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Fakten zur Aufführung 

ROMEO UND JULIA
(Sergej Prokofjew)
29. November 2014
(Premiere)

Theater Augsburg


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Liebe, selbst durch den Tod nicht bezwungen

Es ist eine der berühmtesten Liebesgeschichten der Weltliteratur: Romeo und Julia. Shakespeare hat sie erfunden, Sergej Prokofjew in bezwingende, mitreißende Musik umgesetzt für ein Ballett, das ohne Worte auskommt, aber durch die getanzten Emotionen gefühlsmäßig unmittelbar anspricht. Im Theater Augsburg erzählt nun die Choreografin Young Soon Hue aus Südkorea diese Geschichte vom Liebepaar, das ganz radikal seine starke innere Beziehung lebt, an den äußeren Umständen aber scheitert, in optisch ungeheuer fesselnden, packenden Bildern. Diese Liebe scheitert letztlich an einer Gesellschaftsordnung mit überkommenen Normen, an unüberbrückbar feindlichen Konfrontationen, vielleicht auch an der Verkennung der Realität. Die Liebenden begehren dagegen auf und gehen dadurch unter. Aber gerade dadurch wird im Tod die Reinheit dieser Liebe bewahrt; dieses tragische, berührende Ende ist ein Bekenntnis zu innerer Unabhängigkeit, zur Freiheit im Gefühl, trotz des verhängnisvollen, unüberlegt letzten Schritts – wer weiß, wie die Zukunft ausgesehen hätte.

Weil ein solches Geschehen eigentlich nicht auf einen bestimmten Ort festgelegt ist, verlegt die Choreografin Hue die Handlung nicht nach Verona, sondern lässt sie in einem zeitlos gültigen Raum stattfinden. Ihre Ausstatterin Verena Hemmerlein spielt dabei bei den Freizeitszenen durch Billardtisch oder Bistrostühle zwar auf Heutiges an, betont aber ansonsten durch Weniges den Charakter der Schauplätze. So kommt der Ballsaal bei den Capulets mit Lüster, hoher Treppe, Spiegelwänden und strenger Pilaster-Architektur aus; die Kirche, in der Pater Lorenzo die Liebenden traut, ist ebenfalls ein schlichter, hoher Raum mit schmalem, dreigliedrigem Fenster, durch das Licht von hinten eine weihevolle Atmosphäre schafft. Wenn es um gesellschaftliche Repräsentation geht, überwiegt eher Düsteres. Dagegen ist Julias Schlafzimmer mit dem Bett, den großen Fenstern und Vorhängen hell, vor allem am sonnigen Morgen, auch bei der Balkonszene. Das Licht, das Kai Luczak immer wieder wirkungsvoll einsetzt, erzielt so wechselnde Stimmungen. Auch die Gruft am tragischen Ende, ein sanft erleuchteter Bogen über einem schwarzen Treppenpodest, bietet einen starken Kontrast zur scheintoten, aufgebahrten Julia, an der der Trauerzug langsam vorbei schreitet, um rote Rosen als letzte Liebesgabe der angeblich Verstorbenen zu widmen. Auch die Kostüme von Hemmerlein unterstreichen das allzeit Gültige. Die Partei der Montagues ist durch blaue Akzente markiert, die der Capulets, also der Clan der Julia, durch rote. Oft wird die Zugehörigkeit dazu nur unter schwarzen Gewändern angedeutet. Schwarz ist eigentlich die dominierende Farbe. Nur Julia trägt Weiß, die Farbe der Unschuld, ebenso wie Romeo und sein übermütiger Freund Mercutio weiße Hemden. Tybalt, der gewalttätige Rambo der Partei der Capulets, wirkt in seinem rötlich schimmernden Anzug ein wenig diabolisch. Mutter und Vater Capulet sind äußerst förmlich in Schwarz gekleidet, beim Ball glitzernd elegant. Was bei den Damen auffällt, sind die natürlich fallenden Gewänder; diese ermöglichen fließende Bewegungen, unterstreichen noch die Drehungen und Sprünge. Die hervorragend geschulte Augsburger Ballettkompanie tanzt, unterstützt von einigen wenigen Gästen, in einer am klassischen Stil angelehnten Mischung bemerkenswert synchron, in erstaunlicher körperlicher Präzision und Spannung bei den häufigen Drehungen und hohen Sprüngen sowie kleinen akrobatischen Einlagen, beherrscht auch das bisweilen rasante Tempo mühelos. Durch die kluge Raumaufteilung und den Wechsel zwischen spielerischer Leichtigkeit und Geschwindigkeit im Auftreten der jungen Leute und der zeremoniellen, eher langsamen Förmlichkeit bei den Arrivierten werden optisch abwechslungsreiche Akzente gesetzt. Deutlich wird das auch beim Ball: Da wirbeln Romeo und seine Freunde als falsche Kellner mit Sektgläsern herum und stiften Unruhe, bis das Liebespaar sich quasi in einem Gefühlssturm gegenübersteht, so ein Moment des Einhaltens erzeugt wird. Damit aber nimmt das tragisch-schöne Geschehen seinen emotional erregenden Verlauf, und das Schicksalhafte spitzt sich zu. Eine eher witzige Episode bietet da der Auftritt der Amme; nach allerlei Neckereien fliegt exakt auf den Akzent der Musik ihre Handtasche weg. All das beweist: Hier wird genau auf die Regungen der Musik getanzt. Carolin Nordmeyer führt die Augsburger Philharmoniker sicher und farbenreich durch alle Schwierigkeiten der gewiss nicht einfachen Partitur Prokofjews, die durch ihre ungewohnten Klänge bei der russischen Premiere 1940 bei den Tänzern geradezu Angst auslöste. Einerseits gibt es hier zart lyrische Motive, etwa bei der dahin schmelzenden Melodie der Sologeige, andererseits wirkt die motorische Aggressivität des Capulet-Themas ungeheuer suggestiv.

