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Fakten zur Aufführung 

DER ROSENKAVALIER
(Richard Strauss)
30. März 2015
(Premiere am 27. März 2015)

Festspielhaus Baden-Baden

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Regie-Congestion ohne Linie

Eine Inszenierung des Rosenkavalier von Richard Strauss kann, wie die Rezeptionsgeschichte der Komödie für Musik zeigt, unendlich vielen Konzepten folgen. Sie kann, wie an den Staatsopern München und Wien über Jahrzehnte in der Aneignung eines Otto Schenk zu besichtigen, als opulentes Rokoko-Stück mit nostalgischer Affinität zum Aristokratischen angelegt sein, als Abgesang auf eine untergegangene Ära. Sie kann, wie in Covent Garden 1985 durch das Tandem John Schlesinger und William Dudley zur Meisterschaft gebracht, als raffiniertes Opernkino präsentiert werden. Sie kann, zuletzt in Glyndebourne zu erleben, als Kuriosität begriffen werden, die sich zwischen Waidmännern, allerlei ländlichem Volk und degenerierten Vertretern einer nicht mehr ernstzunehmenden Oberschicht bewegt, lakonisch und mit grotesken Slapstick-Anleihen daherkommt. Sie kann aber auch als ziemlich sinnlose Regie-Congestion ohne Verstand Bühnenwirklichkeit erlangen.

Als congestion, aus dem Französischen abgeleitet, fasst der geniale Librettist Hugo von Hofmannsthal jenen Zustand von Blutwallung, der den Baron Ochs auf Lerchenau in dem Augenblick überfällt, als er im Beisl mit Mariandl von einer Täuschung in die andere getrieben wird. Derlei scheint auch die geheime Triebfeder der Rosenkavalier-Inszenierung zu sein, die Brigitte Fassbaender im Festspielhaus Baden-Baden als Kernstück der Osterfestspiele offeriert. Wallungen an Bildern und Kostümen, ein buntes Gewimmel an Menschen und Menschendarstellern, die gleich ein halbes Dutzend Epochen und dabei eines auf einen Begriff zu bringen beabsichtigen: das Heterogene als Wirklichkeitsklammer. Doch diese Wirklichkeit gibt es nicht, den Begriff dazu auch nicht, erst recht nicht in dieser Komödie, die ihre Scherze treibt mit dem, was Menschen ernst ist, und in der Worte wie der Musik Sprache adelt, was doch leicht und eigentlich nix ist. Ein Regiekonzept ohne Linie und Plausibilität. Und das erdacht von einer – im besten Sinne – Praktikerin des Theaters, die das Metier von beiden Seiten kennt. Ihr Octavian gilt als Maßstab dieser Rolle über zwei Generationen. Ihre Inszenierung für das Haus an der Oos ist bereits ihre fünfte Auseinandersetzung mit dem Stoff als Regisseurin.

Die Congestion ohne Verstand beginnt schon mit den Bühnenbildern Erich Wonders. Unvergesslich zum Beispiel seine abstrakte Auflösung von Tristan und Isolde für Bayreuth 1993 als Partner Heiner Müllers mit den Mitteln der Lichttechnik. Jetzt lässt er hinter Gazeschleiern Projektionen von Räumen entstehen, die für sich durchaus Eindruck machen mögen, aber nichts mit dem Rosenkavalier zu tun haben. Zu entziffern gibt es den Blick von einem kubistisch zitierten Wolkenkratzer hinunter auf eine Großstadt bei Nacht ohne Identität, in einen Theatersaal, dann in eine Fabrik, ein Hospital, später in ein Schwimmbad, aus dem langsam das Schlussbild erwächst, eine Berg- und Hügellandschaft im Winter, gesäumt von den Konturen einiger Bäume. In diesem Winter-Wonder-Land und den anderen Örtlichkeiten agiert allerlei buntes Volk in von Dietrich von Grebmer entworfenen Kostümen, einer kuriosen Allianz von Phantasie und Nonsens. Da wird der Karneval zitiert, das Outfit von Leuten, die man am Büdchen und beim Pizzabäcker treffen kann, und in letzten Spuren die Fasson der gehobenen Gesellschaft Wiens zurzeit von Maria Theresia. Dafür muss auch das übergroße Sofa im Vordergrund herhalten, das als Miniatur des Schlafzimmers der Feldmarschallin dient.

So knallbunt, so grell, so prollig die bagagi, so aktionistisch das Getue. Ständig sind in einer Art Labyrinth hinter dem Vorhang Menschen unterwegs, mal von links, mal von rechts auf die Bühne stürzend. Mal als omnipräsenter Inline-Skater, bisweilen die Hände wie zum Skiflug in Position gebracht, mal als Entourage der Feldmarschallin oder des Polizeikommissars hin und her trippelnd. Immer wieder klettern einzelne Protagonisten, so der Intrigant Valzacchi und seine Partnerin Annina, auf einen Sockel und von dem herunter, sobald dieser von der Bühnentechnik wiederum eingefahren wird. Undefinierbare Gestalten – Senioren vielleicht – bewegen sich schlurfend im Walzertakt, als wäre das der Inbegriff der Vergänglichkeit.

