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Fakten zur Aufführung 

DER FREISCHÜTZ/LE FREYSCHÜTZ
(Carl Maria von Weber/Rezitative von Hector Berlioz)
12. März 2010
(Premiere: 20. Februar 2010)

Theater Trier


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Im Wald der Friktionen

Ottokar macht es sich in der fürstlichen Loge vor der Bühne bequem. Die Welt als Unterhaltungsstück für die oben, garantiert empathiefrei. Selbst als sich der Potentat am Festtag auf die Bühne unters Volk begibt, lässt ihn Regisseur Lutz Schwarz erst einmal von oben dem bunten Treiben zusehen, halb geschützter Raum, mit grobmaschigem Gitter, halb Tribüne, nach Schichten und Klassen geordnet, im Mittelbau die Jäger, unten die Bauern. Ein wenig Faradayscher Käfig, an dem der Volkszorn im Fall der Fälle abblitzen sollte. Die Mächtigen und Reichen bei Champagner und in bester, von Nerz und Chinchilla geschmückter Gesellschaft. Selbst am Ende siegt nicht Mitleid, sondern Kompromiss und Taktieren im Wald der Friktionen. Verwundungen nicht nur am Kopf Agathes, auch in der Psyche von Max, dem Jäger ohne archetypische Begabung. Ein Träumer, der Blick in eine andere Welt, Grenzgänger zwischen angstkrank und Neurose, das wachsame Auge des Über-Ich über der Bühne. Ein Sensibler im Umfeld rauer Männerbündnisse, Intellektueller mit Versagensängsten, Romantiker, der hinter den Erscheinungen das Wesen sucht. Mit Michael Suttner gelingt Lutz Schwarz eine Idealbesetzung. Nicht von dieser Welt, verstört und verunsichert, ein wenig Pierre Richard, ein wenig Hamlet, personifizierte Leichtzerstörbarkeit der Zärtlichen. Der Inszenierung gelingt es, im Jammernswerten eigene Anteile erahnen zu lassen. Viel Witz und Esprit eingemengt, wenn der abgeschossene Gummiadler in seine Einzelteile zerfällt, wenn den Jungfrauen eine Transe beigegeben wird oder ein Sarg mit der nicht tot zu kriegenden, Neurosen züchtenden Mutter hoch über die Bühne schwebt. Dann wieder ernst, Waffen, die, aus dem Umfeld romantischer Schützenvereine herausgenommen, ihre Wirkung zeigen, wenn die Pforten der Hölle geöffnet werden: Videoeinspielungen mit Soldaten und Krieg. Die Trierer Schwarz-Inszenierung belegt, dass es keiner aufwendigen Bühnenbilder und hoch technologischer Apparaturen bedarf, um Botschaften zu transportieren, wenn eine exzellente Personenführung, pantomimische Phantasie und Mut zur Stilisierung vorhanden sind. Ein Set fürs Kugelgießen, der ganze Raum ist verändert. Die Konstante der kahle Baumstamm. Ein blaues Auge, und schon werden aus den Mitmenschen Seelen bedrohende Dämonen. Wolfsschlucht ist überall.

Das Orchester unter Leitung von Valtteri Rauhalammi hoch präsent, das Tempo der Inszenierung wird aufgenommen, ein Klangerlebnis, das zur Recht mit tosendem Applaus bedacht wird.

Carola Vollath schöpft bei den Kostümen aus dem Vollen ihrer Phantasie. Die Typisierungen gelingen, Trachten ohne Stadl-Peinlichkeit, Dirndl und dann Biedermeier-Kostüme à la Josephine Napoleon, heutiges Brautkleid und Smoking, Ästhetik, die ins Auge springt. Kerstin Laube erschafft ein konkludentes Bühnenbild, Raum für Phantasie und Visionen, sie mutet dem Auge Ergänzungen und Entschlüsselungen von Chiffren zu. Eine überzeugende und intelligente Arbeit.

Vera Wenkert überzeugt in der Rolle der Agathe, ihr charaktervoller Sopran schmeichelt der Seele. Evelyn Czesla gibt Ännchen erfrischend komische Züge. Ihr gerade in den Höhen brillanter Sopran hätte es verdient gehabt, wenn sich die Regie für die Übertitelung entschieden hätte. So geht stimmliche Schönheit vor Textverständlichkeit. Eine richtige Entscheidung. Stimmlich überragend in den Männerrollen Alexander Trauth als Kaspar. Eine elegante, schmeichelnde und doch virile Baritonstimme. Der elegische Michael Suttner auch stimmlich ansprechend. Keine große, aber dafür feine Stimme. László Lukács souverän und stimmgewaltig als Kuno. Francis Bouyer vornehm in Habitus und Stimmführung als Ottokar. Pawel Czekala ein tadelloser Eremit. Peter Koppelmann spricht den Samiel in eloquenter Dämonie, seine markante Stimme gibt dem Kilian Profil. Entzückend und spielverliebt, stimmlich ansprechend die vier (fünf!) Brautjungfern, Hee-Gyong Jeong, Cynthia Nay, Angela Pavonet und Magali Schmid. Chor und Extrachor begeistern stimmlich wie spielerisch. Erstaunlich für ein so kleines Haus, welche Professionalität Angela Händel vermittelt hat.
Das Publikum. Bürgerlich, feiner Zwirn bestimmt das Bild. Neulich im Kino: „Die große Stille“. Und wer schwätzt im Publikum? Nur die anwesenden Nonnen. Theater Trier. Wer schwätzt während der Aufführung? Natürlich zwei Lehrerinnen hinter mir. Dazu mindestens vierzig Tritte gegen meine Rücklehne. Ansonsten ausverkauft.

Frank Herkommer








Fotos: Friedemann Vetter