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Fakten zur Aufführung 

LE PERE
(Michael Jarrell)
3. Juni 2010 (Uraufführung)

Schwetzinger Festspiele 2010


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Modernes Mysterienspiel

Hart drängen sich die Schläge ins beschauliche Rokokotheater: Wie Schüsse; wie Explosionen, die den Figuren seelische Implosionen aufbürden; wie eine bedrohliche Grundierung, die existenzielle Nöte der Menschen illustrieren. Worum geht es im neuen Musiktheater Le Père, das der Schweizer Komponist Michael Jarrell für die Schwetzinger Festspiele kreiert hat? Abgeschmackt, so möchte man meinen, wäre die Suche nach dem verlorenen Vater, dem ewigen Thema, egal ob der Herr Papa physisch präsent ist oder nur eine Chimäre? Bei Jarrell bekommt diese Problematik eine zeitgeschichtliche Dimension, die anhand der Textes „Der Vater“ von Heiner Müller (aus „Germania Tod in Berlin“) in erregender, bedrückender Verdichtung innerhalb einer Stunde auf das Publikum niederkommt.

Denn Jarrell verzichtet auf die oft bemüht wirkenden Schemata zeitgenössischen Opernschaffens. Kein Orchestergraben, dafür sechs brillante Schlagwerker im meist verschleierten Bühnenhintergrund („Les Percussions de Strasbourg“). Keine Sänger, doch drei Stimmen (Susanne Leitz-Lorey; Raminta Babickaite; Truike van der Poel), die jenem Psychodrama, das Jarrell als modernes Mysterienspiel auf die Bühne bringt, zu einem diskreten, aber genialisch-komplettierenden Klangraum verhelfen. Auch kein eigentliches Bühnenbild (Adriane Westerbarkey) stört die Verstörung, denn gebündelte Fäden lassen Licht an sich herabgleiten, während ein Gartenzwerg – positiv gedacht - deutsche Befindlichkeit demonstriert, in negativer Betrachtung albern und deplatziert wirkt. Drei schräge Schriftstelen dienen Schlüsselworten zu (schlecht entzifferbaren) Signalen.

Sohn verliert Vater, Sohn sucht Vater, Sohn findet keinen Vater. In Heiner Müllers lakonischem Text verdichtet sich das Problem auf die Worte „Ein toter Vater wäre vielleicht ein besserer Vater gewesen. Am besten ist ein totgeborener Vater“. Doch alle sind unschuldig. Der Vater wird 1933 als Sozialdemokrat von den Nazis verhaftet, kommt aus Lagerhaft frei und bleibt doch ein Verhafteter, Verbannter, Arbeitsloser, ja ein Anonymus. Nach dem Krieg erlebt er in der damaligen SBZ eine bescheidene, doch bald fragliche bürgerliche Existenz, ehe er in einer Krankenhaus-Isolierstation wieder vom Sohn getrennt ist. Grausam ist das Schicksal, von bösen Zeitumständen verursacht.

In stummer Rolle bewegt sich als kleiner Junge Nicholas Mergenthaler auf der Bühne, einige dunkle Verrätselungen (Bär; Frau mit roten Boxhandschuhen) sorgen für optische Kontraste, während Gilles Privat als „Le Père“ mal am Schreibtisch sitzend, mal im schäbigen Mantel herumirrend den Text rezitiert. Auf Französisch. Was irritiert, doch deutsche Übertitel klären die Dinge. Die Uraufführung dieses Musiktheaters aber gehört in ihrer inneren Stimmigkeit dank der subtilen Regiearbeit von André Wilms zum Bewegendsten, was in den letzten Jahren auf die Bühne kam.

Eckhard Britsch

 






 
Fotos: Monika Rittershaus