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Fakten zur Aufführung 

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
25. Juli 2015
(Premiere)

Bayreuther Festspiele


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Dunkelheit vor und hinter den Kulissen

In den Tagen vor der Eröffnung der 104. Bayreuther Festspiele schien sich Katharina Wagner Alberichs Tarnkappe ausgeliehen zu haben, um sich unsichtbar machen zu können. Auf der Pressekonferenz zeigte sie sich nicht und auch bei dem freundlichen bis enthusiastischen Schlussapplaus ihrer Neuinszenierung von Tristan und Isolde war sie nur einmal kurz im Bühnenhintergrund zu sehen. Machtkämpfe finden in Bayreuth grundsätzlich nicht nur auf der Bühne statt, sondern oft noch turbulenter hinter den Kulissen. Deshalb im Folgenden ein dreiteiliger Abriss der aktuellen Bayreuther „Tragödien“ von unterschiedlichem Unterhaltungswert.

Der Tragödie Erster Teil: Die Vorgeschichte

Zu den unverzichtbaren Accessoires jeder Eröffnung der mittlerweile 104. Bayreuther Festspiele gehören nicht nur Promi-Auflauf und Heldentenöre, sondern auch Unkenrufe, die das Ende des bizarren Spektakels prophezeien. Da mischte der Blätterwald im Vorfeld kräftig mit, als die Neuinszenierung des Tristan, mit der jetzt die Festspiele eröffnet wurden, zur Existenzfrage erhoben wurde. Als stünden die Festspiele, wenn nicht gleich die gesamte deutsche Kultur auf dem Spiel. Festspielleiterin Katharina Wagner, die sich nach einer unausgegorenen Meistersinger-Inszenierung mit Wagners schmerzensreichem Lieblingskind Tristan und Isolde zum zweiten Mal auf dem Grünen Hügel als Regisseurin versucht, hatte schon recht, als sie den lastenden Druck mildern wollte: „Wenn es jemandem nicht gefällt, bricht dann etwa das Haus am Abend des 25. Juli automatisch zusammen?“

Das gewiss nicht. Allerdings unternahm die 38-jährige Urenkelin des Meisters selbst bis heute herzlich wenig, um die brodelnde Gerüchteküche, in der jede Umbesetzung zu einer existenziellen Krise stilisiert wird, unter Kontrolle zu bringen. Ebenso unverständlich wie ungeschickt traf dann die Mitteilung in den Redaktionen ein, dass das Leitungsteam des Tristan, also auch sie als Intendantin und Christian Thielemann als Musikdirektor, der Pressekonferenz vor der Premiere fernbleiben werde. Der Fernsehmitschnitt der Eröffnungspremiere gehe vor.

Damit sind Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Transparenz bleibt ein Fremdwort in Bayreuth. Nicht nur, was die nach wie vor schleppende Öffnung der Archive angeht, sondern auch alltägliche Probleme wie die Umbesetzung einer Partie. In diesem Fall der Isolde. Eva-Maria Westbroek trat ohne Begründung zurück. Anja Kampe erkannte offenbar erst vor wenigen Wochen, dass die Doppelbelastung als Isolde und Sieglinde ihre Kräfte übersteigt, so dass jetzt Evelyn Herlitzius auf der Bühne stand. Trotz ihrer starken Beanspruchung als derzeitige Elektra vom Dienst. Sogar die Generalprobe musste ohne Frau Herlitzius auskommen. Ein Novum in Bayreuth. Besonders brisant, dass es im Vorfeld ausgerechnet zwischen Kampe und Thielemann zu erheblichen Auseinandersetzungen gekommen ist. Die Sängerin ist die Lebensgefährtin von Kirill Petrenko, dem Dirigenten des Rings und Konkurrent Thielemanns im Bewerbungskarussell um die Leitung der Berliner Philharmoniker. In Berlin machte Petrenko bekanntlich das Rennen. Petrenko wird den Ring zum letzten Mal dirigieren. Ist das alles ein Zeichen für das „unmenschliche“ Klima im Festspielbetrieb, das Petrenko beklagt? Es wäre Gift für die Qualität der Festspiele, wenn Thielemann keinen mindestens ebenbürtigen Kollegen duldete und persönliche Ressentiments Besetzungsfragen beeinflussten. Dazu Schweigen aus dem Festspielhaus.

