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Fakten zur Aufführung 

SIEGFRIED
(Richard Wagner)
25. August 2014
(Premiere am 29. Juli 2013)

Bayreuther Festspiele


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Krokodile auf dem Alexanderplatz

Wir sind am Mount Rushmore, eigentlich doch nicht wirklich, denn die riesigen Köpfe sind nicht die bekannten amerikanischen Ex-Präsidenten, sondern ehemalige kommunistische Protagonisten, wie Marx, Lenin, Stalin und Mao. Frank Castorf ist mit Richard Wagners Siegfried bei den Bayreuther Festspielen wieder in der ehemaligen DDR angekommen. Wieder ist das Bühnenbild von Aleksandar Denic sehr imposant, das er da auf die Bühne gewuchtet hat. Unmengen von Klettersteigen führen bis über die Köpfe in schwindelnde Höhen, die von den Protagonisten immer wieder bestiegen werden, was neben dem Singen eine enorme Kondition beansprucht. Davor steht der schon bekannte, alte, silberne Wohnwagen, diesmal Mimes Schmiede darstellend. Rundherum wieder allerlei Kram: Gasflaschen, Papiere, alte Liegen, Unmengen von Büchern. Diese werden von einer Art Waldmenschen pausenlos hin und her getragen, den der extrem aggressive und rüpelhaft gezeichnete Siegfried am Halsband führend aus dem Wald mitgebracht hat und der dauernd getreten und herumgestoßen wird. Die Szene bleibt auch diesmal nicht statisch: Auf der anderen Seite der Drehbühne, die oft hin und hergedreht wird, sind wir plötzlich am Berliner Alexanderplatz mit U-Bahn-Station, Turm, Postamt und Lokal. Dort wühlen Siegfried und der Waldvogel in einem Mistkübel, wobei der Titelheld dann versucht, aus Plastikbehältnissen Töne zu erzeugen. Hier wird der Riese Fafner, der wie ein Zuhälter mit vielen Mädchen herumschwirrt, von Siegfried seltsamerweise nicht mit seinem Schwert Nothung getötet, das er im ersten Akt endlos geschmiedet hat, sondern mit der Gewehrsalve einer Kalaschnikow. Eine platte Idee! Vor dieser Knallerei wird sogar im Programmheft gewarnt, und es soll trotzdem bei der Premiere zum Kollaps eines Besuchers geführt haben. Hier wird auch Mime von Siegfried brutal abgeschlachtet. Wotan lässt sich mit Rotwein volllaufen und isst mit Erda auf einer Bierbank Spaghetti, bevor er sich von ihr mit einem Blowjob verwöhnen lässt. Und der absolute Tiefpunkt: Zum Finale trinken Brünnhilde, nachdem Siegfried, der kurz noch im Postamt zu tun hatte, sie aus einer Plastikplane ausgewickelt hat, gemeinsam auf eben diesen Bänken Wein, während drei große Krokodile erscheinen, von denen sich gleich zwei zuerst einmal paaren. Anschließend stopft Brünnhilde dem einem einen Sonnenschirm ins Maul, während ihm Siegfried sitzend gelassen Brotstücke zuwirft. Der Waldvogel steigt seltsamerweise gleich selbst ins Maul des anderen und wird verschlungen bis ihn dann Siegfried wieder befreit. Die beiden beginnen zu schmusen, was auch die erste Eifersuchtsszene mit Brünnhilde hervorruft.

Frank Castorfs gewaltige Regiepranke verstört wieder einmal das Publikum durch aberwitzige Absurditäten. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er die Zuschauer völlig auf die Schaufel nehmen will, denn er nimmt Wagner einfach nicht ernst. Anders sind seine Ideen und Aktionen nicht erklärbar, eine schlüssige Dramaturgie und logische Linie ist einfach nicht zu finden. Wenn Siegfried etwa vom frischen Wald beim musikalisch herrlich romantischen Waldweben singt und dabei am Asphaltplatz im Mistkübel wühlt, ist das schwer nachvollziehbar. Es herrscht nur brutaler Realismus vor, der Zauber, die Poesie oder gar eine Magie, die dem Werke immanent sind, gehen völlig verloren. All das lässt sich nur einigermaßen ertragen, wenn man sich selbst nicht ständig über den Sinn der einzelnen Szenen den Kopf zerbricht.

Lance Ryan als Titelheld muss beinahe Unmenschliches leisten. Er ist nicht nur beinahe ständig auf der Bühne. Er muss nicht nur oft auf den Leitern in schwindelnde Höhen klettern, sondern fast pausenlos in dieser gefürchteten, mörderisch schweren, Kräfte raubenden Partie immer wieder die höchsten Töne stemmen. Und man merkt nicht erst gegen Ende deutliche Verschleißerscheinungen. Es fehlen ihm auch für das lange Finale die notwendigen Kraftreserven. Auch sonst ist das überwiegend sehr wortdeutliche Sängerensemble im zweiten Teil von Wagners Tetralogie durchwachsen: Catherine Foster als Brünnhilde singt alle Spitzentöne mühelos und beinahe vibratofrei. Den Wotan, der sich jetzt Wanderer nennt, singt Wolfgang Koch im Vollbesitz seiner stimmlichen, flexiblen, weichen, klar artikulierenden und auch darstellerisch intensiven Fähigkeiten mit dominanter, göttlicher Bühnenpräsenz. Er liefert sich auch ein eindringliches Duell mit Alberich, der von Oleg Bryjak zwar mit kräftigem, aber wieder völlig mulmigem und unverständlichen Organ wie auch Intonationsproblemen gesungen wird. Erstklassig im Spiel und gleich verschlagen, wenn auch weniger erfolgreich, hört man auch seinen Bruder Mime, der von Burkhard Ulrich mit ziemlich gepresstem Charaktertenor ausdrucksstark gesungen wird. Sorin Coliban ist ein machtvoller, schwarzer Fafner, Nadine Weissmann eine dunkel gefärbte Erda, mit extremem Mini wie eine Prostituierte hergerichtet. Mirella Hagen ist ein nicht aus dem Off singender, sondern mit riesigen, prächtigen Flügeln herumflatternder Waldvogel, der aber inniger und reiner singen könnte.

Dazu baut Kirill Petrenko mit dem Festivalorchester eine packende Klangdramaturgie. Immer sängerfreundlich glücken dem gebürtigen russischen Maestro größtmögliche Transparenz, herrliche Farbpaletten, aufblühende, geheimnisvolle, zarteste Lyrismen wie beim Waldweben und bei Brünnhildes Erwachen, aber auch zupackende, verdichtete Dramatik in den symphonischen Phasen . Da vergisst man auch, dass schon lange nicht mehr vom Öl die Rede war.

Großer und langer Jubel im Publikum seltsamerweise uneingeschränkt für alle Sänger, der sich beim Erscheinen des Dirigenten zu einem Vulkan steigert.

Helmut Christian Mayer

Fotos: Enrico Nawrath