Ein Märchen
Während der Ouvertüre wird ein Text wie zu Stummfilmzeiten projiziert; die Rede ist von dynastischen Problemen, von Thronfolge-Regelungen, von Statthaltern und Geheimpolizei – auch sprachlich enorm kompliziert, als Exposition für eine Monarchismus-kritische Haupt- und Staatsaktion tauglich. Nach diesem Wortschwall hebt sich der Vorhang zu einem durchaus bezaubernden Märchenspiel: Naiv sind sie alle – nicht nur Papageno, auch Tamino, Pamina, die Königin der Nacht, Sarastro, Monostatos; naiv im Sinne märchenhafter Konstellationen. Und Märchen verbergen ihre Wahrheiten unter dem Mantel des Unbefangenen, vermitteln archetypische Weisheiten, artikulieren unaussprechliche Emotionen – und repräsentieren so die phänotypischen Anfänge humaner Bewusstwerdung.
Christian von Treskow präsentiert dieses Szenario konsequent, konfrontiert die Figuren mit unbegriffenen Situationen, erzählt die so widersprüchliche Geschichte mit viel Empathie für die Charaktere – scheitert aber an der adäquaten Umsetzung in emotionalisierendes Bühnenhandeln: viel Statik, viele schlicht unsinnigen Aktionen (wenn Äpfel kauend im Duett gesungen wird), zu wenig intensive Beziehungen im offenen Bühnenraum.
Dorien Thomsen und Sandra Linde versuchen mit kühl-weißen beweglichen Wänden und trist grau-weißen Kostümen geradezu penetrant, die Atmosphäre eines Laboratoriums zu vermitteln, ja keine Gefühle aufkommen zu lassen. Das kontrastiert mit den emotionalen Welten der Musik, ist dramaturgietheoretisch nachvollziehbar – aber bleibt eben Theorie.
Das Sinfonieorchester Wuppertal spielt einen eher glatten Mozart. Unter Oliver Stapel will das Faszinosum des Nur-Musikalisch-Ausdrückbaren nicht aufscheinen – notenperfektes Spiel beherrscht den langen Abend.
Die Solisten sind in ihren Aktionen gebunden in das restriktive Regie-Konzept. Sängerisch überstrahlt Elena Fink mit ihrem brillanten Koloratur-Sopran als Königin der Nacht die Szene. Dorothea Brandt gibt der Pamina durchaus innigen Klang; Cornel Frey singt einen jugendlichen Tamino mit klarer Intonation; Thomas Laske ist mit flexibel-ausdrucksvollem Bariton ein lockerer Papageno; Thomas Schobert fehlt als Sarastro die geheimnisvolle Schwärze; die drei Damen Banu Böke, Joslyn Rechter und Miriam Scholz zelebrieren ihre Rollen mit stimmlicher Perfektion; das gesamte Ensemble überzeugt mit sängerischer Kompetenz – allerdings ohne animierende Leuchtkraft.
Die Vorstellung ist total ausverkauft, ein zauberhaft gemischtes Publikum von Jungen und Alten, Opern-Kundigen und Unerfahrenen bevölkert das so sensibel restaurierte Haus - folgt dem coolen Geschehen gespannt und drückt seine Zustimmung mit viel Applaus aus. Das ist - bei allen Bedenken – ein großer Erfolg für die Wuppertaler Oper. (frs)
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