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Fakten zur Aufführung 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(Wolfgang Amadeus Mozart)
21. Juni 2014
(Premiere)

Festspielhaus Baden-Baden

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Zwischen den Zeilen gelesen

Ist das ein Traum?“ fragt Thomas Quasthoff als Bassa Selim in den Raum hinein und spricht Libretto gemäß das aus, was viele gerade denken. Im Festspielhaus Baden-Baden ist es wieder ruhig geworden, nachdem Diana Damrau für ihre Arie Martern aller Arten mit Ovationen überschüttet worden ist. Live kann man dieses Paradestück nicht besser interpretieren. Ein singulärer Augenblick, der sich aus einem sehr schönen, konzertanten Opernabend heraushebt. Zum dritten Mal seit 2011 ist das Festspielhaus ein öffentliches Aufnahmestudio. Dirigent Yannick Nézet-Séguin setzt den neuen Mozart-Zyklus für die Deutsche Grammophon nach Don Giovanni und Così fan tutte mit dem deutschen Singspiel Die Entführung aus dem Serail fort.

Wieder mit dabei ist Rolando Villazón, der in dem Zyklus für die großen Tenorpartien eingeplant ist. Der Belmonte zeigt ihm – zumindest wenn es nach dem Premieren-Eindruck geht – technische Grenzen auf. Rein sprachlich gibt es kaum etwas zu mäkeln. Da wundert man sich höchstens, dass Villazòn mit mancher Übertreibung den Text ganz nah ans Lustige heranführt. Warum gurrt er, bevor er das Wort Liebe ausspricht, es zuvor auf Italienisch? Das nimmt der folgenden Baumeisterarie, die er sehr gut bewältigt, glatt die Ernsthaftigkeit. Denn trotz einem unsicheren Stimmsitz und Vokalausgleich transportiert der mexikanische Tenor diese Partie doch wirklich authentisch und hingebungsvoll. So wird dann auch das einzige Duett mit seiner Konstanze zu einem wahrlich herzlichen Moment. Denn auch Diana Damrau weiß, wie man Gefühle in die Stimme legt. Ihr Ach, ich liebte lässt noch Luft nach oben. Das beweist sie nach der Pause mit Traurigkeit wart mir zum Lose, erfüllt mit tiefer Melancholie. Dass sie im direkten Anschluss noch die Energie für den Dialog und das furiose und in jeder Hinsicht sensationelle Martern aller Arten hat, ist verblüffend.

Anna Prohaska widerlegt das Klischee vom Soubretten-Blondchen und macht aus Konstanzes Zofe eine selbstbewusste, sympathische junge Dame, aus deren Stimme an beiden Enden die Lebensfreude spricht. Der junge und bis dahin auch noch recht unbekannte Paul Schweinester, ein vielversprechendes Talent, ist ein pfiffiger Pedrillio, der sich ohne Probleme in das Ensemble einfügt. Ein sehr starker, in sich ruhender Bassa Selim ist mit Thomas Quasthoff aufgeboten. Nur in wenigen Momenten lässt er es zu, dass die Emotionen die Kontrolle über die Figur übernehmen, was dem reflektierten Selim auch eine Spur Gefährlichkeit, aber vor allem Menschlichkeit gibt. Kein Wunder, dass er so von seinen Janitscharen gefeiert wird. Leider darf das Vokalensemble Rastatt nur zweimal das Loblied auf Bassa Selim anstimmen. Denn den von Holger Speck einstudierten Chor möchte man gerne öfter hören.

Bleibt noch Osmin, diese ambivalente Figur, die zwischen Musikantenstadl und islamistischen Extremismus interpretiert werden kann. Der großartige Franz Josef Selig macht an diesem Abend vieles – nur eines nicht: Die Figur lächerlich. Selbst wenn er betrunken schlafen geht, besitzt er in der Situationskomik noch Größe. Dass er seinen mächtigen Bass immer zu feinem Parlando zurücknimmt, gibt dem Haremswächter nicht nur musikalischem Witz, sondern auch gleichzeitig die gefährlichen Argusaugen.

Auch Yannick Nézet-Séguin liest zwischen den Zeilen des Singspiels. Auf der einen Seite entfachen er und das Chamber Orchestra of Europe eine Lust an der musikalischen Leichtigkeit. Wie Nézet-Séguin dirigiert und das Orchester in Momenten wie der Ouvertüre mitgeht, da kann man kaum ruhig sitzen. Man möchte sich gerne mitbewegen, wenn das Orchester in spritziger Rhythmik loslegt. Man hört, wie der Zypernwein beim Vivat Bacchus prickelnd die Kehle herunter rinnt und bekommt gleichzeitig selber Durst. Das sind musikalische Perlen, die zeigen, wie volksnah, feurig und zugleich genial Mozarts Melodien sein können. Auf der anderen Seite offenbart sich darunter auch die Ebene der Gefühle. Mut zur Langsamkeit wird auch bei der dritten Wiederholung einer Phrase belohnt, wenn dem Hörer klar wird, warum Konstanze so unter der Trennung zu ihrem Belmonte leidet. Das malen Dirigent und Orchester ebenso deutlich aus wie das gefährliche Gedankengut des Osmin, das in dunkelsten Farben brodelnd unwillkürlich den Blick auf tagesaktuelle Ereignisse lenkt.

Dieses rein konzertante Ereignis scheint nicht jedem zu liegen, denn in der Pause hört man auch kritische Stimmen, die fehlende Dramatik beklagen. Aber was wäre eine solche Aufführung ohne die obligatorischen Patzer Handyklingeln und knisternde Tüten im Publikum? Naja, Schwamm drüber. Der Applaus für die musikalischen Leistungen fällt enthusiastisch und gleichermaßen differenziert aus. Aus den Erfahrungen mit den beiden veröffentlichen Gesamtaufnahmen ist es schon vorab bedauerlich, dass von der positiven Stimmung im Festspielhaus wieder nichts zu hören sein wird. Denn der deutlich gesprochene Text und auch die zweisprachigen Übertitel sind dem Zuschauer nahe, das hört man an den spontanen Zwischenreaktionen. Daher ist es schade, dass man unter solchen Umständen nicht mal andere, vernachlässigte Werke aufzeichnet. Wie wäre es zum Beispiel mit Zar und Zimmermann mit Selig als Bürgermeister van Bett und ebenfalls dirigiert von Nézet-Séguin? Die Deutsche Oper hätte da noch einiges zu bieten, was schon länger nicht mehr den Weg in die Konserve gefunden hat. Abnehmer wären bestimmt auch dafür vorhanden. Fürs erste darf man trotzdem gespannt sein auf die neue Entführung.

Christoph Broermann

 



Fotos: Manolo Press