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Fakten zur Aufführung 

LA DAMNATION DE FAUST
(Hector Berlioz)
29. März 2015
(Premiere)

Festspielhaus Baden-Baden

Points of Honor                      

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Klangsinnlichkeit par excellence

Auf diesem Niveau präsentiert, dürfte sich die Diskussion um das Pro und Contra zur Frage der konzertanten Wiedergabe bestimmter Opern wohl erübrigen. Zumindest dann, wenn es sich um eine Aufführung von La Damnation de Faust, der Dramatischen Legende in vier Teilen, von Hector Berlioz handelt und wenn deren Realisierung bei den Osterfestspielen Baden-Baden hierfür ein Maßstab sein soll oder darf. So exzellent und verführerisch, so professionell und intensiv, so in jedem Moment austariert und auf die rasch wechselnde Szenerie eingestellt, entfalten die Berliner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Simon Rattle einen Klangrausch, der die visuelle und räumliche Dimension einer Inszenierung fast schon vergessen, zumindest nicht vermissen lässt.

Berlioz gilt als Perfektionist und Vollender eines modernen Verständnisses von der Instrumentalmusik. Sein 1844 veröffentlichtes Standardwerk Grand Traité d’instrumentation et d’orchestration moderne ist ein zeitloses Dokument dieser Standortbestimmung bis heute. Mit der 1846 im Pariser Salle Favart , der späteren Opéra-Comique, uraufgeführten Damnation – übrigens schon damals unter misslichen Umständen konzertant – nähert sich notabene ein Sinfoniker, der Komponist der Symphonie fantastique, épisode de la vie d’un artiste, dem Genre der Oper. Sein zwischen Sinfonie, sinfonischer Dichtung, romantischer Oper und transzendentalem Oratorium pendelndes Werk, eine durchkomponierte Melange all dieser Stile, kommt den Berliner Philharmonikern prächtig entgegen, einem Orchester, dessen Identität und Tradition sich vornehmlich auf die symphonischen Pfeiler stützen dürften. Berlioz, 13 Jahre vor Gründung des Orchesters gestorben, hätte es sicher liebend gern einmal dirigieren wollen. Liebend gern? Eher mit Inbrunst und der Energie seines Künstlerlebens.

Wenn es die Aufgabe des Dirigenten bei Berlioz sein sollte, die Klangsinnlichkeit der Partitur herzustellen, so gelingt das Rattle grandios. Nicht geringer als generös, vielleicht gar luxuriös sind Aufwand und Aufstellung seiner Berliner auf dem hohen Podium in Deutschlands größtem Musiktheater zu nennen. Links vier Harfen, rechts acht Kontrabässe, die einen mächtigen Streicherapparat und wunderbar spielende Holzbläser umrahmen. Dazu die blendend aufgelegten Blechbläser, die schon nach wenigen Minuten, im Rákóczi-Marsch des ersten Bildes, dem Publikum das Bravourstück schenken, das jedermann kennt, wenn auch nicht immer mit der Gefühlswelt des suizidgefährdeten Doktor Faust verbinden dürfte. Was soll man mehr bewundern an diesem Abend? Die schwelgerische wie akkurate, die ja nach Bild und Stimmung seidige wie schmetternd-raumfüllende Gesamtleistung der Philharmoniker? Das intrinsische, jederzeit hochkonzentrierte Dirigat Rattles? Die Einzelleistung eines Dominik Wollenweber, der mit seinem Englischhorn der Romanze Margaretes D’amour l’ardente eine zu Tränen rührende Tiefe vermittelt? Oder die der Solobratsche, die im Umschmeicheln der Ballade des traumverlorenen Mädchens vom König in Thule im Publikum eine Atemlosigkeit erzeugt, als wäre für einen winzigen Wimpernschlag jene Instanz im Raum, in der diejenigen Erlösung zu finden hoffen, denen die Verführungskünste des Teufels nichts anhaben können?