Dass die Tandem-Lösung der Festspielleitung durch die Schwestern Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier nicht unproblematisch verlaufen würde, war zu erwarten. Aber eine Klärung zur Frage, ob Thielemann tatsächlich ein Hausverbot für die ausscheidende Eva Wagner-Pasquier gefordert hat, würde auch manche Spekulation über die Rolle Thielemanns als Musikdirektor der Festspiele entkräften. Eine Position, die es bisher in Bayreuth nicht gegeben hat.

Dass Nike Wagner aus dem Clan Wieland Wagners so besorgt über den Zustand der Festspiele ist, dass sie gerichtliche Schritte gegen die Festspielleitung erwägt, gehört zu den semi-privaten Scharmützeln auf dem Hügel, der sich manchen als Walhall-unwürdige Wallstatt darstellt. Wobei von Nike intellektuell gewichtigere Impulse ausgehen dürften als von Katharina.

Selbst die um zwei Jahre verzögerte Eröffnung der frisch renovierten Villa Wahnfried, die fünf Jahre geschlossen blieb, geht nicht ohne juristischen Zoff ab. Museumsleiter Sven Friedrich wurde angesichts der Verzögerungen mit Abmahnungen von Seiten der Stadt überzogen und geht jetzt juristisch gegen die Vorwürfe vor. Details sind nicht zu erfahren.

Auch der Kult um die Exklusivität der Eintrittskarten lässt nach, was kein Nachteil sein muss. Zu Castorfs Ring, Glogers Fliegendem Holländer und auch den Folgevorstellungen des Tristan ist es heute kein allzu großes Problem, noch Karten zu ergattern. Zum Publikumsrenner entwickelt hat sich dagegen Hans Neuenfels brillante Lohengrin-Inszenierung, die zum letzten Mal gezeigt wird. Mit Klaus Florian Vogt und Annette Dasch stehen zudem zwei Publikumslieblinge auf der Bühne. Und auf das Bayreuther Debüt des jungen französischen Dirigenten Alain Altinoglu darf man gespannt sein.

Ebenso auf Axel Kobers Übernahme des Fliegenden Holländers. Der Musikchef der Deutschen Oper am Rhein löst damit Thielemann ab, der sich dem Tristan widmen wird. Kirill Petrenko nimmt in diesem Jahr seinen Abschied von seinem glanzvollen Bayreuther Einstand.

Der Tragödie Zweiter Teil: Die Pressekonferenz

Das Barbecue war so üppig, der Informationsfluss so dürftig wie noch nie. Die Pressekonferenzen zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele glänzten zwar nie als Hort glasklarer Transparenz, hatten aber zu Zeiten Wolfgang Wagners immerhin noch einen skurrilen Unterhaltungswert. Der Umgang mit der internationalen Presse in diesem Jahr führte am Vorabend der Festspieleröffnung zu deutlichen Protesten der Journalisten aus nah und fern. Katharina Wagner und der frisch gebackene Musikdirektor Christian Thielemann glänzten durch Abwesenheit, weil die Vorbereitungen zur Fernsehaufzeichnung des Tristan im benachbarten Festspielhaus jede Minute der Eminenzen beanspruche, wie es hieß. Und Noch-Festspiel-Mitleiterin Eva Wagner-Pasquier, die nicht am Tristan beteiligt ist, war nicht bereit, sich der Presse vor ihrem Abschied vom Grünen Hügel zu stellen. „Ich kann sie nicht herbeizaubern“, bedauerte Pressesprecher Peter Emmerich, der die prekäre Situation dadurch mildern wollte, etwaige Fragen in „kleinem Kreis“ zu besprechen, um dem Treffen „steife Frage-Antwort-Spiele“ zu ersparen.

