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Fakten zur Aufführung 

TITO MANLIO
(Antonio Vivaldi)
14. Dezember 2008 (Premiere)

Winter in Schwetzingen
Theater Heidelberg


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Schon der dritte Streich

Erstaunlich, was ein „kleines“ Stadttheater-Orchester leisten kann. Die Heidelberger Philharmoniker entpuppen sich plötzlich als hoch qualifiziertes Barockorchester, wenn sie im Rokokotheater Schwetzingen die Reihe ihrer Vivaldi-Pflege und Ausgrabungen fortsetzen. Schon den dritten Streich landet das Heidelberger Stadttheater dort im bezaubernden Ambiente. Nach Motezuma und Olympiade ist jetzt Tito Manlio an der Reihe, und es klingelt gewaltig schön in den Ohren, so bezwingend wird musiziert und gesungen. Denn unter Leitung von Michael Form, der auch als brillanter Blockflötist in Erscheinung tritt, werden die Affekte nicht nur beherzt, sondern in genauer Kenntnis der barocken Spielweise und Instrumente (Barocktrompeten und Theorbe werden eingesetzt) hochgespannt ausgespielt. Klanglich ausdifferenziert, überzeugt der mitunter kühne, doch immer genau gesteuerte Zugriff auf das musikalische Material. Umso bemerkenswerter, als das Orchester Tage zuvor noch einen konzertanten Tristan (zweiter Aufzug) absolviert hatte.

Antonio Vivaldi hat die Oper Tito Manlio 1719 am Hof von Mantua für eine Hochzeit komponiert, die dann nicht zustande kam. Der römische Konsul Titus, erwähnte Titelfigur, schickt seinen Sohnemann Manlius hinaus, um den Frieden mit den aufmüpfigen Latinern zu besiegeln. Aber, Ehre ist nun einmal Ehre, nachdem er vom dortigen Anführer Geminius beschimpft und beleidigt worden ist, ersticht er ihn. Das ist deshalb fatal, weil Manlius nicht nur bei Papa Titus in Ungnade verfällt, der sich gewaltig als Verfechter von Recht, Ordnung und Staatsraison geriert, sondern weil es mit den Personen und deren gegenseitigem Verliebtsein gewaltig durcheinander geht. Titus-Tochter Vitellia wird von Freund und Feind begehrt (Geminius, Decius, Lucius); Servilia ist zwar Latinerin und die Schwester des Gemeuchelten, aber dennoch Braut des Manlius, muss also folgerichtig einen Sturm widerstreitender Gefühle durchleiden, ehe sie ihrem Herzen folgt. Titus selbst scheitert mit seinem blutrünstigen Todesurteil gegenüber Manlius am Militär. Das macht ihm klar, dass ein verdienter Heerführer nicht einfach um abstrakter Prinzipien willen abgemurkst werden kann. Der Ausweg ist die Vergöttlichung des jugendlichen Helden zum anbetungswürdigen Mars, während Vater Titus seinem Elend selbst ein Ende setzt.

Also kurzum: Das übliche Durcheinander barocker Libretti, das Regisseur Hendrik Müller und seine Ausstatterin Claudia Doderer durch einprägsame Szene, kühles Bühnenbild in geometrischer Mauer mit Klappen-Öffnungen und griffige Kostümierung ordnen, dabei aber auch konsequent Entwicklung zeigen, etwa in der Figur der Servilia. Die wird, auch optisch, von der unbedarften Naiven zur starken Frau mit seelischer Größe. Die junge Angela Kerrison gibt ihr ein einprägsames Profil. Ideal besetzt wirkt die Titelfigur mit dem Bariton Sebastian Geyer, der mit sehr schönen Legatobögen, Geschmeidigkeit und vielen Nuancen aufwartet, stimmlich allenfalls in der Tiefe etwas blass wird. Außerdem ist er ein bühnentauglicher, schlanker Prachtkerl, der auch als zerquälter Konsul in irgendwelchen Kostümfetzen „bella figura“ macht. Genuin für Hosenrollen geeignet ist die Mezzosopranistin Jana Kurucová; hier als Heerführer Lucius, im gestreiften Mafia-Anzug, Sonnenbrille und mit ausgezeichnet perlenden Koloraturen. Starke Ausstrahlung, was auch für die anderen Figuren gilt: Rosa Dominguez als reifere Vitellia, die der Jugendblüte Zigaretten rauchend Abgefeimtheit entgegensetzt; wunderbar auch Mariana Flores als Sohn Manlius mit effektiver Mezzo-Stimme und großer szenischer Präsenz. Sehr gut komplettieren der Counter Yosemeh Adjej (Truppenführer Decius), Gabriel Urrutia Benet (ein eigenständiger Diener Lindus) und Lucas Vanzelli (latinischer Heerführer Gemius) das großartige Ensemble.

Was sagt uns dieser Vivaldi heute innerhalb des Heidelberger Generalthemas „Kampf um Frieden“? Vor allem der innere Friede ist bedroht, wenn Staatsraison über Menschlichkeit gestellt wird. Die Zeitgeschichte ist gespickt von diesem Zwiespalt. Und eigentlich wollen wir Politiker, die mit markig ausgestülptem Kinn irgendetwas wie „Der Staat ist nicht erpressbar“ quasseln und dafür Menschen opfern, nicht mehr sehen.

Das Publikum war ebenso beeindruckt wie begeistert. Das Schlussensemble intonierte passgenau „Freude und Glück lachen schon im Herzen“. Es gibt noch viel zu tun für die Heidelberger, denn von Vivaldi sind neben Fragmenten immerhin knapp 40 auskomponierte Opern erhalten.

Eckhard Britsch
 


 
Fotos: Theater Heidelberg