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Fakten zur Aufführung 

FAUST
(Charles Gounod)
9. Juni 2014
(Premiere am 6. Juni 2014)

Festspielhaus Baden-Baden

Points of Honor                      

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Gesang

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Der Teufel im Backofen

Vor der Oper gibt es das Sopranistinnen-Karussell: Anna Netrebko stellt gut drei Monate vor ihrem Rollendebüt fest, dass die Partie der Marguerite in Gounods Faust doch nicht für ihre Stimme geeignet ist. Ihre Absage trifft die drei Opernhäuser in London, Wien und eben Baden-Baden. Operalia-Gewinnerin Sonya Yoncheva kann sofort für Wien und London zugreifen, zögert aber aus terminlichen Gründen für Baden-Baden, denn eigentlich sollte sie in San Francisco singen. Intendant Andreas Mölich-Zebhauser fragt bei Angela Gheorghiu an, die erst zusagt und dann feststellt, dass das Regie-Konzept von Bartlett Sher nicht ihren Vorstellungen entspricht. Die Yoncheva wiederum muss auf Anraten ihres Arztes ihren Transatlantikflug nach San Francisco wegen ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft stornieren. Somit hat sie jetzt Zeit für Baden-Baden und steht am Pfingstwochenende bei Rekordtemperaturen im sechsten Monat schwanger auf der Bühne.

Wenn sich der Vorhang beim Vorspiel öffnet, schläft der alte Faust mit dem Kopf auf seinem Schreibtisch in einem modern angehauchten, aber insgesamt doch zeitlosen Studierzimmer. Die eigentliche Überraschung von Bartlett Sher ist aber das Krankenbett mit der kranken Frau des wissensdurstigen Doktors, der sie dort pflegt. Seine Selbstmordabsichten beziehen auch sie mit ein, doch der Teufel schreitet seelenruhig zur Tür hinein. Als er und der verjüngte Faust in die Welt hinauseilen, werden sie verfolgt von der stummen Figur, die Sher einfach „La femme – die Frau“ nennt. Emanuela von Frankenberg spielt sie auch ohne Stimme mit ungekünstelter Ausdruckskraft. Noch eine zweite, stumme Figur holt der Regisseur auf die Bühne. Felicia Schulz stellt mit ruhiger Körpersprache die junge, verstorbene Schwester von Marguerite da, die ebenfalls das Geschehen beobachtet und nur von Méphistophélès wahrgenommen wird. Die Idee als solche ist sicher gut und verständlich, aber dennoch nutzt der Regisseur sie doch viel zu wenig. Einiges bleibt hängen: Zum Beispiel sitzt dem Zuschauer ein dicker Kloß im Hals, wenn der verjüngte Faust mit dem Teufel das Haus verlässt und seine Frau allein gelassen den beiden hinterher schaut.

Doch insgesamt bringen die beiden Charaktere der Interpretation zu wenig, da sie überwiegend in der beobachtenden Position zu erleben sind. Bei La femme gelingt es Sher deutlich besser, sie in das Geschehen miteinzubinden. Insgesamt fällt seine Personenführung etwas uneinheitlich aus. Nach den ersten beiden einfallsreichen Akten fällt die Spannung während der Turtelszene im Garten deutlich ab, weiß sich aber wieder zu steigern. Die Produktion hat eindeutig andere Stärken. Das Bühnenbild von Michael Yeargen etwa, das sich von Fausts Arbeitszimmer wie in einer Horizonterweiterung in einen großen Saal verwandelt. Jahrmarkt, Kirche, Straße, Gefängnis werden darin geschickt angedeutet, was im Wesentlichen eine intelligente Nacherzählung der Handlung erlaubt. Ebenso sind auch die Kostüme von Catherine Zuber eine optische Bereicherung. Wenn die starke Lichtregie von Donald Holder auf eine intelligente Beobachtung Shers trifft, dann ergeben sich starke Theatereffekte. Im gesamten zweiten Akt, in der Walpurgisnacht oder eben in der Kirchenszene ist die Präsenz des Bösen in den Menschen durch kleine Details sichtbar, wenn sie zum ausgrenzenden Pöbel oder zu gefühlslosen Gaffern werden.

