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Mozarts hinreißend emotionale Musik
bestimmt den Don Giovanni der Ruhrtriennale: Hans Zender dirigiert das
Mahler Chamber Orchestra bewusst verzögernd im Stile Harnocourts, kostet
die Kantilenen aus, "schwingt" mit Streichern und Solisten, setzt effektive
Fermaten, powert mit dem Blech, fordert das Holz - und das alles im rational-verzaubernden
Geist der unendlichen Möglichkeiten einer himmlischen Partitur.
Diese wunderbare "Begleitung" wird vom international hochklassigen Solistenensemble
begierig aufgegriffen und in exquisiten Gesang umgesetzt. Stephane Degout
ist ein lockerer, nicht wüstlinghafter Giovanni, stimmlich flexibel mit
weichem Timbre. Jose Fardilha gibt den Leporello als unverwüstliches Faktotum,
voller Temperament mit ungemein präsentem Bariton; Martens Butler hält
sich als frustrierter Masetto klug zurück, während Toby Spence einen aktiven
Ottavio präsentiert, die lyrischen Passagen fantastisch leichtschwebend
in schönem Legato gesungen; Anatoli Kotscherga gewinnt mit dunklem Bass
dem Commendatore nachdenkliche Konturen ab. Die Zerlina von Maria Fontosh
strahlt unbändige Lebensfreude aus, brilliert mit schönen Koloraturen.
Die Top-Stars sind zweifelsfreie Maria Bayo und Catherine Naglestad als
Anna und Elvira. Was immer an Interpretationsmöglichkeiten dieser beiden
legendären Frauenrollen gesagt wurde - hier wird es Ereignis. Die Bayo
flüchtet nicht in wehleidige piani, beherrscht ihre Tessitura virtuos
und lebt die Anna in vollkommener Harmonie mit der Musik; Naglestads Elvira
vermittelt mit ihrem glasklaren Sopran Enttäuschung, Hoffnung, Wut, Liebe
in vollendetem Legato, atemraubend in der Phrasierung! Dazu ein perfekter
Chor der Ruhrtriennale - stimmlich aufgeräumt, aktionssicher.
Klaus Michael Grübers Regiekonzept findet seine sinnlich erfahrbare
Umsetzung im hyperrealistischen Bühnenbild Eduardo Arroyos: albtraumhaft
überdimensionierte Versatzstücke der Alltagswelt (Kerzen, Flutlichtmast,
Kacheln, Türklopfer, Stühle) verweisen die Personen auf ihre Winzigkeit.
Allein Giovanni ignoriert die gegebenen Zwänge, spielt seine Triebe unbefangen
aus, während alle anderen voller Ängste sich um sich selbst zurückziehen,
kommunikative Kontakte vermeiden oder zerstören. Im Finale - nach Giovannis
Abgang in den passo estremo - scheint ihnen bei knallenden Sektkorken
weniger die "Befreiung" vom "unmoralischen" Giovanni feiernswert als vielmehr
die Befreiung zu offenem Verhalten miteinander.
Die Atmosphäre im Recklinghäuser Festspielhaus ist international; sehr
offen, sehr konzentriert, sehr begeistert; die akustischen Defizite werden
verziehen - zumal die Regie den nervenkönnenden Hall genial in die Personenführung
einbezieht und die perfekt-lustvolle Bühnenmusik vieles kompensiert. Die
Ruhrtriennale hat ein weiteres highlight (im übrigen: eine Eigenproduktion!)
auf dem Weg zum international beachteten Festival! (frs)
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