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Fakten zur Aufführung 

SPARTAKUS
(Giuseppe Porsile)
6. Dezember 2009 (Premiere)

Winter in Schwetzingen
Heidelberger Stadttheater


Points of Honor                      

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Schnickschnack verstellt die Sicht

Eigentlich ist das Heidelberger Publikum immerfort freundlich gestimmt und duldsam. „Sein“ Stadttheater ist ihm heilig. Soeben aber, beim Winter in Schwetzingen, wo seit Jahren fürs Rokokotheater Barockopern ausgegraben und aufgefrischt werden, ging ein ziemliches Gewitter über das Inszenierungsteam nieder. Was war da passiert? Regisseur Michael von zur Mühlen gebärdete sich in der Ausstattung von Ben Baur als junger Wilder, als er die 1726 am Wiener Hof zur Karnevalsbelustigung uraufgeführte Oper Spartakus von Giuseppe Porsile intensiv fürs Heute deuten wollte und dabei mit vielen Versatzstücken zu einer szenischen Collage fand, die dem Publikum so manches Rätsel aufgab.

Spartakus, kein Muskelmann, sondern ein schmächtiger Straßenkehrer, fegt die Bühne, im Hintergrund lauern einige Clowns. Später werden sie aus Heiner Müllers Auftrag über die Heimatlosigkeit der Sklaven zitieren. Bevor das Spiel beginnt, wird auch philosophiert, Herr Sloterdijk spricht unverständlich in einem Stadion. Aha, vielleicht wird der Operntitel auf seine Mehrdeutigkeit abgeklopft, da gab’s doch die „Spartakiade“. Zudem den „Spartakus“-Bund, also wird die Gattin des Herrn Spartakus als Rosa Luxemburg und Ulrike Meinhof die Bühne betreten und Kampfparolen plus Agitprop-Worthülsen loslassen. Das wirkt als Parodie, als ob der Regisseur sich in seiner kleinen Provokation nicht nass machen wollte, denn bedenkenswert sind manche Thesen nach wie vor.

Was ist sonst noch los? Bierkästen, Lautsprecherboxen, Mikrophone und Videoeinblendungen garnieren den Blick auf Porsiles Protagonisten, die sich dadurch auszeichnen, dass sie, der seinerzeitigen karnevalesken Theorie entsprechend, den Rollentausch illustrieren. Der Herrscher wird zum Knecht, die schöne Liebende zur schrillen Pop-Figur, dazu muss dann noch Hardrock von „Rage against the machine“ eingespielt werden. So hat der Premieren-Kunde den Eindruck, dass die Regie alles auspackt, was ihr so in den Sinn kommt. Polit-Theater? Heiteres Spiel mit hintergründiger Absicht? Spartakus übergießt sich mit Farbe und wird am Ende, geschminkt wie ein kohlrabenschwarzer Mohr, das heitere Wechselspiel zwischen Sklave, Befreier, Diktator und tief gefallenem Helden ausbaden, im Wortsinne aller Hüllen entkleidet. Was ihm bleibt, ist der Wahn. Der setzt dramaturgisch zu früh ein, so dass die Regie schon relativ bald ihr Pulver verschossen hat. Zum Schluss mit Festmusik gibt es Kaffee mit Torte und es regnet Flugblätter, doch diese Spartakus-Sicht hält drei Stunden und 25 Minuten nicht aus. Einige Striche in der Partitur wären ebenso wünschenswert wie das Weglassen von allerlei Schnickschnack, der die Sicht eher verstellt als sie zu öffnen.

Gesungen wurde trotz alledem gut bis sehr gut. Überragend die feine Kunst der Sopranistin Camilla de Falleiro, die ihren Sopran mit zartem Glanz, perfekten Koloraturen und innigem Leuchten aufblühen lässt. Robuster, weil gelegentlich flackernd eingesetzt, kommt der Sopran von Annika Sophie Ritlewski daher, aber ihre Zeichnung der Vetturia strahlt fiebrigen Eros aus. Maraile Lichdi als Rodope (Rosa Luxemburg; Ulrike Meinhof) ist in stimmlichem Ausdruck eine Bank. Bei den Herren der Schöpfung überzeugt Emilio Pons in der Titelpartie: darstellerische Intensität und ein facettenreicher, immer sauber und emotional auslotender Tenor sind seine Pluspunkte. Bariton Sebastian Geyer als Trasone sowie die Counterstimmen von Yosemeh Adjei (Licinius) und Franz Vitzhum (Popilius) prägten den Premierenabend positiv.

Auch die kundige, aufgeraute und hoch affektive Deutung der Musik durch die ausgezeichneten Heidelberger Philharmoniker unter Leitung des kompetenten Spezialisten Michael Form kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Musik als barocke Konfektionsware gearbeitet ist. Deshalb wäre zu wünschen, dass dieser Dirigent in der nächsten Saison vielleicht wieder auf eine Vivaldi-Ausgrabung angesetzt wird. Da spricht die Musik so imaginativ für sich, dass sich eine Regie leichter tut.

Eckhard Britsch










Fotos: Markus Kaesler