Neben den Statisten wird das auch durch den von Walter Zeh einstudierten Philharmonia Chor Wien dargestellt, der dank seiner variablen Klangmöglichkeiten sozusagen das i-Tüpfelchen auf einer hervorragenden musikalischen Interpretation ist. Als einzig nicht menschliches Wesen ragt der Méphistophélès von Erwin Schrott aus der Masse hervor, der sogar mit einem Augenzwinkern den ganzen Zuschauerraum erreicht. Ein teuflischer Spieler, ganz im Sinne von Goethes Vorlage, mal charmanter Zyniker auf dem Jahrmarkt, mal diabolischer Machtmensch in der Kirche. Höhnisch trinkt er das Weihwasser, beim Anblick eines Kreuzes entfährt ihm das leichte Niesen eines Allergikers. Aber auch wütend kann dieser Teufel sein, wenn ihm Gott quasi mit einem Fingerschnipsen einen Strich durch die Rechnung macht. Mag sein, dass Schrott einige Gesten, beispielsweise das Grooven zur Musik, etwas zu oft einsetzt. Seine selbstbewusste Körpersprache und sein frei strömender, fokussierter Bass machen ihn zur Inkarnation des Bösen. Erfreulich verbessert hat er seine des Öfteren freie Interpretation von Rhythmik und Noten, die in früheren Aufführungen seine Leistung etwas getrübt hat. Vorbildlich wie immer ist seine Textbehandlung. Kurzum: grandios!

Was Sonya Yoncheva noch für eine komplette Rollenidentifikation der Marguerite fehlt, dürfte sich mit mehr Erfahrung schnell einstellen. Wen wundert es, dass sie bei 36 Grad Celsius und im sechsten Monat schwanger ein wenig angeschlagen wirkt. Stets steht ein Glas Wasser auf der Bühne parat. Ihre Leistung ist nicht nur unter diesen Umständen bravourös: Wie schon zuvor in Wien und London lässt sie ihren Sopran leuchten und strahlen. Ihre Phrasen klingen herrlich ausgeglichen und herzlich. Man darf auf die Weiterentwicklung der Sängerin nach ihrer Babypause gespannt sein. Charles Castronovo reicht an diese beiden Künstler nicht ganz heran. Das wäre aber auch des Glücks etwas zu viel gewesen. So erfreut man sich an der klugen, emotionalen Gestaltung und an dem angenehm dunklen Timbre des Tenors, der darstellerisch etwas aktiver sein dürfte.

Von seinem ersten Ton an – und nicht wie bei vielen seiner Kollegen erst einige Minuten später mit der Arie Avant de quitter ces lieux – schlägt Bariton Jacques Imbrailo die Zuschauer mit einer melancholischen Ausleuchtung des Valentin in seinen Bann, die den späteren Wutausbruch und seinen bitteren Todesfluch von Marguerites Bruder umso ergreifender macht. Große Stimmen veredeln die kleineren Rollen: Angela Brower beindruckt bei ihrem Rollendebüt als Siebel mit herrlichen Obertönen. Derek Walton engagiert sich als Wagner, Jane Henschel als Marthe.

Thomas Hengelbrock probiert bekanntermaßen gerne auch mal neue Wege aus. Mit diesem Faust zeigt er, dass man nicht immer das Rad neu erfinden muss, um ans Ziel zu kommen. Unter seiner Leitung wächst das NDR-Sinfonieorchester zu einem wahren Stimmungsmagier heran. Ganz dick lässt er den Klangkörper aufspielen und weiß dennoch darin so filigrane Kleinigkeiten wie Harfenklänge verständlich zu machen. Stets wirkt die Musik präsent, in Momenten wie der Kirchenszene sogar gewalttätig, doch immer behält sie Verve und lyrische Geschmeidigkeit bei. Auch die Sänger gehen darin so gut wie nie unter.

Für diese Leistung gibt es vom Publikum am Ende einen verdienten Begeisterungssturm. Die Ovationen für Schrott sind keine Überraschung. Eine Dame ist völlig aus dem Häuschen und schwärmt bei ihrem Mann von den „vollen Lippen“ des Sängers. Wie charmant dieser Teufel sein kann, zeigt sich, als er und Castronovo die völlig erschöpft wirkende Sonya Yoncheva auf die Bühne geleiten. Das normalerweise ja sehr angenehme Festspielhaus hat sich bei diesen Temperaturen mittlerweile als die wahre Hölle herausgestellt. Also schnell raus aus diesem Backofen an die schwüle Luft, doch vorher nimmt sich das Publikum noch Zeit für einen langen Applaus.

Christoph Broermann

 





Fotos: Andrea Kremper