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Fakten zur Aufführung 

MY SQUARE LADY
(Giuseppe Verdi)
25. Juni 2015
(Premiere am 19. Juni 2015)

Komische Oper Berlin

Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Von Menschen und Maschinen

Kann ein Roboter singen? Um es vorweg zu nehmen, ja, im Prinzip könnte Myon singen, aber bis es so weit ist, wird noch viel an Myon gearbeitet werden müssen. Jetzt steht es – Myon ist weder männlich noch weiblich – noch auf unsicheren Beinen, muss von seinem Erfinder an der Hand geleitet werden. Am liebsten wird es getragen und vorsichtig hingesetzt, wie ein Kleinkind. Und die wenigen Töne, die Myon von sich gibt, lassen noch keine Stimmlage erkennen.

An Hand von Gegensätzen lassen sich Dinge gut erklären.  So auch hier: wie bringe ich einem neutralen, emotionslosen Roboter bei, was Gefühle sind, was eine Oper ist außer Gesang mit musikalischer Untermalung? Gleich zu Anfang, mit Auftritt auf dem roten Teppich und mittig platziertem Mikrofon, präsentiert sich das Gob-Squad-Team und eine ganze Reihe von Mitarbeitern der Komischen Oper: Von Bühnenarbeiter, Kostümnäherin, Dramaturg, Technischer Leiter, Geschäftsführerin bis hin zur Inspizientin, die sich als Vorstellungsgeneralin gut macht. Einführung in das „making of“ hinter der Bühne an jedem Opernhaus. Selbstironie ist angesagt. Und das kommt gut an, ist lehrreich und unterhaltend zugleich.

Mit viel Pomp und Nebel wird Myon angekündigt.  Schließlich thront es auf einem goldenen Muschelthron – eine Mischung aus Botticelli-Venus-Anspielung und Hollywoodkitsch – umrahmt von zwei Men-in-Black-Bodyguards. Schon der Titel des Stückes – My Square Lady – ist ja eine Anspielung auf die Lernfähigkeit des Individuums.  Hier ist Myons echter Professor Higgins, Martin Hild und sein Betreuerteam, allgegenwärtig um den 1,25 Meter hohen, glänzendweißen Roboter besorgt tätig.

Der Rest des Abends wird damit verbracht, eben diese Gefühle – Liebe, Angst, Freude, Hoffnungslosigkeit – dem fast regungslosen Myon vorzutragen. Manche „keywords“ scheinen gespeicherte Beispiele in seinem „Gehirn“ auszulösen – diese werden dann auf einer heruntergelassenen Leinwand gezeigt.

Musikalisch ist My Square Lady ein buntes Potpourri aus einzelnen Arien und Szenen, quer durch die Musikgeschichte von Henry Purcell bis Robbie Williams.  So singt Katarina Morfa ein durchaus gefühlvolles When I am laid in earth aus Dido and Aeneas, die Mezzosopranistin Christiane Oertel – seit über 30 Jahren Mitglied der Komischen Oper – erhält ihren Auftritt als Carmen mit der Kartenarie aus dem dritten Akt. Der eigentliche „Vater“ und Neurorobotiker Manfred Hild tritt als Crooner in einer schrillen Goldlamé-Jacke glamourös auf und singt passenderweise Feel.

Alles fest in der Hand hat der Dirigent und Arrangeur der musikalischen Stücke, Arno Waschk, sichtbar auf der Bühnenebene links platziert – das Orchester sitzt also seitlich, in einem zu drei Vierteln nach oben gefahrenen Graben.  Somit ist das Wirken der Musiker wesentlich präsenter.

Eine Schar von Kinder darf mitsingen und -spielen – mit ihren aufgesetzten, altmodisch wirkenden, elektronischen Boxen sind sie ein weiteres Beispiel für die Weiterentwicklung der Robotikerästhetik seit den 1960-er Jahren. Dagegen ist der Chor ein exzellenter Vertreter für die mögliche Bandbreite der menschlichen Ausdruckskraft, besonders in der Nummer Denn alles Fleisch, es ist wie Gras aus Ein deutsches Requiem von Johannes Brahms. 

Sicherlich kann die Dauer des Stückes gestrafft werden – die artifiziell wirkenden Pausen verlieren ihre Wirkung nach dem dritten Mal, und es würde dem Werk gut tun, ein flotteres Tempo vorzulegen. Dann kämen auch die einstudierten Pointen glaubwürdiger als spontane Einfälle an.
Insgesamt scheint sich das Publikum mit Myon zu identifizieren.  Gerade weil der niedliche weiße Roboter keine Reaktionen zeigt, werden die vielen Anspielungen auf echtes und gespieltes Leid, Liebe, Hoffnung und Tod lebendiger.

Das durchweg viel jüngere Publikum ist von der Aufführung begeistert. Es ist zu hoffen, dass dieses Werk – auch gerne mit einem weiterentwickelten Roboter – seinen Weg an andere Theater findet, um durch Myon einem neuen Publikum das Genre Oper in sehr unterhaltsamer Form beizubringen. Wir können auf Myon Version 2.0 gespannt sein.

Zenaida des Aubris

 



Fotos: Iko Freese