Darauf ließ man sich freilich nicht ein. Und „steif“ verlief die folgende Fragerunde dann durchaus nicht, auch wenn Emmerich und der anwesende Kaufmännische Direktor Heinz-Dieter Sense mit klaren Antworten geizten. Etwa zur Frage, warum die Bayreuther Festspiele nach fast 140 Jahren plötzlich einen „Musikdirektor“ brauchen. Thielemanns Rang als Wagner-Dirigent oder dessen gute Kontakte zu Spitzensängern in Ehren, aber dazu bedarf es keines neugeschaffenen Pöstchens. Da personelle Fragen in Bayreuth nicht öffentlich erörtert werden, konnte der Eindruck bis jetzt nicht entkräftet werden, dass sich hier Thielemann über Umwege in die Festspielleitung manövrieren wolle.
So bekam wenigstens das Ausstattungsteam des neuen Tristan um Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann die Gelegenheit, den enormen, anscheinend einzigartigen technischen Aufwand zu preisen, der mit der Neuinszenierung gestemmt werden muss. Das ist allerdings nicht das einzige Problem, das Bayreuth und seine Öffentlichkeitsarbeit lösen muss, wenn die Gerüchteküche nicht weiter brodeln soll.

Der Tragödie Dritter Teil: Die Eröffnungspremiere

Der Abend endete glimpflich für Katharina Wagner, der die Kontrolle über die Leitung der Bayreuther Festspiele zu entgleiten droht. Buh-Rufe waren nach der mit Spannung erwarteten Neuinszenierung von Tristan und Isolde so gut wie gar nicht zu vernehmen. Allerdings zeigte sich die Urenkelin des Meisters auch nur einmal ganz kurz und dann auch noch unscheinbar im Hintergrund im Pulk des szenischen Teams und des Chors. Kaum wahrnehmbar, als wollte sie sich auch dem Publikum entziehen wie am Tag zuvor bereits der internationalen Presse. Der Erfolgsdruck, der auf ihrer zweiten Bayreuther Inszenierung nach ihrem unausgegorenen Einstand mit den Meistersingern vor acht Jahren, dem unwürdigen Umgang mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier und dem zwielichtige Taktieren von Thielemann liegt, zehrt an den Nerven selbst dieser ansonsten robusten Fränkin aus dem Geblüt Wolfgang Wagners.

Die musikalische Kompetenz Thielemanns in Sachen Wagner ist über jeden Zweifel erhaben. Wunderbar lässt er die fein verästelten Klangschattierungen aufleuchten, souverän steuert er durch die komplizierten Tempowechsel, einfühlsam atmet er mit den Sängern. Die danken es mit Leistungen an den Grenzen ihrer Möglichkeiten. Stephen Gould steht die vor allem im letzten Akt kräftezehrende Titel-Partie mit seinem warmen und großen Tenor makellos durch. Allerdings vermag er nur begrenzt, Emotionen zu übertragen und bleibt als Darsteller farblos. Ganz anders Evelyn Herlitzius als Isolde. Eine Rollen-erfahrene Sängerdarstellerin von tigerhafter Angriffslust, der man allerdings die stimmliche Belastung anhört, die ihre intensiven Auftritte als Elektra in den letzten Monaten mit sich bringt. Neben berückend schönen Momenten lässt die Stimme im Verlauf des Abends bisweilen unangenehm scharfe und metallische Verfärbungen anklingen. Der Preis für ihre Bereitschaft, wenige Wochen vor der Premiere für die unter ominösen Umständen zurückgetretene Anja Kampe einzuspringen.

Ein denkbar ungleiches Liebespaar also, dessen Beziehung Katharina Wagner von jedem Pathos eines „Hohelieds der Liebe“ befreien wollte. Menschlich soll es in ihrer Inszenierung zugehen, nicht mysteriös und erst recht nicht verklärend. Für dieses Konzept muss zunächst König Marke seinen huldvollen Liebesverzicht aufgeben. Er, eine an sich milde Vaterfigur, tritt in Bayreuth in gleißendem Licht als herrschsüchtiger Diktator auf, der Isolde nach dem „Liebestod“ grob von der Leiche Tristans in sein Gemach zieht.

