt. Sie verliebt sich aber in Vasco. Er wiederum ist in Ines, eine junge portugiesische Adlige, verliebt. Ines muss aber einen anderen heiraten, um Vasco aus dem Gefängnis zu retten, und so weiter und so fort.

Ein gewisses Happy End gibt es dann doch – Vasco und Ines sind vereint. Allerdings entschließt sich die gutmütige und vergebende Herrscherin Selica, sich das Leben zu nehmen – in origineller Weise, indem sie unter einem Manzanillobaum in Extase gerät, die dann zum Tode führt. Übrigens gibt es einen solchen Baum wirklich, Hippomane mancinella, der als höchst toxisch gilt.

In dieser Oper findet sich alles: Belcanto, Anklänge an Wagner, Verdi, Rossini, und doch ist Meyerbeers musikalischer Duktus einzigartig. Große dramatische Bögen, kleine melodische folkloristische Bilder, romantische Gefühle, all das integriert der Komponist in seiner Klangsprache.

Das Genre der Grand Opéra liegt der Regisseurin Vera Nemirova. Sie inszeniert es als „nautisches Roadmovie“. Episch-dimensionale Bilder mit Extra-Chor und Statisterie zeigen Zwangstaufen, eine Vergewaltigung einer mit roten Schuhen und sexy Dessous bekleideten Nonne, ein Piratenüberfall mit anschließender Siegesfeier mit flexibel schwingenden, choreographierten Soldaten. Letzteres sehr zur Belustigung des Publikums.

Es gelingen ihr bedingt die intimen Szenen, in denen die großen Gefühle wie Liebe, Rache, Wahn und Lust besungen werden. Die Relevanz der Oper ist in diesen Tagen geradezu offensichtlich – Flüchtlinge, die Zuflucht suchen, die ihre Fremdartigkeit nicht verbergen können und doch mit Würde behandelt werden wollen.

Geniale Unterstützung erhält die Regisseurin durch die Bühnenausstattung von Jens Kilian:  Eine große Halbscheibe wird anfänglich vertikal als Weltkarte oder Kerker, horizontal dann als Ratstisch und Bühne eingesetzt. Überragt wird alles von einer Kuppel mit textilen Einsätzen, die sich im Laufe der Oper zum Regierungssaal, Segelschiff oder in ein intimes Schlafgemach umwandeln lässt. Hier trägt das Licht von Ulrich Niepel die notwendige Stimmung sehr effektvoll bei. Marie-Thérèse Jossen hat zeitlos-moderne Kostüme kreiert, die die Aktualität der Handlung noch pointierter aufzeigen. 

Die Sänger dieser Produktion erfüllen die hohen Anforderungen, allen voran die vier Protagonisten:  Roberto Alagna – obwohl als indisponiert angesagt – meistert die Titelrolle des von Ehrgeiz und Liebe zerrissenen Helden, wenngleich es zu anfänglichen Unsicherheiten kommt. Sophie Koch als Königin der Inder zeigt noble Haltung während der Zeit der Versklavung wie auch Großzügigkeit und Verzicht, wenn sie zwar Vasco da Gama endlich ehelicht, aber dann doch freigibt. Neben ihr Markus Brück als ergebener Ratgeber und Freund, der sich nahezu als Idealbesetzung mit seinem expressiven Bariton und einfühlsamer Darstellungskunst erweist. Nino Machaidze als Ines, die stolze Portugiesin und einzige wahre Liebe von Vasco da Gama, füllt diese eher undankbare Rolle mit femininer Würde.

Der hervorragende Chor der Deutschen Oper unter der Leitung von William Spaulding beweist wieder einmal seine Musikalität und Spielfreude.

Das gemächliche Dirigat von Enrique Mazzola lässt die Schönheit der Musiksprache und der Orchesterfarben Meyerbeers immer durchscheinen. Seine eher breiten Tempi tragen allerdings zur gefühlten Überlänge des Stückes bei. Für das heutige ungeduldige Publikum wäre ein beherztes Zusammenstreichen sicher eine populäre Option.

Sänger, Dirigent und Regieteam – mit nur vereinzelten Buhrufen – werden lautstark vom Premierenpublikum gefeiert.

Zenaida des Aubris

 

Fotos: Bettina Stöß