Fragezeichen, sofern überhaupt angebracht, stellen sich allenfalls an den Schnittstellen zwischen der orchestralen und der vokalen Sektion dieser Aufführung. So bleiben gewisse Ungereimtheiten in der Abstimmung zu Beginn zwischen dem hier aufgebotenen Staatsopernchor der Oper Stuttgart und den Herren des Philharmonia-Chors Wien sowie dem Orchester nicht verborgen. Sie mögen andererseits auch ein Indiz für die besonderen Anforderungen sein, denen sich Johannes Knecht und Walter Zeh, die Chorleiter, in der vermutlich zeitlich begrenzten Phase des Einstudierens und der Koordination mit den Philharmonikern zu stellen hatten. Apropos Chor: Die Inkarnation der Erlösung, bei Berlioz als Stimme vom Himmel vorgegeben, übernehmen die Mädchen und Jungen des stattlich besetzten Kinderchors der Oper Stuttgart. Rattle führt sie mit sichtlichem Vergnügen, einfühlsam, fast väterlich, damit vielleicht ein Geheimnis seines Charisma enthüllend, natürlich unfreiwillig.

Für die Zuhörer ist der Nachteil einer Pause zwischen dem zweiten und dem dritten Bild, wie das in Baden-Baden der Fall ist, ein Herausgerissensein aus einem Geschehen, das eigentlich kein Innehalten kennt.  Für die Sängerin der Margarete ist sie mit dem Vorteil verknüpft, endlich auf ein noch erwartungsvolleres Haus zu treffen, das auf den Star des Abends schon mehr als eine Stunde harrt. Joyce DiDonato, in ein hellgrünes Abendkleid gehüllt, genießt diesen Moment sichtlich. Ihre eher hell konturierte Mezzo-Stimme, derzeit eine der gefragtesten auf den Bühnen der Welt, erfüllt alle Ansprüche famos, die der Rolle wie die des Publikums. Makellos die Tonbildung, eindrucksvoll die sängerische Gabe, der psychischen Verfassung der jungen Frau zwischen Verführung und Verirrung, Innerlichkeit und Entsagung Manifestationen zu geben.

Die Stimme unter den drei männlichen Protagonisten ist Ludovic Tézier als Mephisto, auch und nicht zuletzt durch den Bonus, als Franzose dem französischen Textbuch gleichsam genetisch nah zu sein. Alles was einen wahren Teufel im Theater ausmacht, kommt bei dem lyrischen Bariton mit großem Talent zur Mimik zusammen: diabolische Kraft und verführerischer Schmelz, hinter dem er seine wahren Pläne verbirgt. Charles Castronovo, in New York geboren und in Kalifornien aufgewachsen, ist ein vorzüglicher Faust im Straßenanzug inklusive Krawatte, der die Entwicklungsgeschichte des Getriebenen mit Hingabe und Inbrunst zu vermitteln versteht. Sein Tenor nimmt alle Klippen der Partie gekonnt, die robusten wie die extrem lyrischen. Einzig in den Passagen – so im Duett Ange adoré, dont la céleste image mit Margarete – des Übergangs von der eh schon wahnsinnigen Höhe zur Kopfstimme ist noch Steigerungspotenzial auszumachen. Der französische Bass-Bariton Edwin Crossley-Mercer in der Rolle des Brander ist eine angenehme Überraschung. Ihm, so der Wunsch, hätte Berlioz wenigstens eine zweite größere Passage auf die Kehle schreiben sollen.
Das Baden-Badener Publikum, darunter viele Französisch sprechende Gäste, feiert alle Akteure mit anhaltendem, großem Jubel. Die Zauberflöte vor zwei Jahren, Manon Lescaut im vergangenen Jahr – es scheint, als seien Rattle und seine Berliner mit dieser grandiosen Hommage à Berlioz jetzt bei den Osterfestspielen an der Oos so richtig angekommen. Glückwunsch.

Ralf Siepmann

 



Fotos: Monika Rittershaus