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Fakten zur Aufführung 

DIE SCHÖNE HELENA
(Jacques Offenbach)
11. Oktober 2014
(Premiere)

Komische Oper Berlin


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Toll treiben es die alten Griechen

Gerade rechtzeitig zur ersten Saisonpremiere hat Barrie Kosky allen Grund zur Freude: sein Intendantenvertrag wurde um fünf Jahre bis 2022 verlängert. Damit reagiert die Politik frühzeitig auf den enormen Aufschwung, den die Komische Oper Berlin seit dem Amtsantritt des Australiers 2012 genommen hat. Eine über 15 Prozent höhere Platzausnutzung und eine Reihe von Inszenierungen wie Clivia, Die Zauberflöte, Ball im Savoy oder West Side Story, die nahezu Kultstatus erlangt haben, sprechen für sich. Angesichts der bemerkenswerten jüngsten Erfolgsstory des Hauses sind die Erwartungen an Jaques Offenbachs Opéra bouffe Die schöne Helena, mit der der regieführende Chef die neue Spielzeit eröffnet, besonders hoch. Das Stück ist gut gewählt, wurde es doch seit einer Inszenierung im Metropoltheater 1975 und einer Off-Fassung durch Peter Lund Ende der 1980-er Jahre in Berlin nicht mehr gegeben.

Die schöne Helena , 1864 in Paris uraufgeführt, ist keine Satire auf gesellschaftliche Zustände im französischen Kaiserreich, wie viele andere Operetten Offenbachs, sondern nimmt sich im antiken Gewand des Themas Ehebruch an. Ein klarer Fall für Kosky. Er inszeniert die Liebeswirren am Hof von Sparta – hier ein von Rufus Didwiszus entworfener Saal mit plüschig bemalten Pappwänden – als trashige Mixtur aus Comedy, Travestie und Parodie. Der Regisseur schreckt vor keiner Übertreibung zurück, wuchert mit vielen Anzüglichkeiten und deftiger Erotik, peppt Offenbachs Musik andeutungsreich mit Ausschnitten von Wagner, Verdi und jüdischer Folklore, die auf die Herkunft des Komponisten weist, auf und lässt insgesamt ein grellbuntes Typenpanoptikum entstehen. Das ist hehrste Campkunst, wozu die schrillen Fantasiekostüme von Buki Schiff ebenso beitragen wie die sechs Tänzer in freizügigen Shorts, die in der frivol-vitalen Choreografie von Otto Pichler über die Bühne toben. Immer ist irgendwo etwas los, das Tempo rasant, die Spiellust überbordend. Und dennoch: Dem Ideenreichtum zu trotz, will der Funke nicht recht überspringen. Denn die ständige Überaktion ermüdet und durch die häufige Wiederholung vieler Gags nutzen sie auf Dauer ab.

Das Ensemble der Komischen Oper aber läuft zu großer Form auf. Man merkt ihm die neunwöchige Probenzeit, von der Kosky berichtet, deutlich an. Die Bewegungsabläufe sind perfekt, die Übergänge zwischen Musik und Dialogen nahtlos. Im Mittelpunkt steht Nicole Chevalier als attraktive, vokal mit mühelosem Sopran überzeugende Helena. Sie gibt die griechische Schönheit als Mischung zwischen überkandidelter Zicke, Salonschlange und amerikanischem Filmstar und weiß sehr genau Gesten und Pointen zu setzen. Ruhepunkte aber sind ihr kaum vergönnt. Die sind eher Tansel Akzeybek vorbehalten, der als hübscher Paris einen charmanten Beau mit viel tenoralem Schmelz und bombensicheren Topnoten gibt. Theresa Kronthaler in der Hosenrolle des Orest mutiert im Verlauf zum begehrenswerten Revuegirl und verführt nicht nur mit körperlichen Reizen, sondern auch mit sinnlichem Stimmglanz. Peter Renz beweist als Menelaus einmal mehr, welch wunderbarer singender Komiker er ist. Mit viel Witz versieht auch Stefan Sevenich seinen Kalchas, ein trotz Leibesfülle uneingeschränkt beweglicher Großaugur, der den Orakeldonner per Grammophon produziert. Einen köstlichen Auftritt hat das Quartett der Griechenkönige. Nacheinander erscheinen Dominik Köninger, Tom Erik Lie, Philipp Meierhöfer und Uwe Schönebeck in gleichen Uniformen, doch jeder für sich formt einen individuellen Charakter.

Generalmusikdirektor Henrik Nánási sorgt mit seinem exquisit aufspielenden Orchester dafür, dass Offenbachs Musik inmitten des szenischen Trubels zu ihrem Recht kommt. Aus dem Graben erklingen die Melodien mit prickelndem Esprit, federnder Rhythmik und delikatester Dynamik, und die drei Aktfinale schnurren in bestechender Präzision ab. Die Chorsolisten sind bei allen überdrehten Narreteien mit Spiellust dabei und bringen ein Höchstmaß an singdarstellerischem Einsatz mit.

Der Premierenbeifall nach der dreistündigen Vorstellung ist heftig, aber kurz. Nach der Pause sind im Parkett sogar ein paar Lücken zu sehen. Koskys Ausflug in die französische Operettenwelt gestaltet sich noch nicht so treffsicher wie seine Auseinandersetzungen mit der Berliner Jazzoperette und dem amerikanischen Musical.

Karin Coper

Fotos: Iko Freese