|
Mit dem Leiden an der Schweiz - der
Heuchelei, der Verklemmtheit¸ landsmannschaftlicher Rituale, menschlichem
Misstrauen, Engstirnigkeit - beschäftigte sich Christoph Marthaler schon
in seinem "Hotel Angst" im "Schiffbau", dem Theater in der ehemaligen
Zürcher Schiffswerft. Mit Schuberts Schöner Müllerin fand er danach das
geniale Werk der leidenden Melancholie, der Inkarnation von romantisch
gebrochenem Weltschmerz. Marthaler inszeniert sein Leiden an der Schweiz
im selben assoziationsreichen morbiden Bühnenbild von Anna Viebrock, mit
demselben Ensemble (plus Musiker und Sänger) und den bekannten Kostümen.
Im Schalthaus 101 auf Phoenix West in Dortmund findet die ungemein dichte
Arbeit mit ihren Ironisierungen, Überdrehtheiten, Resignationen ein adäquates
Ambiente.
Was Marthalers Regiebild mit Verzögerungen, Redundanzen, Aggressionen
und Distanzierungen zu leisten vermag, zeigt die stupende Kunst der "Personenführung":
es ist schlicht atemraubend, mit welcher Perfektion und gestischer Elementar-Kraft
zwölf Akteure im gestuften Raum der versifften Hotel-Rezeption agieren.
Mit Rosemary Hardy und Christoph Homberger sind engagiert phrasierende
Sänger zu hören (und zu sehen); Markus Hinterhäuser und Christoph Keller
interpretieren Schuberts intensive Musik auf dem schmalen Grat von Marthaler-Intention
und Schubert-Authentizität höchst virtuos.
Das Publikum - auf dem Weg zur Schalthalle entlang der majestätischen
Phoenix-Ruinen durchaus melancholisch eingestimmt - folgt mehr als zwei
Stunden lang hochgespannt, feiert das Ensemble und Marthaler anschließend
enthusiastisch. Ein international angehauchter Triumph für den genialen
Regisseur, dessen Schweiz-Schmerz in seiner Heimat fanatische Feindschaft
auslöst. (frs)
weitere Berichte zur RUHRtriennale |
|