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Fakten zur Aufführung 

CANDIDE
(Leonard Bernstein)
18. September 2014
(Premiere am 24. Juni 2011)

Staatsoper Berlin


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Die Tür zur böse funkelnden Welt

Leonard Bernstein hat gemeinsam mit George Gershwin, Jerome Kern, Cole Porter und Richard Rodgers die zeitgemäße Form der amerikanischen Operette, das Musical „erfunden“, das längst die Unterhaltungswelt erobert hat. Doch Bernstein bleibt hin- und hergerissen: Candide, sein 1956 in New York aufgeführtes Musiktheater ist für ihn „eine richtig schöne altmodische Operette, oder eine komische Oper, oder eine opéra –comique…“, die gleichzeitig sein Lieblingsstück wie sein Sorgenkind ist. Auch mehrere Überarbeitungen und Texterweiterungen schaffen es nicht, aus Candide ein ähnlich populäres und erfolgreiches Musical zu machen wie Bernsteins frühes Bühnenwerk On the Town oder seine West Side Story. Der wilde Gang durch die europäische Geschichte und durch verschiedene Musikstile dürfte Grund dafür sein, dass Candide bis heute relativ selten auf den Spielplänen zu finden ist und seine Attraktivität überschaubar bleibt.

Candides Zwischencharakter lässt Neuinszenierungen und musikalischen Interpretationen viel Spielraum, den die Staatsoper Berlin für ihre Inszenierung ausgiebig nutzt. Sie bringt dieses Musical bereits 2011 zur Premiere und hält es seitdem mit großem Publikumserfolg im Repertoire. Die Zusammenarbeit des französischen Regisseurs Vincent Boussard mit dem Designer Christian Lacroix hat sich in Berlin schon mehrfach bewährt. Bei der Ausstattung der Bühne bedienen sie sich zeitgenössischer Vorbilder, die sie gern vor allem in den Kostümen üppig ausschmücken und parodieren. Ein abstrakter Tür- oder Screening Rahmen öffnet die Wege zu den Widerwärtigkeiten der Welt und durchleuchtet sie.

Auch wenn Boussard in der aktuellen Fassung zahlreiche historische Anspielungen versteckt, spannt er keinen roten Faden durch die Handlung. Er wählt einen eher eklektischen Zugriff, mit dem auch Bernstein die Orte der Handlung entlang unterschiedlicher Musikstile zusammen fügt, von Westfalen über Paris, Lissabon, Buenos Aires zurück nach Neu-Westfalen. Die biographischen Verknüpfungen der Figuren wirken zufällig und willkürlich, der Kunstkenner Loriot stellt hintersinnig fest: „ Candide, das Musical der Herren Voltaire und Bernstein, ist das einzige seiner Art, dessen genaue Inhaltsangabe – rasch vorgetragen – ebenso lange dauert wie das Musical selbst“. Und so ist es der Wechsel der Musikstile und -orte, auf die sich die Inszenierung konzentriert und den musikalischen Charakter der Figuren betont. Sie bedient sich aller denkbaren Stilrichtungen und Formate. Die Staatskapelle Berlin gemeinsam mit ihrer Orchesterakademie wechselt vom romantischen Opernklang zum Tango, Paso Doble, zur Rumba bis hin zum christlichen Choral, den Bernstein als westfälische Spezialität wahrnimmt. Wayne Marshall gelingt es ohne Mühe, schon in der breit angelegten Ouvertüre Elemente aus Opern romantisch anklingen zu lassen oder in den Rhythmus eines argentinischen Tango zu wechseln, er präsentiert das breite musikalische Spektrum mit Präzision und Leichtigkeit.

Die Hauptrollen sind darstellerisch und stimmlich bestens besetzt. So überzeugt Leonardo Capalbo als Candide mit warmem, belcanto-ähnlichen Tenor, Elin Rombo gibt der Cunegunde mit leuchtendem Sopran bis in höchste Lagen eine wunderbare Ausstrahlung, sie brilliert in der Koloraturpartie Glitter and be Gay. Figurengerecht erscheint der parodistisch überzogene kratzige Tenor des Pangloss, dem Graham F. Valentine mit erstaunlicher Wandlungsfähigkeit clowneske Züge verleiht. Annika Schlicht tritt als junges, von der Mohnstiftung gefördertes Talent als leichtfüßige Paquette auf. Anja Silja als Old Lady hat einige Schwierigkeiten, neben den anderen Rollen stimmlich zu bestehen. Der von Martin Wright vorbereitete Chor setzt meist von einer Empore im Hintergrund aus musikalische Akzente als Begleitmusik.

Boussard versteckt in seiner Berliner Inszenierung Kritik und Spott an Adel, kirchlicher Inquisition und Krieg als Zeitmerkmale fast in Fußnoten. Das einfache Weltbild des naiven Candide mit seinem Traum vom eigenen kleinen Garten und der endlich geheirateten Cunegunde parodiert er beiläufig und freundlich. Gleichwohl erlebt das Publikum im gut besetzten Schillertheater einen unterhaltsamen Abend, der ihm einige Überraschungen beschert. Wer in der Hoffnung auf einen bunten Musikabend mit heißen, mitreißenden Rhythmen und wilden Tanzszenen à la West Side Story oder Porgy and Bess seine Tickets gekauft hat, wird überrascht, vielleicht ein wenig enttäuscht sein. Ausgesprochene Opernfreunde können sich über zahlreiche altbekannte, vertraute Klänge freuen. Candides naiver Traum von der „besten aller möglichen Welten“, von Leibniz vorgeträumt, zerschellt an den verschiedensten Orten dieser gefährlich rot eingefärbten Welt und führt ihn auf sich selbst zurück.

Für einen bunten Musikabend, der auf leichten Füßen daher kommt, bedankt sich ein munteres Publikums mit ausführlichem Beifall.

Horst Dichanz

Fotos: Clärchen und Matthias Baus