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Fakten zur Aufführung 

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
19. Juli 2015
(Premiere am 16. Juli 2015)

Festspielhaus Baden-Baden

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Die Summe seiner Einzelteile

Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Erst treibt die schweißtreibende, schwüle Hitze die Menschen in den Schatten vor das Festspielhaus von Baden-Baden, dann treibt ein sich blitzartig entladendes Gewitter sie wieder hinein. Den klimatisierten Saal im Festspielhaus begrüßt man mindestens so freudig wie Elisabeth die teure Halle in Wagners Tannhäuser. Yannick Nézet-Séguin eilt ans Pult und stellt sich, nein, stemmt sich leicht breitbeinig, spannungsaufbauend vor dem Chamber Orchestra of Europe in das Podest. Man merkt direkt: Er will an diesem Abend wieder Großes vollbringen. Zum vierten Mal nach Così fan tutte, der Entführung aus dem Serail und vor allem nach dem Don Giovanni, mit dem er den Mozart-Zyklus 2011 eröffnet hat.

Nun also Le nozze di figaro, die man seit der Ankündigung im letzten Jahr erwarten durfte. Allerdings nicht ohne Verluste im Adelsgeschlecht. Bryn Terfel, der sein Grafen-Debüt hätte geben sollen, verschwindet irgendwann unauffällig von der Besetzungsliste. Diana Damrau dagegen entschuldigt sich drei Wochen vor der Premiere, dass sie ihr Gräfinnen-Debüt aus gesundheitlichen Gründen verschieben muss. Eine hartnäckige Viruserkrankung verhindert eine adäquate Vorbereitung. Wie im letzten Jahr, als Anna Netrebko die Marguerite in Gounods Faust absagte, zaubert Intendant Andreas Mölich-Zebhauser die Sopranistin Sonya Yoncheva aus dem Hut. Ihre Fans in Verbier und Hannover, wo sie eigentlich im gleichen Zeitraum eingeplant war, dürften darüber nicht besonders glücklich sein.

Pures Mozart-Glück dagegen im Festspielhaus. Denn bei aller gebotenen Vorsicht vor Superlativen dürfte es das ausgefeilteste und homogenste Ensemble gewesen sein, das Mozarts Opera buffa in den letzten Jahren aufgeführt hat. Jeder bringt seine Persönlichkeit mit und erweckt die Figur sogar am Notenständer zum Leben. Das beginnt bei den Comprimari, diese herrlich theatralisch-komischen Figuren. Regula Mühlemann bringt als Barbarina die passenden Attribute mit: Hübsch in Stimme und Erscheinung. Jean-Paul Fouchécourt wirft sich als Don Curzio mit Elan in einen Gerichtsprozess und stottert vor Übermut. Maurizio Muraro bläht seinen Prachtbass für den Bartolo richtig schön auf. Anne Sofie von Otter zelebriert die Marcelina mit Hingabe. Rolando Villazón zeigt sich als Basilio von seiner affektierten Seite, und das Publikum liebt ihn dafür. Philippe Sly als misstrauischer Gärtner Antonio ist eine Wucht und eine Entdeckung für größere Rollen.

Es ist einfach schön anzusehen, wie die Sänger trotz einer konzertanten Aufführung mit kleinen Gesten agieren, wie sie miteinander kommunizieren oder über den Dirigenten unsichtbare Briefchen austauschen. Einer bleibt jeden Augenblick in seiner Rolle: Thomas Hampson ist ein Graf durch und durch, nobel in der Stimme, jovial in der Gestaltung. Hampson zeigt es noch mal allen, die ihn als Mozart-Interpret bereits abgeschrieben haben. Angela Brower macht den Cherubino zu einem schüchternen Pagen mit schöner Stimmfarbe. Die Gräfin hat durch Sonya Yoncheva einen wunderschönen, sicheren Klang und lässt ebenfalls das Aristokratische dieser Figur sichtbar werden. Ein Höhepunkt der Aufführung ist sicherlich ihr Duett mit Christiane Karg. Diese Susanna ist überhaupt ein Phänomen. Sie macht so wenig und lässt ihren schön lyrischen Sopran einfach schweben und fließen. Bleibt noch der geniale Luca Pisaroni als Figaro, der seine langjährige Erfahrung in dieser Rolle ausnutzt, um seine Paraderolle aufzunehmen, während er in Salzburg schon den Grafen singt.

Das sind die Einzelteile, die hervorragend zusammen passen und von Nézet-Séguin, der mit so viel Freude dirigiert und die Sänger beachtet, auch wunderbar zusammengeführt werden. Das schließt auch das von Holger Speck einstudierte Vokalensemble Raststatt ein, das wieder einmal viel zu wenig zu tun hat. Dazu noch das Chamber Orchestra of Europe, das sich selbst übertrifft. Diese Interpretation badet in den Melodien Mozarts, ohne das Spielerische zu vergessen. Dem Orchester liegt sowohl der weiche, luftige Klang als auch das energische Zupacken.

Nach der Entführung aus dem Serail, die gerade auf CD erschienen ist, ist leider klar, dass die Atmosphäre im Saal auf der Figaro-Einspielung nicht zu spüren sein wird. Dabei ist die Stimmung doch trotz der Hitze – selbst die Klimaanlage beißt sich auf Dauer an ihr die Zähne aus – richtig gut. Dank der lebendigen Darstellung der Sänger und der Übertitel wird herzhaft gelacht. Das Publikum geizt nicht im Applaus, und am Ende sind es nicht wenige, die sich die Zeit nehmen, die Künstler ausgiebig zu feiern. Das ist eine Baden-Baden-Gala, die hält, was sie verspricht.

Christoph Broermann