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Fakten zur Aufführung 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
25. Juli 2014
(Premiere)

Bayreuther Festspiele


Points of Honor                      

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Ruhe nach den Stürmen

Erst wenn die Augen sich an das Dunkel gewöhnt haben, entziffert sich das Bühnenbild: Die riesige Projektion einer Computerschalttafel, auf der Schaltvorgänge blinken und Zählwerke Datenmengen registrieren, schnell, immer schneller. Im Vordergrund besteigen zwei Männer eine Nussschale, die offensichtlich nicht geeignet ist für das offene Meer, fröhlich-quietschende Arbeiterinnen in Hellblau sind damit beschäftigt, eine schier endlose Menge an Tischventilatoren versandfertig zu verpacken, „Windmacher“ gehen auf Reisen. Schließlich laufen als Hintergrundprojektion hässlich-schmierige Ölschlieren herab und verdunkeln mehr und mehr die Sicht – der Mensch bedroht das Meer.

Hier toben keine Nordmeerstürme, kämpft kein Segler gegen Wind und Wellen, hier sind die Stürme Menschen-gemacht. Jan Philipp Gloger hat die Holländer-Thematik bei seiner diesjährigen Inszenierung für Bayreuth auf den Kopf, auf den Menschen gestellt. Der Mensch manipuliert die Natur und bedroht sie, nicht umgekehrt, die bedrohlichen Stürme sind hausgemacht – eine denkbare, eine mögliche, vielleicht eine zeitgemäße Interpretation?

Entsprechend werden auch die Figuren „modernisiert“. Der Fliegende Holländer, diese mythische Traumfigur eines Untoten, bleibt auf der Suche nach dem liebenden Wesen, das ihn erlöst, ziellos. Daland, der Kapitän, mutiert zum Manager einer Verpackungsfirma fernöstlicher Billigwaren, ausgerechnet Ventilatoren, „Windmacher“. Sie sollen das Vehikel sein, mit dem Daland seine irdischen Güter vermehren und „vergolden“ möchte. Statt seiner Matrosen treibt er Dutzende von peinlich-fröhlich-sauberen Frauen an, diese Dutzendware schnell zu verpacken und zu versenden – schneller, noch schneller. Der Druck misst sich nicht in Beaufort, sondern in Stückzahlen pro Minute, der Chef schaut schon wieder auf die Uhr. Gegen Schluss entsteht auf der Bühne ein ökonomischer Turmbau zu Babel, auf dessen Spitze das Produkt steht…

Christof Hetzer und Karin Jud unterstreichen in der Ausstattung die Regieidee der Modernisierung. Eine immer wiederkehrende, die Bühne füllende blinkende Schaltwand, Versandkartons als Symbol der endlosen Produktions- und Konsumkette, die Uniformierung der Arbeiterinnen, die aktuellen Kostüme der Protagonisten, sie alle stützen den Mythos der ständigen Profitmaximierung. Martin Eidenbergers Videoinstallationen, vor allem die schwarz-schmierigen Ölschlieren verändern den Bühnenraum auch optisch bedrohlich.

Dass mit Kwangchul Youn als Daland und Samuel Youn als Holländer die Hauptrollen eine asiatische Färbung erhalten, ist nicht zu übersehen. Youn, in Bayreuth kein Unbekannter mehr, überzeugt mit sonorem, tragenden Bass, bleibt als Figur aber blass. Samuel Youn gibt mit oft dramatischem Bariton einen rätselhaft-geheimnisvollen Holländer, der ein „Zwischenwesen“ bleibt. Ricarda Merbeth als Senta verfügt über eine raumfüllende, weittragende Sopranstimme, die über eine große Variationsbreite und Intensität verfügt. Ihr gelingen verhalten-introvertierte Passagen und innige Schwüre ebenso glaubhaft wie dramatisch-heldenhafte Ausbrüche. Als bürokratenhaft ausstaffierter Steuermann überzeugt Benjamin Bruns ebenso wie der als Hausmeister gestylte Tomislav Muzek, deren Tenorstimmen als schöne Kontrapunkte zu den Bassstimmen wirken.

Ein besonderer Augen- und Ohrenschmaus der Inszenierung sind die Chöre, die, von Eberhard Friedrich bestens vorbereitet, mal als „Werkschor“, mal als Chor und Geister-Gegenchor mit großer Wucht die Dramatik der Oper stützen.

In seiner dritten Bayreuther Spielzeit präsentiert sich der Fliegende Holländer als weitgehend entkerntes Bühnenwerk, dessen Grundideen und dramatische Entwicklungen einem Modernisierungsversuch geopfert werden, der aufgesetzt wirkt. Oft fragt man sich, was die Bühnenszene mit der Geschichte des Holländers und mit der Musik zu tun hat. So wird diese Aufführung ein Abend der Musik. Christian Thielemann und das Festspielorchester nehmen schon mit der Ouvertüre die Zuhörer gefangen, spielen kontrastreich und doch durchsichtig, halten sich eher zurück und lassen nur stellenweise Wagners Fortissimo ertönen. Die Sänger bleiben im Vordergrund.

Der Musik vor allem gilt der Schlussapplaus. Ein begeistertes Publikum feiert mit stürmischem Beifall und Bravorufen seinen Liebling Thielemann, die hervorragenden Sänger und – sich selbst.

Horst Dichanz

Fotos: Enrico Nawrath