Dem Einfluss Markes können sich die Getreuen des Paars, Brangäne und Kurwenal, nicht entziehen und werden geradezu neutralisiert. Sie spielen in der Inszenierung keine Rolle. Und das Liebespaar selbst braucht sich die Liebe natürlich nicht durch einen mysteriösen Liebestrank „anzusaufen“. Demonstrativ gießt Isolde das Fläschchen aus. Menschen aus Fleisch und Blut erleben wir dennoch nicht. Dafür bleibt die Personenführung zu archaisch und abstrakt. Wenn man von Personenführung überhaupt sprechen kann. Denn das undurchdringliche Labyrinth an Treppen, Aufgängen, Podesten und Aufzügen im ersten Akt engt den Bewegungsfreiraum der Figuren nahezu vollständig ein. Das Bühnenbild erinnert entfernt an eine Schiffstakelage, in der die Figuren wie in einem streng konstruierten Spinnennetz zappeln. Und das in einer matt ausgeleuchteten Dunkelkammer in Kostümen, die sich farblich nur wenig vom düsteren Hintergrund abheben.

Was den Verlust an Freiheit unterstreichen soll, schlägt sich optisch in einer kontraproduktiven Bewegungslosigkeit nieder. Dass die gleiche Intention auch mit großen, freien, genial ausgeleuchteten Räumen erreicht werden kann, hat seinerzeit Erich Wonder in Heiner Müllers Tristan-Inszenierung bewiesen.

Das große Liebesduett im zweiten Akt findet unter der Beobachtung der Schergen König Markes statt, die von einer hohen Balustrade das Paar mit Scheinwerferkegeln in die Enge treiben. Rätselhafte Stahlringe entpuppen sich als Gitter, an denen sich die Liebenden absichtlich verletzen. Warum eigentlich? In totaler Finsternis durchleidet Tristan im dritten Akt seine Fieber- und Liebesqualen. Die Statik der Regie wird durch acht Erscheinungen Isoldes aufgelockert, die in diversen Posen in dreieckigen Schaukästen aufleuchten. Den Liebestod singt Isolde an der Totenbahre Tristans, bevor Marke sie zurückzerrt.

Ganz geht Katharina Wagners Vorstellung eines menschennahen Dramas nicht auf. Dafür hat Wagner selbst die Illusion einer Liebe, die nur jenseits des irdischen Lebens Erfüllung finden kann, zu stark idealisiert. Wer sich damit nicht abfinden will, gerät leicht auf banale Gleise, wie Katharina Wagners Deutung zeigt. Insgesamt also keine schwache, aber auch keine erhellende oder mitreißende Inszenierung. Es ist noch einmal gut gegangen. Der Komponist darf sich beruhigt zurücklehnen. Um den Verstand bringt die Produktion niemanden, wie er von „zu guten“ Aufführungen befürchtete.

Bleiben noch einige Sängerleistungen zu würdigen. Christa Meier läuft als Brangäne zu großer Form auf und lässt dadurch vergessen, dass die Rolle von der Regisseurin arg vernachlässigt wird. Georg Zeppenfeld kann als Marke deutlich stärker überzeugen denn als König Heinrich im Lohengrin. Dennoch bleibt seine mangelnde Textverständlichkeit ein Problem. Iain Paterson steuert einen stimmgewaltigen Kurwenal bei, so dass die musikalische Qualität insgesamt einen hohen, wenn auch nicht überragenden Stand einnimmt. Dem Level entsprechend, den Bayreuth heute bieten kann. Nicht mehr und nicht weniger.

Ovationen für alle Mitwirkenden, selbst für das szenische Team, auch wenn es kaum in Erscheinung getreten ist.

Pedro Obiera

Fotos: Enrico Nawrath