Ist schon all das arg gewöhnungsbedürftig, so gilt das ganz besonders für die Personenführung, die Fassbaender in der Szene der Überreichung der silbernen Rose, der Schlüsselszene dieser Wiener Gesellschaftskomödie, der Titelfigur und Sophie angedeihen lässt. Wo war ich schon einmal und war so selig? Das allmähliche Entdecken des Zaubers, der der Begegnung der alsbald Liebenden und aller Liebenden auf Erden innewohnt, findet zwar in der Musik von Strauss einzigartigen Ausdruck, Klangzauber und Ekstase. Nicht jedoch in Haltung und Gestus der beiden auf der Bühne. Ausgerechnet die beiden Einzigen mit einer konstruktiven Lebensperspektive in einer Gesellschaft von Gier, Korruption und Mediokrität, müssen ihre intime Offenbarung in Distanz voneinander erleben.

Ein Mangel an Nähe zum Wesen der Musik von Strauss, der mit Terzett und Duett im Finale einen Moment des Absoluten komponiert hat, der die Zeit zum Anhalten und das Publikum zur Atemlosigkeit zu bringen vermag, ist auf irritierende Weise ein Merkmal des diesjährigen Baden-Badener Rosenkavalier. Die Partitur verlangt den Musikern eine besondere Balance zwischen den schwelgerischen, walzerseligen Passagen des groß geführten Orchesters einerseits und der zurückgenommenen Begleitung des Konversationsstils der Sänger andererseits ab. Eben das ist aber nicht die Sache Berliner Philharmoniker unter der musikalischen Leitung Simon Rattles. Anders als bei ihrem glänzenden Auftritt in La Damnation de Faust, ihrer zweiten Opernproduktion während dieser Osterfestspiele, bleibt der Eindruck einer latenten Fremdheit gegenüber dem eigenwilligen Stil dieser singulären Komposition. Rattle betont – dann ganz Sinfoniker – die Wucht, die Effekte, die Klangkaskaden der Partitur, wo immer diese ihm und seinen technisch großartig spielenden Philharmonikern dazu Gelegenheiten bieten. Die zweite Musiksprache der Komödie im Wiener Stil dagegen will sich nicht recht be-, schon gar nicht erzwingen lassen. Das Ineinanderschwingen von vokalem Parlando und instrumentaler Untermalung ist nicht von jener künstlerischen Selbstverständlichkeit, wie sie etwa den Wiener Philharmonikern gerade bei diesem Stück zu eigen ist. Erst im Finale erobert Rattle den Grad an Verwobenheit, der das Duett der Entronnenen zum humanitären Erlebnis macht. Es gibt also Hoffnung.

Karessiert der Komponist Strauss im Grunde seine Sänger, so geben ihm gerade die weiblichen Stars der Aufführung diese Liebkosung nicht zurück. Wohlgemerkt, alle drei Sängerinnen sind eine vorzügliche Wahl, doch – aus ganz spezifischen Gründen – ein kleines oder größeres Stück von einer Trias entfernt, die einen stimmig und affin besetzten Rosenkavalier zum reinen Opernglück erheben kann. Der Trumpf auf der Hand von Fassbaender und Rattle ist Anja Harteros als Marschallin. Sie singt über die diversen Stadien ihrer eigenen Wandlung hinweg großartig, technisch makellos, berührend und voller Ausdruckskraft. Nur spielerisch will der Sopranistin die Rolle der noch jugendlich empfindenden, leidenschaftlichen Liebhaberin nicht gelingen, die sie als Bichette und Pendent des Quinquin eben auch zu sein hat. Als dieser nämliche ist Magdalena Kožená alles andere als eine ideale Verkörperung des Octavian, eher eine Enttäuschung, spielerisch wie unter stimmlichem Aspekt. Ihr Timbre ist für diese Rolle nicht prädestiniert, ihr Mezzosopran nicht kompatibel zu der eigentlich geforderten silbrigen Tiefe. Anna Prohaska, eine bezaubernde Sophie, schließlich kommt mit ihrer jugendlichen Leichtigkeit, ihrem frischen, völlig unangestrengten Sopran noch am ehesten an das Ideal des Tableaus an Sängerinnen heran, wie es Strauss vorgeschwebt haben dürfte.

Und die Männer? Der Bass Peter Rose hält die anstrengendste Partie des Ganzen, den Ochs, mit stimmlicher Energie und Freude am Spiel hochkonzentriert durch. Eine große Leistung des Sängers, die vielleicht durch seine Neigung, immer wieder Anleihen am Wienerischen zu unternehmen, ein Stück geschmälert wird. Lawrence Brownlee ist als Ein Sänger eine überraschende wie ergötzliche Erscheinung. Makellos sein Di rigori armato, prachtvoll sein Spiel, sein eigentliches Metier, die opera buffa, verratend. Das weitere Ensemble und der Philharmonia Chor Wien sowie der Cantus Juvenum Karlsruhe fügen sich mit Können und Hingabe in den, wie das Publikum meint, letztlich großartigen Gesamteindruck nahtlos ein. Einhellige laute Zustimmung, die im Grunde wesentlich Strauss und seiner unsterblichen Musik zu verdanken ist. Ist ein Traum… Nein, ein Traum von Opernkunst ist es nicht geworden. Dafür zu viel Artifizielles und Unterkühltes. Aber, wie gesagt, die Hoffnung hat eine gute Basis.

Ralf Siepmann

 



Fotos: Monika Rittershaus