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Fakten zur Aufführung 

LA BOHEME
(Giacomo Puccini)
19. September 2010 (Premiere)

Wuppertaler Bühnen


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Kitschlos und unverkrampft

„Bereichert euch“ pinselt Marcello in riesigen Buchstaben auf die graue Rückwand der tristen Mansarde. Allerdings sind damit nicht materielle Güter gemeint sondern ethische und künstlerische Werte. So sieht Regisseur Jan David Schmitz die „Bohèmiens“ heute. Sie verneinen den Wohlstand zwar nicht, leben aber in Armut, weil sie mit ihren Vorstellungen, Wünschen und Berufen in der heutigen Konsumwelt keine Chance haben.

Mit diesem Ausgangspunkt gelingt in Wuppertal eine überzeugende Bohème auch im modernen Gewand. Im praktikablen Bühnenbild von Carolin Roider wird die Mansarde auf einem rollbaren Gestell angedeutet, die man über eine Leiter erreichen kann. Darunter in einer Besenkammer mit Heizung wird Mimis Behausung angedeutet, die von Anfang an allein zu sehen und den Annäherungen des Vermieters Benoit ausgesetzt ist. Ihr Besuch in der Mansarde wirkt wie eine geplante Flucht aus der Einsamkeit. Für den zweiten Akt wird dem Publikum die schmucklose Rückwand zugedreht, die rechte Seite der Bühne gehört nun dem Café Momus. Gerade hier spart Schmitz nicht mit Gesellschaftskritik. Selten konnte man so genau beobachten, wie abseits die Bohèmiens in dieser zahlenden Gesellschaft stehen. Trotz einer großzügigen Bestechung werden sie nur außerhalb des Restaurants bewirtet. Spielzeughändler Parpignol senkt sich wie eine übergroße Konsum-Vogelscheuche aus dem Bühnenhimmel herab, umlagert von reichen und armen Kindern.

Im vierten Akt schließlich werden diese Menschen dem Tod gegenüber gestellt, dem sie nichts entgegensetzen können, aber sich darin weiter entwickeln. Keiner macht wirklich Versuche ärztliche Hilfe für Mimi zu besorgen. Colline, in den vorigen Akten ein gemütlicher Brummbär im Samson-Pelz (der aus der Sesamstraße), bringt seinen Mantel nicht ins Pfandhaus sondern deckt damit Mimi zu. Musetta formt aus ihrem Pelzkragen den Muff für sie und Marcello beginnt konkrete Formen zu malen, anstatt nur Parolen zu pinseln.

Vor allem aber ist zu bemerken, wie kitschlos und unverkrampft die Produktion ist. So wird die große emotionale Aussage der Musik überlassen. Und die spricht in dieser Premiere wirklich Bände. Hilary Griffiths könnte zwar am Pult des Sinfonieorchesters Wuppertal noch einen Zahn zulegen, aber dafür baden die Instrumentalisten förmlich im Wohlklang der so überirdischen Melodien. Außerdem gerät nur die Konversation mit dem Vermieter Benoit etwas aus den Fugen, ansonsten hält der Dirigent die Zügel auch in den heiklen Chorstellen fest in der Hand. Chor und Extrachor (Einstudierung Jens Bingert) legen sich natürlich im zweiten Akt mächtig ins Zeug, der Kinderchor überzeugt in niedlicher Schüchternheit.

Iago Ramos ist ein guter Rodolfo mit leicht kehligem Klang, dem ein wenig Schmelz fehlt, aber die Rolle konstant durchsteht und sie auch glaubwürdig gestaltet. Elena Fink hat für die Musette das passende Temperament fern jeder Überdrehung, was auch für ihren sicheren Sopran gilt. Der Schaunard ist bei dem engagiertem Olaf Haye bestens aufgehoben und Michael Tews gibt dem Colline viele Facetten. Kay Stiefermann ist als Marcello schon ein vokales Ereignis für sich und wird dennoch von der überragenden Sylvia Hamvasi überflügelt. Hamvasi, Ensemblemitglied der Deutschen Oper am Rhein, gelingt eine Mimi, die man nur als Sensation bezeichnen kann. Mag ihr Sopran für größere Häuser womöglich etwas zu klein sein, bezaubert die Sängerin mit wundervoll schwebenden Legato-Bögen - und in ihrem obertonreichem Sopran schwingt genau der Ausdruck mit, der „Mi chiamano Mimi“ zu einem wahren Höhepunkt macht. Das kurze Duett zwischen ihr und Marcello wurde ebenfalls auch dank des markant und sicher intonierenden Baritons zu einem Erlebnis.

Das Publikum in Wuppertal ist sehr aufmerksam, hustet überraschend wenig und ist mit allen Altersgruppen vertreten. Schon nach dem zweiten Akt gibt es die ersten Bravi, nach dem emotional ergreifenden Abschluss feiert das Publikum das gesamte Ensemble und ganz besonders Sylvia Hamvasi.
Christoph Broermann





 
Fotos: S. Rothweiler