Die Tänzer können sich in Augsburg ganz auf das Orchester verlassen. Mit André Silva und Ana Dordevic steht für die Titelrollen auch äußerlich ein Traumpaar zur Verfügung. Dieser Romeo ist ein ganz angenehm verträumter, junger Mann mit weichen Bewegungen, seine Julia ein äußerst anmutiges Wesen, leichtfüßig, zart, aber auch energisch. Die Pas de deux der beiden bezaubern durch scheinbare Schwerelosigkeit, intime Ausstrahlung und überraschende Einfälle. Mit Theophilus Jeremias Veselý steht ein äußerst kecker, frischer Mercutio auf der Bühne, wieselflink, ein Wunder an schnellen, lang ausgehaltenen Pirouetten und hohen Sprüngen, ausdrucksvoll witzig und provozierend lässig. Dagegen ist Yadil Suarez Llerena ein ruhiger, um Ausgleich bemühter Benvolio. Riccardo De Nigris führt als fieser Tybalt die Gruppe der aggressiven Capulet-Männer mit großen, abgezirkelt berechneten Bewegungen an. Als formvollendet auftretender Graf Paris überzeugt Joel Di Stefano, während Lord Capulet, Armin Frauenschuh, den aufrechten, stets beherrschten, aber autoritären Adligen darstellt. In Janet Sartore findet die Lady Capulet eine kühl-schöne, elegant sich bewegende Verkörperung einer Dame der Gesellschaft mit mütterlichen Gefühlen für die Tochter. Herausragend in ihrer Rollengestaltung aber ist Avianna Mc Kee als etwas steife, bebrillte, aber stets liebevoll um Julia besorgte Amme.

Kein Wunder, dass das Premierenpublikum im ausverkauften Haus alle Mitwirkenden lange restlos begeistert feiert; dieses Ballett wird sich wohl zu einem „Renner“ entwickeln.

Renate Freyeisen

Fotos: Nik Schölzel