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Fakten zur Aufführung 

SACRE
(Claude Debussy, Hector Berlioz, Igor Strawinsky)
21. November 2014
(Premiere am 26. Oktober 2013)

Staatsoper Berlin


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Liebeslyrik und Geschlechterkampf

Im Mai 2013 feierte Igor Strawinskys Skandalkomposition Le sacre du printemps ihren 100. Geburtstag. Anlässlich dieses Jubiläums gab es im Pariser Théátre des Champs-Élysées, wo das Ballett 1913 seine Uraufführung erlebt hatte, einen bemerkenswerten, hoch gerühmten Ballettabend: die Rekonstruktion der originalen Nijinsky-Choreografie, gekoppelt mit einer Neukreation von Sasha Waltz. Die Tänzer waren vom St. Petersburger Mariinsky-Ballett, am Pult stand Valery Gergiev. Die Version von Waltz wurde im Oktober 2013 in die Berliner Staatsoper übernommen, neu einstudiert mit ihrer Compagnie Sasha Waltz & Guests und dirigiert von Daniel Barenboim. Als Hors d´oeuvre gab es statt des Original-Sacre zwei weitere Waltz-Arbeiten: als Uraufführung ihre Auseinandersetzung mit Claude Debussys Klassiker L’Apres-midi d´un Faune und den Pas de deux Scène d´amour aus Roméo et Juliette von Hector Berlioz. Die Produktion war ein künstlerischer Triumph, und so verwundert es nicht, dass bei der gerade erfolgten Wiederaufnahme die Karten genauso gefragt sind wie bei der Premierenserie, auch wenn statt Barenboim sein Assistent Domingo Hindoyan die musikalische Leitung übernommen hat. Doch der Venezolaner, der sich als Geiger die musikalischen Sporen im El Sistema, dem berühmten Jugendorchester seines Landes, verdiente, tritt souverän in die Fußstapfen seines prominenten Mentors und erweist sich als stilistisch versierter Anwalt für Debussys flirrenden Impressionismus, Berlioz’ lyrische Emphase und Strawinskys Wildheit.

Der Abend beginnt bunt. Nymphen und Faune in knalligen Badetrikots bevölkern die Bühne, deren Hinterwand der französische Maler Guilleaume Bruère mit großflächigen Ornamenten in kräftigen Farben bedeckt hat. Die Gruppe mythischer Fabelwesen ist auf der Suche nach Verführung und Vereinigung. In kantigen, fast ungelenken Bewegungen nähern sie sich einander an, Körper verknoten und verrenken sich, bis sie sich zu zweit oder zu mehreren im Liebesakt finden. Wie eine Fingerübung mutet dieser Faun an, mit dem man noch nicht so richtig warm wird, auch weil das störrische Bewegungsvokabular einen starken Kontrast zu Debussys schillerndem Klangkaleidoskop bildet. In der folgenden Scène d´amour setzt Waltz auf die Tradition klassischer Ballette. Emanuela Montanari und Antonino Sutero, Gäste von der Mailänder Scala, tanzen hingebungsvoll einen poetischen Pas de deux voller Harmonie und inniger Zärtlichkeit. Dann, nach der Pause, öffnet sich der Vorhang für Le sacre du printemps , das Stück, weswegen die meisten Zuschauer vermutlich erschienen sind. Diesmal ist die Bühne dunkel und zusätzlich durch dunstige Nebelwolken eingetrübt, in der Mitte erhebt sich ein Sandhaufen. Waltz führt in eine rohe, archaische Natur, die ihre Entsprechung in den streng choreografierten rituellen Tänzen findet. Das erdfarben gekleidete Ensemble stampft, trampelt, reckt spasmisch die Arme empor, bildet undurchdringbare Menschenketten und steigert sich zu wilder Lust, immer kongenial zum heftigen Rhythmus der Partitur. Schonungslos gibt sich die Compagnie der ekstatischen Choreografie ihrer Leiterin hin, macht geballte Aggressivität sichtbar und elektrisiert durch ihre konzentrierte, eruptive Energie. Es gibt auch mitfühlende Momente, wenn sich etwa eine Frau schützend zweier Kinder annimmt oder ein Darsteller einer Schwangeren über den Bauch streicht, doch vorherrschend ist die Gewalt der Masse gegenüber dem Einzelnen. Männer stellen sich gegen Frauen und umgekehrt, bis sich am Ende alle zu einer Einheit gegen die zum Opfer verdammte Maria Marta Colusi, die in ihrem lilafarbenen Gewand schon optisch aus der Menge herausfällt, verbünden. Im finalen Solo reißt sie sich das Kleid vom Körper, wehrt sich verzweifelt gegen ihr Schicksal, dabei ungerührt beobachtet von der Masse, und bricht am Ende zusammen, während eine langsam vom Schnürboden herabgelassene überdimensionale Stahlspitze sich auf sie senkt.

Großer Jubel nach der ausverkauften Aufführung. Im Mai kommenden Jahres wird Sasha Waltz die Deutsche Oper beehren und dort ihre vor zwei Jahren in Mailand uraufgeführte Choreografie von Berlioz´ Roméo et Juliette neu einstudieren.

Karin Coper

Fotos: Bernd Uhlig