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Fakten zur Aufführung 

EMMA UND EGINHARD
(Georg Philipp Telemann)
26. April 2015
(Premiere)

Staatsoper Berlin, Schiller-Theater


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Liebe und Bildung überwinden Staatsgrenzen

Eine Oper, die einerseits barock anmutet in Musik, Text und Handlungsführung, andererseits aber schon bürgerlich aufklärerische Züge in sich trägt, ist Georg Philipp Telemanns Emma und Eginhard. An der Berliner Staatsoper feiert das lange vergessene Werk eine glanzvolle Wiederauferstehung. Der Komponist hat es 1728 zum 50-jährigen Jubiläum der Hamburger Oper am Gänsemarkt nach dem Libretto von Christoph Gottlieb Wend geschrieben, der auf ältere Vorlagen zurückgriff. Telemann weist dabei Personen von Stand weit ausladende, repräsentative Arien zu, typisch für die barocke Opera seria, verfasst aber auch geradezu empfindsame Duette und dramatisch unterlegte Rezitative sowie ungewöhnlich und abwechslungsreich instrumentierte Orchesternummern und gibt dem niederen Personal nach Art der Opera buffa witzige, pointierte Arien und Duette.

Eine ähnliche Vielfalt findet sich in der Handlung: Die zeitliche Folie bildet das neunte Jahrhundert mit der Unterwerfung der heidnischen Sachsen durch Kaiser Karl den Großen; im Mittelpunkt aber steht die Liebesgeschichte zwischen Eginhard, dem berühmten Einhard, Verfasser der Karls-Vita, und Emma, der angeblichen Kaisertochter, alles gesehen aus der protestantisch aufgeklärten Perspektive des frühen 18. Jahrhunderts, in der ein bürgerlicher Intellektueller die adeligen Standesschranken dank seiner Bildung überwindet und die Tochter des Kaisers, allerdings nach langem inneren Kampf des Herrschers, heiraten darf. Zur Barockzeit revolutionär: Damals gab es meist nur Allianz-Ehen, aus genealogischen oder finanziellen Gründen gestiftet, ohne dass eine gegenseitige Neigung vorlag. Telemann teilt nun in seiner Oper viele Seitenhiebe gegen die Mitglieder des Hofes, ihre Marotten und Vorurteile aus. Nicht vergessen werden darf dabei, dass der Komponist damit auch die Bedürfnisse seines bürgerlichen Publikums bedienen will, denn das Hamburger Haus brauchte dringend Geld; es stand vor dem Bankrott. Immerhin entwirft die Oper auch das Idealbild eines gerechten Herrschers, der sich leiten lässt von Menschlichkeit, sich letztlich nicht den starren, historisch überlieferten Regeln unterwirft. Uns erscheint das alles modern; doch wir nehmen es eben aus unserer heutigen Perspektive auf.

Diese Vielschichtigkeit wird deutlich in der sehr lebendigen, griffigen Regie von Eva-Maria Höckmayr. Sie zeigt die Oper als ein Spiel zwischen dem Heute, der Entstehungszeit der Komposition und Verweisen auf die legendenhafte Epoche von Karl dem Großen und spiegelt das immer wieder an der Gegenwart. Das wird vermittelt durch die Figur des Steffen, des kaiserlichen Hofnarren, der in heutiger Alltagskleidung, im Anzug, die Zuschauer immer wieder durch eine Art Rahmen in eine höfische, erfundene, vergangene Sphäre, ins Bühnengeschehen blicken lässt. Dieses beginnt „historisch“, mit Feuer im düsteren Hintergrund, und mit dem Blick in das Ende des Krieges, aus dem der Kaiser als siegreicher Held hervorgeht. Gleich wird diese Wahrnehmung aber gebrochen: Herren in dunklen Anzügen sitzen über den Friedensverträgen in einem hellen, hohen barocken Raum um einen Tisch. Und bald darauf ändert sich das Bild wieder: Eine übertreiben pompös gewandete höfisch-barocke Gesellschaft versammelt sich, um dem Herrscher zu huldigen; der legt die Rüstung ab, zieht den Hermelinmantel an, setzt die Krone auf. Nun kann der Hof sein äußerliches Gepränge voll entfalten. Fastrath trägt ihre kühle Liebeserklärung an den nach langer Abwesenheit heimgekehrten Gatten dekorativ und geziert vor. Das findet statt im nunmehr geschwärzten Raum, der jedoch immer wieder zum hellen, eleganten Salon mit Spiegeln, Wandleuchten und Schiebetüren wird. Daneben aber gibt es noch einen dritten Schauplatz von Bühnenbildnerin Nina von Essen, der sich nahtlos durch die ständig bewegte Drehbühne erschließt, nämlich der Hintergrund des Ganzen. Dort, zwischen den Aufbauten, spielt sich meistens ab, was sich die Personen im Geheimen denken oder wünschen. Ähnlich wie die Orte wechseln, auch durch den Rahmen, vor dem der Narr Steffen und Karl als Privatmann das Geschehen verfolgen, ändern sich auch die prachtvollen Kostüme von Julia Rösler. Sie werden nach der anfangs pompösen Übersteigerung im Verlauf des Geschehens immer schlichter, bis sie am Ende in unserer Gegenwart angekommen sind. Auch die Beziehungen der Figuren untereinander changieren; mal agieren sie zeremoniell, mal drücken sie Gefühle aus, mal scheinen sie ernst, künstlich erregt, oft bewegen sie sich zwischen Oberflächlichkeit und bedeutungsvoller Tiefgründigkeit. Eine dritte Ebene tritt hinzu, die des Theaters; da spricht eine Stimme aus den Wolken – hier aus dem Orchestergraben – um den König unter Donner und Blitz von seinem unheilvollen Tun, der Hinrichtung von Tochter und künftigem Schwiegersohn, im letzten Moment abzubringen; da gibt es aber auch Nettes, so einen frechen kleinen Cupido, der auf den Schneehaufen herumturnt, oder Amor, der von oben herunterschwebt; schon vorher wurde das Liebespaar nach oben, quasi in den Himmel, gehoben und so dem irdischen Zugriff entzogen.

Ein solches Wechselspiel der Emotionen und Handlungsebenen spiegelt sich auch in der Musik wider. Telemann bietet hier eine reiche Palette von Farben, von raffinierter Instrumentierung, von verschiedenartigstem Ausdruck in den Arien, Duetten und den oft sehr expressiv gehaltenen Rezitativen. Er setzt hier sein ganzes Können an Klang und Gestaltungsmitteln ein, kein Wunder bei einer Festoper. Nur strapaziert deren Länge sicher heutige Ohren. So hat der musikalische Leiter und Dirigent René Jacobs das Riesenwerk gekürzt auf erträgliche drei Stunden Dauer, und doch bleibt das Wesentliche erhalten. Dazu kommt, dass er die begeistert mitgehende, schwungvoll aufspielende Akademie für Alte Musik Berlin so packend und facettenreich führt, dass der Hörer immer wieder überrascht wird.

Und Jacobs kann sich auch verlassen auf ein äußerst homogenes Ensemble von Sängerinnen und Sängern, die ganz im Dienst des nötigen Ausdrucks stehen und obendrein sehr lebendig ihre Rollen ausfüllen. Gyula Orendt mit seinem schlanken, beweglichen Bariton ist dabei ein eher vornehm zurückhaltender Kaiser Karl, während seine Gattin Fastrath, bei Katharina Kammerloher eine kalte Schönheit, mit ihrem hellen Mezzosopran die hoheitsvolle Haltung noch unterstreicht. Ein Traumpaar sind Emma und Eginhard: Robin Johannsen gibt der Kaisertochter äußerst sympathische Züge und begeistert mit gefühlvollen Arien und locker dahinperlenden Koloraturen ihres ausdrucksstarken Soprans. Ihr Geliebter, der Schreiber und Vertraute des Kaisers, wird von Nikolay Borchev mit weichem, vollem Bariton als feinsinniger Mensch gezeichnet. Das Dienerpaar Urban, Florian Hoffmann, und Barbara, Narine Yeghiyan, sorgt für witzige Momente und Kontrast zu Liebesleid und staatstragenden Aktionen. Die quirlige, mit großer Strahlkraft singende Sopranistin erfreut auch als pfiffiger Amor. Dagegen muss Sylvia Schwartz als Hildegard mit ihrem vollen Sopran zuerst die zickige Prinzessin markieren, dann die traurige Freundin der Emma und schließlich die allmählich in den sächsischen Prinzen Heswin verliebte Frau. Der wird von der Mezzosopranistin Stephanie Atanasov glaubhaft als etwas tragisch angehauchter junger Mann dargestellt. Unter den eher unangenehmen Höflingen Adelbert, Dmitry Egorov, Wolrad, Stephan Rügamer, und Alvo, Jan Martinik – auch die Stimme des Gewissens – ragt vor allem Steffen, der Hofnarr, hervor als etwas zynischer Betrachter und Kommentator des Geschehens; Johannes Chum gibt ihn sehr überzeugend mit angenehmem Tenor.

Kein Wunder, dass das Premierenpublikum im nahezu vollen Schillertheater nach dem glücklichen Ende alle Beteiligten lange und ausgiebig mit lautem Jubel feiert.

Renate Freyeisen

Fotos: Monika Rittershaus